Hamburg. Wahlerfolg, aber Verlust der absoluten Mehrheit und dann das Olympia-Aus: Was Olaf Scholz mit Königin Elizabeth II. gemein hat.

Die britische Königin Elizabeth II. machte einst aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Als sich das Jahr 1992 seinem Ende zuneigte, sprach die Queen ganz bildungsbeflissen auf Latein von einem „annus horribilis“, einem schrecklichen Jahr. Da war eine ihrer Hauptresidenzen, Windsor Castle, fast abgebrannt, und es gab zudem in der royalen Verwandtschaft einige unschöne Ereignisse, die Elizabeth II. überhaupt nicht amüsierten.

Nun verbietet sich schon aus naheliegenden Gründen jeder Vergleich des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) mit der englischen Königin, auch wenn manche Zeitgenossen nicht aufhören mögen, Scholz wegen seiner ziemlich unumschränkten Macht in der SPD und der rot-grünen Koalition sowie seines hohen Ansehens in der Bevölkerung als „König Olaf“ zu bezeichnen. Nein, Hamburg ist ein Stadtstaat und stolz auf seine jahrhundertelange antimonarchische Tradition. Und das Rathaus steht ja auch noch zum Glück, völlig unbeschädigt.

Dabei hätte Scholz allen Grund, das fast abgelaufene Jahr 2015 – das fünfte seiner Amtszeit – als „Horrorjahr“ zu bezeichnen. Nur: Er würde es nie tun, eine solche Kategorisierung enthält sein Wortschatz nicht, jedenfalls nicht der öffentliche. Überhaupt: Emotionen zu zeigen, erst recht negative, gehört so gut wie nicht zum Instrumentenkasten des Politikers Scholz, bei dessen Auftritten vor Kameras und Mikrofonen Anzug, aufrechte Haltung, fester Blick und die kontrollierte Rede eine scheinbar unauflösliche Einheit bilden.

Rot-Grüner Koalitionsvertrag unterschrieben

Die neu ernannten Mitglieder des Senats (l-r) Till Steffen (Die Grünen), Peter Tschentscher (SPD), Detlef Scheele (SPD), Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), Frank Horch (parteilos), Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Katharina Fegebank (Die Grünen), Barbara Kisseler (parteilos), Dorothee Stapelfeldt (SPD), Ties Rabe (SPD), Michael Neumann (SPD) und Jens Kerstan (Die Grünen) stehen vor dem Gemälde
Die neu ernannten Mitglieder des Senats (l-r) Till Steffen (Die Grünen), Peter Tschentscher (SPD), Detlef Scheele (SPD), Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), Frank Horch (parteilos), Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Katharina Fegebank (Die Grünen), Barbara Kisseler (parteilos), Dorothee Stapelfeldt (SPD), Ties Rabe (SPD), Michael Neumann (SPD) und Jens Kerstan (Die Grünen) stehen vor dem Gemälde "Einzug des Senats" im Rathaus in Hamburg © dpa | Christian Charisius
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion © dpa | Christian Charisius
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion © dpa | Christian Charisius
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion © dpa | Christian Charisius
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, 2. v.r), Andreas Dressel (r), Vorsitzender der SPD-Fraktion, Katharina Fegebank, Parteivorsitzende der Grünen, und Jens Kerstan (l), Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion © dpa | Axel Heimken
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Aber: Wer hätte dem Bürgermeister am Abend des 29. November nicht einen Temperamentsausbruch verzeihen mögen? Das Referendum über eine Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Sommerspiele 2024 war aus Sicht des Bürgermeisters zwar knapp, aber eindeutig verloren gegangen, Olympia passé. Scholz hatte an vorderster Stelle mit seiner Partei, den Grünen, CDU und FDP, mit dem Sport, der Handelskammer, weiten Teilen der Wirtschaft und vielen anderen Engagierten für das Jahrhundertprojekt geworben. Lange sah es so aus, als ob die Hamburger diese einmalige Offerte zur Weiterentwicklung ihrer Stadt nicht in den Wind schlagen würden.

