Hamburg. Zahl älterer Arbeitsloser nimmt zu: 20.500 Hamburger über 50 haben keinen Job. Trotzdem wird ihr Vermittlungsprogramm eingestellt.
Zwei Jahre lang war Grzegorz Majewski arbeitslos. „Ich habe 25 Bewerbungen pro Monat geschrieben – ohne Erfolg“, sagt der 60-Jährige. Bis er sich bei dem Hamburger Unternehmen Wiko-Technik vorstellen konnte, das Folientastaturen herstellt. Das Bewerbungsschreiben, an dem er so lange herumgefeilt hatte, war dort gar nicht mehr wichtig. „Der Chef hat sich nur für meinen Lebenslauf interessiert, und wie ich arbeite“, sagt Majewski. Nach einer Woche Praktikum hatte er den Job als Elektroniker.
Majewski ist einer der vielen Arbeitslosen, die über den Beschäftigungspakt mitnmang (plattdeutsch für mitten im Leben) einen Arbeitsplatz gefunden hat. Zielgruppe des Projekts sind Langzeitarbeitslose, die das 50. Lebensjahr bereits überschritten haben. Sie haben es besonders schwer auf dem Arbeitsmarkt. Viele Firmen haben Vorurteile, so die Erfahrungen der Arbeitsvermittler. Da heißt es oft: zu teuer, unflexibel und generell nicht mehr fit genug für die Arbeit. „Ich war auf einer Jobbörse am Flughafen. An den einzelnen Firmenständen wurde ich immer nur nach meinem Alter gefragt. Danach war das Gespräch beendet“, erzählt Majewski.
Doch nach zehn Jahren wird mitnmang jetzt eingestellt, obwohl die Zahl älterer Jobsuchender in Hamburg derzeit 19 Prozent höher ist als vor fünf Jahren. Mitnmang ist in den Regionen Hamburg, Segeberg, Herzogtum Lauenburg, Lübeck, Stormarn und Plön tätig, eine der größten Initiativen dieser Art in der Bundesrepublik und hat in einem Jahrzehnt 26.000 ältere Menschen wieder in den Arbeitsmarkt vermittelte. Zuletzt wurden 40.000 Teilnehmer betreut. Künftig zählen ältere Arbeitslose wieder zu den „Kunden“ der Jobcenter, wenn sie länger arbeitslos sind. Dort kommen auf einen Mitarbeiter 150 Jobsuchende. Am zentralen mitnmang-Standort in Hammerbrook kümmerte sich dagegen ein Vermittler um 60 ältere Arbeitslose.
„Wie bei Projekten üblich, war auch mitnmang auf eine bestimmte Laufzeit angelegt und endet jetzt nach zehn Jahren planmäßig“, sagt Stephanie Pries, Bereichsleiterin des Jobcenters und zuständig für das Programm. Auch bundesweit gehen alle Initiativen „Arbeit 50plus“ zu Ende. Insgesamt konnten in Deutschland innerhalb der zehn Jahre 424.000 betreute Langzeitarbeitslose über 50 Jahre wieder eine Beschäftigung aufnehmen.
In Hamburg vermittelte das Projekt 11.000 älteren Arbeitslosen eine Stelle
In Hamburg wurde 11.000 älteren Arbeitslosen eine Stelle vermittelt, davon allein 1590 in diesem Jahr. „Wir haben die Vermittlungserfolge von Jahr zu Jahr gesteigert“, sagt Pries. „Mit einer spezialisierten und intensiveren Betreuung konnten die individuellen Potenziale der Arbeitslosen besser herausgefunden werden.“ Die Betreuer hatten Zeit, konnten die Arbeitslosen häufiger zu Gesprächen einladen und mit unterstützenden Maßnahmen eingreifen. Dazu zählen auch Umschulung oder Weiterqualifizierung, für die entsprechende Konzepte erarbeitet werden müssen. Wer keinen Computer zu Hause hat, konnte bei mitnmang etwa die Erstellung von Bewerbungsunterlagen trainieren. Denn zeitgemäße Bewerbungsverfahren laufen über E-Mail.
