Hamburg. Abendblatt-Extra: Arbeitslosigkeit 2016 dürfte in der Hansestadt leicht steigen. Ein Gespräch mit dem Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock.
Nicht ein einziges Mal konnte in diesem Jahr die Zahl von 70.000 Arbeitslosen unterschritten werden, obwohl es einen starken Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in der Hansestadt gab. Doch davon profitieren nicht automatisch die Arbeitslosen. Allmählich tauchen auch immer mehr Flüchtlinge in der Arbeitslosenstatistik auf. Und ihre Integration in den Arbeitsmarkt dauert länger als erhofft. Das Abendblatt sprach mit dem Chef der Hamburger Agentur für Arbeit, Sönke Fock.
Hamburger Abendblatt: Mit 70.400 Arbeitslosen waren vor einem Jahr fast genau so viele Hamburger auf Jobsuche wie jetzt. Warum gibt es kaum Bewegung auf dem Hamburger Arbeitsmarkt?
Sönke Fock: Augenscheinlich ist das so, aber dennoch ist der Hamburger Arbeitsmarkt von hoher Dynamik geprägt. Zu Beginn des Jahres hatten wir mit rund 76.000 Jobsuchenden eine hohe Arbeitslosigkeit, die deutlich abgebaut werden konnte. Im bisherigen Jahresverlauf waren im Durchschnitt 73.500 Hamburger arbeitslos gemeldet. Das sind etwas weniger als im Vorjahreszeitraum. Generell hat sich der Arbeitsmarkt nicht schlechter als 2014 entwickelt. Nur hat durch die vielen Flüchtlinge die Ausländerarbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr um 5,8 Prozent zugenommen. Das sind rund 1100 Arbeitssuchende zusätzlich.
Wird die Arbeitslosigkeit im Januar wieder stark steigen?
Fock: Davon gehe ich aus. Zum Jahresende laufen viele befristete Verträge aus. Außerdem werden zum Jahresende kaum Neueinstellungen getätigt und der Zustrom der Migranten wird die Statistik weiter belasten.
In der Stadt sind in diesem Jahr fast 30.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze neu entstanden. Warum entlastet das nicht die Statistik?
Fock: Neue Stellen und Arbeitsmarkt bilden kein geschlossenes System, das ineinandergreift. Bei der Beschäftigung wird erfasst, wie viele Menschen in Hamburg arbeiten. Ein gutes Drittel dieser Arbeitnehmer wohnt außerhalb der Stadt. Die Arbeitslosenstatistik bezieht sich nur auf die in der Stadt Wohnenden und wird dadurch charakterisiert, dass 53 Prozent Un- und Angelernte sind. Bei den neu geschaffenen Stellen war nicht einmal jede zehnte für diesen Personenkreis geeignet.
Wie wird sich der Arbeitsmarkt in Hamburg generell im nächsten Jahr entwickeln?
Fock: Wir müssen mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen. Zwar gibt es bei der Entwicklung von Konjunktur und Konsumklima keine wirklichen Alarmzeichen, aber einige Branchen wie der Metallbau und das Banken- und Versicherungswesen melden verhaltenere Aussichten. Andererseits wird der Hamburger Arbeitsmarkt zu 70 Prozent durch Dienstleistungen geprägt, so dass es dadurch einen Ausgleich gibt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wird vor allem durch die Flüchtlinge geprägt sein.
Werden denn weiterhin neue Stellen in Hamburg entstehen?
Fock: Davon bin ich überzeugt, denn Branchen wie der Handel, Gastgewerbe Logistik, Dienstleistungen, Gesundheitswesen und der Pflegesektor haben in diesem Jahr rund 18.000 neue Stellen geschaffen. Dieser Trend wird sich fortsetzen, so dass ich erneut mit einem Zuwachs um weitere 25.000 Beschäftige rechne.
Wie wirkt sich der Zustrom an Flüchtlingen auf den Arbeitsmarkt aus?
Fock: Noch sind die Auswirkungen verhalten. Innerhalb eines Jahres nahmen die Arbeitslosen aus den Asylzugangsländern in Hamburg um 14,4 Prozent zu. Insgesamt sind es jetzt 6721 Jobsuchende, vorrangig aus den Ländern Syrien, Irak, Iran und Eritrea. Insgesamt haben wir rund 20.000 arbeitslose Ausländer in der Stadt.
Seit September sollen in Hamburg die Qualifikationen von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive erfasst werden. Welche Ergebnisse liegen bisher vor?
Fock: Umgesetzt werden die Maßnahmen erst seit November, deshalb gibt es noch keine aussagekräftigen Ergebnisse. Mobile Teams gehen auf Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu und vergeben Termine bei W.I.R – work and integration for refugees, der zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge. Dort geht es vornehmlich um die Klärung zweier Aspekte: Die Lebensumstände, also Wohnung, Gesundheit, Familienzusammenführung oder Sprachkenntnisse. Und die beruflichen Kompetenzen, also sind Berufsabschluss, Studium, Berufserfahrungen oder andere Qualifikationen belegbar. Dann gilt es, ein erstes Profil und einen Maßnahmenplan zu erstellen, um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Der zeitliche Aufwand ist zwei- bis dreimal so hoch, wie bei einem Arbeitslosen, der Deutsch spricht.
Welche Ergebnisse erwarten Sie am Ende eines solchen Prozesses?
Fock: Es wird ein Prozess sein, der länger dauert als viele erwarten und ohne deutsche Sprachkenntnisse gibt es in der Regel keine Integration in den Arbeitsmarkt. Im günstigsten Fall, wenn also schon eine Berufsausbildung vorhanden ist, kann ein regulärer Job nach Deutschkurs, Integrationskurs und weiterer Berufsqualifizierung frühestens nach zwei Jahren angenommen werden. Aber nach Erkenntnissen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung haben 70 Prozent der Flüchtlinge aus den von Krieg und Bürgerkrieg besonders betroffenen Ländern keine Berufsausbildung.
Was kann man dann machen?
Fock: Das kann auch eine Chance sein, weil viele jüngere Flüchtlinge zu uns kommen. Diese jungen Menschen müssen einen qualifizierten Schulabschluss erzielen, um idealerweise den nahtlosen beruflichen Einstieg über eine Ausbildung realisieren zu können. Das dauert dann rund fünf Jahre.
Wenn so ein hoher Aufwand für die Integration von Flüchtlingen betrieben wird, werden dann einheimische Arbeitslose vernachlässigt?
Fock: Das wird nicht der Fall sein. Eine besondere Aufmerksamkeit erfahren die Flüchtlinge nur insoweit, wie es um ihre sprachlichen Defizite geht. Aber alle anderen arbeitsmarktpolitischen Instrumente wie etwa eine Einstiegsqualifizierung oder ein gefördertes Praktikum in einem Betrieb stehen allen Arbeitslosen unabhängig von ihrer Herkunft zur Verfügung.