Und dann das: 51,6 Prozent Neinstimmen und nur 48,4 Prozent Zustimmung. „Blamage“, „Desaster“, „größte Klatsche seiner Amtszeit“ – das sind nur einige der Kommentare zum Ausgang der Volksabstimmung. Und der Bürgermeister? „Die Hamburger haben eine Entscheidung getroffen, die wir uns nicht gewünscht haben“, sagte Scholz extrem unterkühlt in geradezu minimalistischer Brillanz. Very British. Nur der leere Gesichtsausdruck des Bürgermeisters verriet dann doch seine Fassungslosigkeit über das Ergebnis.

Dabei hatte das Jahr nicht einmal schlecht für Scholz begonnen. Der Bürgermeister und die SPD deklassierten mit 45,6 Prozent die politischen Mitbewerber bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar: Die CDU landete mit schmachvollen 15,9 Prozent weit ab­geschlagen auf Platz zwei. Aber: Mit 56,5 Prozent sank die Wahlbeteiligung auf einen historischen Tiefstand. Hier steht die parlamentarische Demokratie, die Bürgerschaft, vor einer immensen Herausforderung, will sie nicht ihr Prädikat „repräsentativ“ verlieren.

Und: Der große Traum des Bürgermeisters – die Wiederholung der absoluten Mehrheit – war zerplatzt. Alleinregierer Scholz und seine SPD wurden in ein rot-grünes Bündnis gezwungen. Wie schwer es Scholz fiel, nun auch andere als seine eigenen Ideen zum Gegenstand von Senatshandeln zu machen, zeigte sein berühmt gewordener Satz zu Beginn der Koalitionsverhandlungen: „Es geht nicht um einen Umbau, sondern einen Anbau.“

Dennoch rauften sich Rote und Grüne bemerkenswert schnell und weitgehend geräuschlos zusammen, Letzteres gilt für die Arbeit in der Koalition ganz überwiegend bis auf den heutigen Tag. Und Scholz lernte schnell, das grüne Lied zu singen. Ausschmückend kann er über die Vorzüge der Fahrradhauptstadt sprechen, die Hamburg im Laufe der nächsten Dekade nach grünem Willen werden soll.

Der grüne Koalitionspartner dankte solch freundliches Entgegenkommen dem Bürgermeister und der SPD mit der Unterstützung der anfangs ungeliebten Olympiabewerbung, dem Verzicht auf die Stadtbahn und manches andere grüne Lieblingsprojekt.

Und die Grünen mussten mitziehen bei der seit Jahren geplanten Elbvertiefung und sitzen nun mit im Boot bei den milliardenschweren Rettungsversuchen für die HSH Nordbank oder dem staatlichen Engagement für die Traditionsreederei Hapag-Lloyd.

Nebenbei: Wenig vergnüglich war das Jahr für Scholz und den Senat auch deswegen, weil sich die Hängepartie vor dem Bundesverwaltungsgericht in Sachen Elbvertiefung weiter hinzieht. Die Umschlagszahlen des Hafens sinken, und die mobilere Konkurrenz Rotterdam oder Antwerpen zieht davon.

Scholz ging im Wesentlichen mit demselben Senatsteam in die zweite Runde. Nur Jutta Blankau (Stadtentwicklung und Umwelt) und Jana Schiedek (Justiz) räumten freiwillig ihre Posten und machten so grünen Senatoren Platz. Neben Katharina Fegebank (Wissenschaft, Zweite Bürgermeisterin) und Till Steffen (Justiz) rückte Jens Kerstan (Umwelt) auf die Senatsbank, für den die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt kurzerhand geteilt wurde. Der Bürgermeister hält sich an die Regierungsmaxime aus seiner ersten Amtszeit: nie ein schlechtes Wort über ein Senatsmitglied in der Öffentlichkeit! Diese praktizierte Solidarität nach außen sorgt für Stabilität des Koalitionsgetriebes.