Aus Majewskis Sicht wurde mitunter zu viel über die Schriftarten der Bewerbung diskutiert. „Das hilft auch nichts, wenn man ältere Arbeitslose gar nicht einstellen will. Doch Holger Räder hat sich als richtiger Arbeitsvermittler erwiesen und mir die Stelle bei Wiko-Technik vermittelt“, sagt Majewski. Das Besondere an mitnmang war, dass zwei Koordinatoren direkt auf Betriebe zugegangen sind und diesen geeignete Vermittlungsvorschläge unterbreitet haben. „So ist es zu passgenauen Personallösungen für die Unternehmen gekommen“, sagt Pries. „Die Firmen haben gemerkt, dass ältere Arbeitskräfte durchaus noch fit genug sind und mit ihrer Erfahrung das Unternehmen nach vorn bringen.“ Der größte Erfolg für die Arbeitsvermittler ist es, wenn Arbeitgeber gezielt nach älteren Arbeitnehmern für offene Stellen fragen.
Für Wiko-Inhaber Michael Brüchert war die Zusammenarbeit mit mitnmang neu. „Das war für mich eine neue und gute Erfahrung“, sagt er. „Alle Menschen müssen eine Chance bekommen und Herr Majewski passt gut in unser 20-köpfiges Team und macht einen guten Job.“
Der gelernte Radio- und Fernsehtechniker hatte zuvor bei einem Hamburger Einbauspezialisten für Hifi- und Multimedianlagen in Autos gearbeitet. Doch dass sein Wissen und seine Fertigkeiten in zwei Jahren Arbeitslosigkeit nicht einfach verloren gehen, wollte kaum einer glauben. Bei Wiko-Technik, das vor allem sehr flache Tastaturen herstellt, sind die Fertigkeiten von Majewski gefragt. „Das hier ist ein Familienunternehmen, da fühle ich mich wohl“, sagt er.
Das Ende von mitnmang kommt für die Zielgruppe zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Mit 20.490 Hamburger Arbeitslosen, die älter als 50 Jahre sind, wird 2015 der höchste Stand in dieser Gruppe in den letzten fünf Jahren erreicht. Gleichzeitig ist die Gesamtarbeitslosigkeit in der Hansestadt gesunken. Waren 2010 noch 75.490 Hamburger auf Jobsuche, so sind es in diesem Jahr im Schnitt 73.300. Die Arbeitslosenquote sank von 8,2 Prozent (2010) auf 7,4 Prozent.
Ohne spezielle Förderung wäre wahrscheinlich die Lage der älteren Arbeitslosen noch schlechter. Jetzt kommt diese Gruppe wieder in die Regelbetreuung, wie es im Behördendeutsch heißt, also in Jobcenter oder Arbeitsagentur. Die 40 Mitarbeiter von mitnmang in Hammerbrook, gehen zurück in die Jobcenter. „So bleiben ihre Kompetenzen erhalten“, sagt Pries. Die Erfahrungen aus dem Projekt sollen künftig auch das Regelgeschäft bestimmen.
Doch nur in einigen Standorten wird es weiter eine Spezialisierung auf die Kundengruppe 50plus geben. Sie sollen zudem von einem Bundesprogramm zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen profitieren, das vom Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert wird. Es beinhaltet Lohnkostenzuschüsse und Qualifizierungen. Aber einen speziellen Betreuungsschlüssel wird es für die älteren Arbeitnehmer nicht geben und in den Jobcentern steht eine neue Kundengruppe im Mittelpunkt, die nicht wegen ihres Alters, sondern aus vielen anderen Gründen ebenfalls schwierig zu vermitteln ist: die Flüchtlinge.
Grzegorz Majewski muss das nicht mehr kümmern. Er wächst mit seinen Anforderungen. „Wir werden ihm im nächsten Jahr noch anspruchsvollere Aufgaben in der Fertigung übertragen“, sagt sein Chef.