Hamburg. Im Dezember waren 70.429 Menschen in Hamburg ohne Job – die niedrigste Zahl im Jahr 2015. Wegen Flüchtlingen wird Anstieg erwartet.

Julia Winzer bringt gute Voraussetzungen mit für ihren neuen Beruf: Sie hat ein Masterstudium der Romanistik abgeschlossen und spricht Französisch und Italienisch, Englisch sowieso. Erfahrungen in der Berufswelt hat sie in der Public-Relations-Branche und als Assistentin der Geschäftsführung gesammelt. Jetzt wird sie Arbeitsvermittlerin bei der Arbeitsagentur Hamburg. „Ich wollte schon immer mit Menschen arbeiten, und ich weiß, dass mir eine Beratungstätigkeit liegt“, sagt die 29-Jährige.

Sie ist eine von 96 neuen Mitarbeitern von Arbeitsagentur, Jobcenter und Familienkasse, die seit Anfang der Woche auf ihre künftige Tätigkeit vorbereitet werden. Für Julia Winzer heißt das zwei Monate lang theoretische und praktische Ausbildung. Danach wird sie Arbeitslosen eine neue Anstellung vermitteln, wahrscheinlich in der Arbeitsagentur in Harburg, aber das steht noch nicht endgültig fest.

Im Theorie-Unterricht sitzt Winzer unter anderem mit Sadaf Pamir zusammen. Auch die 27-Jährige, deren Eltern einst aus Afghanistan nach Hamburg flohen, war eine von mehr als 1300 Bewerberinnen und Bewerbern um die insgesamt etwa 140 Stellen, die im Laufe dieses Jahres wiederbesetzt und neu geschaffen werden. Die Jobs sind bereits vergeben, und sicher ist auch, dass die Gesamtzahl der Mitarbeiter in Familienkasse, Jobcenter und Arbeitsagentur bis Jahresende um etwa 100 steigen wird.

Sadaf Pamir ist eine der zusätzlichen Vermittlerinnen und hat zunächst einen auf zwei Jahre befristeten Vertrag bekommen; auch sie ist hoch qualifiziert, hat Wirtschaftsrecht studiert, war ebenfalls Assistentin in einer Geschäftsführung, Deutsch und Farsi sind ihre Muttersprachen.

„Weitere Fremdsprachenkenntnisse sind sehr wünschenswert“, sagte Arbeitsagenturchef Sönke Fock, als er am Dienstag mit einigen der neuen Mitarbeiter zusammentraf. Er sagte das mit Blick auf das Anforderungsprofil für künftige Bewerber und vor allem mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen die Mitarbeiter im Kundenservice künftig noch stärker als bisher stehen werden. Denn der Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland und nach Hamburg wird zunehmen – das ist auch in den Statistiken der Arbeitsverwaltung erkennbar.

So ist die Ausländerarbeitslosigkeit in Hamburg von Dezember 2014 bis Dezember 2015 um 1324 Männer und Frauen (plus sieben Prozent) auf mehr als 20.300 gestiegen. In der Rangliste der Herkunftsländer liegt Afghanistan mit 1922 Arbeitssuchenden auf Platz zwei, der Iran und Syrien folgen auf den Plätzen vier und fünf. Und das Bürgerkriegsland, aus dem derzeit besonders viele Menschen in Deutschland Zuflucht suchen, verzeichnet auch den höchsten Zuwachs. Derzeit sind fast 520 Syrer mehr in Hamburg arbeitslos gemeldet als vor Jahresfrist. Am zweitstärksten (plus 225) stieg die Zahl der registrierten Arbeitssuchenden aus Afghanistan.

„Seit September registrieren wir in diesem Bereich höhere Werte und die ersten Anzeichen, dass sich da etwas dreht“, sagte Fock. Sein Ausblick auf 2016 fällt auch etwas verhalten aus. Die Zuwanderung von Migranten werde sich in der Förderung von Arbeitslosen und in den Statistiken „mehr und mehr wiederfinden“, prognostiziert der Arbeitsagenturchef. Er erwartet, dass „die Herausforderungen durch Migrantinnen und Migranten wachsen. 2016 wird die Arbeitslosigkeit in Hamburg leicht steigen.“

Allerdings von einem niedrigen Niveau: Ende Dezember waren 70.429 Hamburgerinnen und Hamburger (7,1 Prozent) arbeitslos gemeldet, es war die niedrigste Monatszahl im gesamten Jahr 2015 – und auch das Ergebnis eines „sehr stabilen Arbeitsmarktes“, so Fock. Die Grundlage dafür sei ein guter Mix aus großen, mittleren und kleineren Betrieben und sehr vielen Branchen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in der Stadt erreichte mit 931.100 im Oktober einen historischen Höchststand. Nur in den Bereichen Finanzen und Versicherungen sowie Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) ging die Beschäftigtenzahl zurück, besonders stark stieg sie in der Gastronomie. Aus Sicht von Fock könnte das ein Hinweis sein, dass nach der Einführung des Mindestlohns im größeren Umfang Mini-Jobs in der Gastronomie in feste Arbeitsverhältnisse umgewandelt wurden.

„Die Metropolregion ist sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber hoch attraktiv.“ Gesucht seien vor allem Fach- und Führungskräfte. Das allerdings dämpft zugleich die Erwartungen auf eine sehr schnelle Integration vieler Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. Nachdem die Bildungsprofile mehrerer Tausend Zuzügler erfasst worden sind, zeichnet sich ab, dass 70 bis 80 Prozent von ihnen nach deutschen Standards als un- oder angelernte Arbeitskräfte eingestuft werden müssen. Und die sind in Hamburg besonders schwer zu vermitteln.

„2015 hatten wir sehr viel mehr Arbeit“, gab Fock den neuen Mitarbeitern mit auf den Weg, „und das wird auch 2016 so sein.“ Sadaf Pamir freut sich darauf. Die künftige Arbeitsvermittlerin mit afghanischen Wurzeln, die den zeitweise in den Messehallen untergebrachten Flüchtlingen ehrenamtlich half und in der Freizeit bei Behördengängen dolmetscht, kann jetzt auch am Arbeitsplatz helfen. Und ihre neue Kollegin Julia Winzer sagt: „Ich freue mich auf die Herausforderung.“