Internationale Pressestimmen zum Referendum

Le Monde (Frankreich)

Das ist die zweite Niederlage einer deutschen Olympia-Bewerbung innerhalb von nur zwei Jahren. Zuvor hatten schon die Münchner gegen die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2022 gestimmt. Im März hatte das Olympische Komitee Hamburg Berlin vorgezogen, weil sie in der Hansestadt mehr Unterstützung erhofften als in der Metropole.

L'Equipe (Frankreich)

Paris hat einen Gegner weniger im Rennen um die Ausrichtung der Olympischen Spiele von 2014. Bleiben nur noch Los Angeles, Rom und Budapest.

Le Figaro.fr (Frankreich)

Das ist eine Schmach für den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland Alfons Hörmann. Noch vergangene Woche hat er auf den entscheidenden Elan des deutschen Sports auf allen Ebenen beharrt.

La Stampa (Italien)

 Rom verliert eine Rivalin für die Spiele 2024. Und es gibt da nichts zu feiern. (...) Vier Städte bleiben im Rennen: Rom, Paris, Los Angeles und Budapest. Und es bleibt die Gewissheit, dass Olympische Spiele im Augenblick nicht all zu sehr geschätzt werden.

La Repubblica (Italien)

Hamburg 2024 ist bei den Bürgern durchgefallen. Es bleiben noch drei Gegner für Rom im Rennen um die Olympischen Spiele 2024.

Corriere della Sera (Italien)

Für Deutschland ist es der zweite ins Leere laufende Olympiaversuch der letzten zwei Jahre.

Lidove noviny (Tschechien)

Für Olympia in London hatte die britische Regierung rund neun Milliarden Euro ausgegeben. Hamburgs Organisatoren rechneten damit, dass ihre Spiele gut zwei Milliarden Euro weniger kosten würden. Die Kritiker des Olympia-Konzepts verwiesen indes darauf, dass das Londoner Budget in einem Punkt um ein Vielfaches höher war, nämlich der Sicherheit. Dabei dürfte ihre Bedeutung nach den Ereignissen von Paris noch erheblich zunehmen.

Hannoversche Allgemeine

Eine der wohlhabendsten Städte des Kontinents traut sich also nicht zu, ein Sportfest für die Welt auszurichten. Es wird nun womöglich wieder in den USA oder gar in einer jener Diktaturen stattfinden, die weder auf ihre Bevölkerung noch auf die Umwelt irgendeine Rücksicht nehmen. Die intelligente, sanfte und die Stadt schonende Planung aus Hamburg kommt hingegen nicht zum Zug. Auch das haben die Wähler gestern mitentschieden. Trotz des fast schon trotzigen Positiv-Votums aus dem kleinen Kiel trägt dieser Sonntagabend eine traurige Botschaft in die Welt: Mit Deutschland ist bei großen, weltumspannenden Sportereignissen erst einmal nicht mehr zu rechen. Wie schade. Wie klein.

Weser Kurier (Bremen)

München wollte nicht, und Hamburg will nun auch nicht. Nach der anfänglichen Euphorie für die Olympia-Bewerbung im Jahr 2024 ist das eine faustdicke Überraschung. Und das Nein ist noch eines: sehr schade. Nicht nur, weil Sport-Deutschland damit das Signal sendet, kein Ort mehr für weltverbindende Sport-Großveranstaltungen sein zu wollen. Nein, schade ist es auch, weil offensichtlich die Terror-Attentate von Paris und das später abgesagte Fußball-Länderspiel gegen die Niederlande ihre Wirkung entfalten konnten. Man könnte auch sagen: Die Terroristen haben auch in Hamburg geschafft, was sie wollten - Angst verbreiten. Die ehemalige Hockey-Nationalspielerin Britta Becker nannte das Votum "ein bisschen mutlos". Ein bisschen? Sicher, der Sport und auch die Politik dürfen sich nach dem Votum auch an die eigene Nase fassen. Ob Fifa-Korruptionsskandal, das angeblich gekaufte Fußball-Sommermärchen, flächendeckendes Doping in der russischen Leichtathletik - nicht gerade Themen, die eine Stimmung der Sportbegeisterung in der Bevölkerung erzeugen können. Und die Politik? Sie trug zur Verunsicherung bei, weil bis zum Ende nicht klar war, welche Kosten denn nun auf die Hamburger zukommen und wie viel der Bund übernehmen würde. Das war dilettantisch vorbereitet, sowohl von Bürgermeister Olaf Scholz als auch von "Sportminister" Thomas de Maizière. Nun denn, die Bürger haben gesprochen. Hamburg wird sein Tor zur Welt nicht aufmachen, und Bremen darf seinen Schlüssel zum Tor nicht umdrehen. Schade, aber immerhin basiert das Nein auf einem Referendum. Wenigstens was.

Landeszeitung (Lüneburg)

Das Referendum war auch eine Abstimmung über die Frage: Passen milliardenteure Großveranstaltungen und Demokratien noch zusammen? Die Antwort: nein. Zumindest passen sie nicht so zusammen, wie es sich die Weltsportverbände, allen voran IOC und FIFA, vorstellen. Von Korruptionsvorwürfen rund um die Vergaben der Groß-Events einmal abgesehen, sorgen die Dreistigkeit und Selbstherrlichkeit der Sportfunktionäre für Olympia-Verdruss. Die Forderung nach Steuerbefreiungen, mit der sich die Verbände wie selbstverständlich über das Gesetz des jeweiligen Landes erheben, und die das Abwälzen der Kostenübernahme auf die veranstaltende Stadt sind da nur zwei Stichworte. So etwas lassen sich die Menschen, die in diesen unruhigen Zeiten andere Themen bewegen, nicht mehr gefallen.

Dithmarscher Landeszeitung (Heide)

Der Zeitpunkt des Referendums war unglücklich. Seit den Attentaten von Paris spielen Sicherheitsbedenken eine viel größere Rolle... Die Megaveranstaltung ist leider gestorben. Aus den Trümmern der Bewerbung lässt sich aber vielleicht noch etwas Brauchbares für den Sport, die Infrastruktur und die Zusammenarbeit von Hamburgern und Schleswig-Holsteinern zusammenbasteln.

Berliner Zeitung

Für den deutschen Sport ist das Ergebnis verheerend. Einmal mehr ist es den Verbänden und ihren Funktionären nicht gelungen, ihrem anspruchsvollen und gewiss auch kostspieligen Vorhaben zu der nötigen demokratischen Legitimation zu verhelfen. Im Falle Hamburgs mögen die Gründe vielfältig sein. Die weiterhin als große Belastung empfundene Flüchtlingssituation und die akute Terrorgefahr haben den Stimmungspegel zuletzt nicht in Richtung Olympia ausschlagen lassen. Am Ende haben es die Olympia-Befürworte nicht vermocht, die Befürchtungen der Skeptiker zu zerstreuen. Ein olympisches Sommermärchen wird es nicht geben. Nicht in Hamburg, und auf absehbare Zeit wohl auch in keiner anderen deutschen Stadt.

Stuttgarter Nachrichten

Allen optimistischen Prognosen zum Trotz: Hamburgs Bürger haben den olympischen Traum in der Elbe versenkt. Aus und vorbei. Das ist schade, aber kein Weltuntergang. Und der Sport wäre ein schlechter Verlierer, würde er die Ursachen seines Scheiterns nicht in erster Linie bei sich selbst suchen. Natürlich drückt der Flüchtlingsstrom auf die Stimmung, die Terroranschläge von Paris schüren diffuse Ängste. Aber das eindeutige Nein der Hansestadt zu einer Olympia-Bewerbung hat tieferliegende Gründe. Die Welt des Spitzensports hat zunehmend Probleme, sich zu legitimieren.

Rheinische Post (Düsseldorf)

Hamburg will Olympia nicht. Es gab reichlich gute Gründe, der Bewerbung um die Spiele 2024 ablehnend gegenüberzustehen: die Milliardenkosten, die wachsende Terrorgefahr, die Ungewissheit angesichts der Flüchtlingsproblematik, die Korruption bei großen Sportverbänden, dazu die speziellen Hamburger Erfahrungen mit dem Großprojekt Elbphilharmonie. Alles richtig, aber alles zu kurz gedacht. Die Bürger haben es verpasst, ein Zeichen für Optimismus und Schaffenskraft zu setzen. Von einer kraftvollen Bewerbung hätten Impulse ausgehen können, die ins ganze Land hätten ausstrahlen können - und zwar weit über den Sport hinaus. Olympia hätte ein Leuchtturm-Projekt für Deutschland werden können, so wie es London 2012 in Großbritannien war. Auf absehbare Zeit wird es keine deutsche Bewerbung mehr geben können, nachdem die Bayern vor zwei Jahren einen Anlauf auf die Winterspiele 2022 gestoppt haben. Dabei wäre damals eine Kandidatur angesichts der schwachen internationalen Konkurrenz wie ein Elfmeter ohne Torwart gewesen. In Sachen Olympia ist Deutschland zu zaghaft. Schade.

Westfalen Post (Hagen) 

Es ist ein Nein. Die Bürger in Hamburg wollen die Olympischen Spiele 2024 nicht. Es ist ein Nein zu den Chancen, denn die hatte es ja auch gegeben: Stadtentwicklung zum Vorzugstarif zum Beispiel. Aber die Menschen wollen es nicht. Nicht die Baustellen, nicht die Umstände, nicht die Kosten. Hamburg liegt damit auf einer Linie mit München, das hinsichtlich der Winterspiele 2022 schon dankend abgelehnt hatte. Das bedeutet: Die Menschen in Deutschland sehen es nicht mehr ein, warum Milliarden ausgegeben werden sollten für ein zweiwöchiges Sport-Ereignis, wenn Geld überall sonst fehlt: Bei der Bildung, bei der Integration, in der Infrastruktur. Wer will es den Menschen verdenken? Gerade in einer Zeit, in der so deutlich wie nie zu Tage tritt, wie intransparent, gierig und schmierig der Sport, seine Verbände und Organisationen sein können. Es ist ein kluges Nein dem unkalkulierbaren Milliarden-Wahnsinn in unübersichtlichen Zeiten. Aber es ist damit indirekt auch ein Nein dem Sport. Denn Deutschland wird eine Großveranstaltung dieser Art in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr aus nächster Nähe zu Gesicht bekommen. Für die Förderung des Sports und seine Vielfalt in Deutschland war das Hamburger Referendum eine Niederlage. 

Schwäbische Zeitung (Ravensburg) 

Olympische Winterspiele in Peking? Schon wieder in China? Nein, das darf nicht sein! Eine Fußball-WM in Katar? Geht gar nicht! Igittigitt! Es wurde und wird in Deutschland viel geschimpft über die Vergabe von Sportveranstaltungen an Länder, deren Machthaber mit Demokratie wenig bis gar nichts am Hut haben. An Länder, deren Klima nur bedingt für die betroffenen Spitzensportler geeignet ist. Genau wie die Münchner vor zwei Jahren haben am Sonntag nun auch die Hamburger Bürger gegen die Bewerbung ihrer Stadt um Olympische Spiele gestimmt. Das ist ebenso nachvollziehbar wie ärgerlich. Natürlich ging nach den Terroranschlägen von Paris die Angst um, dass auch Olympia an der Elbe zum Ziel von Anschlägen werden könnte. Natürlich hat der Dopingskandal um die russischen Leichtathleten ein schlechtes Licht auf eine olympische Kernsportart geworfen. Natürlich leidet der Spitzensport unter den Korruptionsaffären, die ans Licht kommen. Und auch, wenn der aktuellste Skandal aus dem Bereich des Fußball stammt, dürfte die Sommermärchen-Affäre der Sargnagel für Hamburgs Bewerbung gewesen sein. Wie gesagt: Es gibt Gründe, gegen Olympia zu sein. Und dennoch: Alles abzulehnen, was zunächst eine größere Investition erfordert, ist der falsche Weg. So schnell dürfte es keine deutschen Bewerbungen um Olympia oder Fußballturniere mehr geben. Doch soll Deutschland zum Land der Bedenkenträger werden? Darf gar nicht mehr groß gebaut und gedacht werden? Gegen jede Startbahn wird gekämpft, gegen jeden Bahnhof und demnächst, polemisch gesagt, gegen jede Bushaltestelle. Und immer, auch bei Olympia, wird dieses fürchterlich destruktive und zukunftsfeindliche "Es gibt Wichtigeres zu tun"-Argument ins Feld geführt. Doch sich heute zu verweigern, bedeutet eben auch, in der Zukunft nicht mehr vorne dabei zu sein. Anstatt zu beweisen, dass Deutschland es besser machen würde als andere, lässt man es halt sein. Zur Demokratie gehört, eine Mehrheitsentscheidung zu respektieren. Traurig ist sie trotzdem.

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Im Oktober verliert Scholz allerdings den Nimbus, dass keiner seiner Senatoren im laufenden Geschäft zurücktritt. Mit Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), der an die Spitze der Bundesanstalt für Arbeit nach Nürnberg wechselt, verlässt ein krisen­gestähltes Schwergewicht den Senat. Scheele geht auf dem Höhepunkt der Krise, die durch den sprunghaften Anstieg der Zuwanderung von Flüchtlingen ausgelöst wird, für deren Unterbringung die Sozialbehörde zusammen mit der Innenbehörde zuständig ist. Wenn deren Chef Michael Neumann (SPD, auch für Sport verantwortlich), wie es sich abzeichnet, Anfang des kommenden Jahres vor allem wegen seines Frusts über das Olympia-Aus seinen Posten aufgibt, dann müssen zwei Senatsneulinge das derzeit und auf absehbare Zeit wohl heikelste operative Geschäft im Rathaus managen.

Geschlossen nahm Rot-Grün die Herausforderung der Flüchtlingskrise an

Dabei steht die neue Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) ohnehin schon wenige Wochen nach Amts­antritt unter Druck: Mit dem 13 Monate alten Tayler starb Mitte Dezember infolge eines schweren Schütteltraumas schon wieder ein unter staatlicher Obhut stehendes Kind in Hamburg. Unter Verdacht stehen die leibliche Mutter und deren Freund.

In der Flüchtlingskrise schweißt die Not SPD und Grüne zusammen: In bemerkenswerter Geschlossenheit hat die Koalition die Herausforderung angenommen, dass 2015 mehr als 20.000 Menschen zusätzlich untergebracht werden mussten. Es gab zum Teil unwürdige Szenen, wenn den Ankommenden nicht schnell genug Quartiere zugewiesen werden konnten oder Unterkünfte wie Baumärkte übliche Standards nicht erfüllten. Szenen wie etwa in Berlin, wo Hunderte Flüchtlinge im Freien kampieren, gab es in Hamburg immerhin nicht.

Die Linie, das Alltagsleben der Hamburger möglichst nicht zu beeinträchtigen und Flüchtlinge zum Beispiel nicht in Turnhallen einzuquartieren, wird durchgehalten. Andererseits: Es fällt Politikern und Verwaltung immer schwerer, bei den Bürgern vor Ort für Akzeptanz zu sorgen, zumal wenn aus einer Unterkunft für 500 Menschen plötzlich eine für 1000 oder 1500 werden soll. Immer häufiger werden die Verwaltungsgerichte angerufen, die nicht selten zugunsten der Anwohner entscheiden.

Olympia-Referendum: Der Tag der Entscheidung

Enttäuschte Gesichter bei Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz and DOSB-Chef Alfons Hörmann
Enttäuschte Gesichter bei Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz and DOSB-Chef Alfons Hörmann © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Frederik und Gerrit Braun (Miniatur Wunderland) mit Nikolas Hill, Geschäftsführer der Hamburger Olympia-Bewerbungsgesellschat
Frederik und Gerrit Braun (Miniatur Wunderland) mit Nikolas Hill, Geschäftsführer der Hamburger Olympia-Bewerbungsgesellschat © Roland Magunia | Roland Magunia
Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt und Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke
Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt und Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke © WITTERS | ValeriaWitters
Moderator Lou Richter, Vorstandsvorsitzender Dietmar Beiersdorfer (HSV), Helmut Schulte, Ex-Sportchef vom FC St. Pauli
Moderator Lou Richter, Vorstandsvorsitzender Dietmar Beiersdorfer (HSV), Helmut Schulte, Ex-Sportchef vom FC St. Pauli © WITTERS | ValeriaWitters
v.l. Gerrit und Frederik Braun (Miniatur Wunderland)
v.l. Gerrit und Frederik Braun (Miniatur Wunderland) © WITTERS | ValeriaWitters
Dr. Nikolas Hill (Bewerbungsgesellschaft Hamburg 2024)
Dr. Nikolas Hill (Bewerbungsgesellschaft Hamburg 2024) © WITTERS | ValeriaWitters
Die Ex-Hockeyspieler Britta Kerner-Becker und Michael Green
Die Ex-Hockeyspieler Britta Kerner-Becker und Michael Green © WITTERS | ValeriaWitters
Die Party zum Olympia-Referendum in der Barcleycard Arena Arena:  HSV-Handballer Johannes Bitter und Unternehmer Alexander Otto
Die Party zum Olympia-Referendum in der Barcleycard Arena Arena: HSV-Handballer Johannes Bitter und Unternehmer Alexander Otto © Roland Magunia | Roland Magunia
Auch Edina Müller, Nationalspielerin im Rollstuhlbasketball, ist zu der Party gekommen
Auch Edina Müller, Nationalspielerin im Rollstuhlbasketball, ist zu der Party gekommen © Roland Magunia | Roland Magunia
Gäste in der Arena:  Rüdiger Kruse (CD) und Hans-Jörg Schmidt-Trenz (Handelskammer Hamburg)
Gäste in der Arena: Rüdiger Kruse (CD) und Hans-Jörg Schmidt-Trenz (Handelskammer Hamburg) © Roland Magunia | Roland Magunia
Lightshow in der Barcleycard Arena: Die Olympia-Befürworter warten auf die Bekanntgabe des Ergebnisses
Lightshow in der Barcleycard Arena: Die Olympia-Befürworter warten auf die Bekanntgabe des Ergebnisses © WITTERS | ValeriaWitters
Ein Musiker in einem Wahllokal in einer Stimmkabine
Ein Musiker in einem Wahllokal in einer Stimmkabine © dpa | Axel Heimken
Seit 8 Uhr sind die Wahllokale in Hamburg und Kiel geöffnet
Seit 8 Uhr sind die Wahllokale in Hamburg und Kiel geöffnet © dpa | Axel Heimken
Noch bis 18 Uhr können die Bürger über die Olympia-Bewerbung abstimmen
Noch bis 18 Uhr können die Bürger über die Olympia-Bewerbung abstimmen © dpa | Axel Heimken
Ein Wahlhelfer händigt einem Bürger in einem Wahllokal Wahlunterunterlagen aus
Ein Wahlhelfer händigt einem Bürger in einem Wahllokal Wahlunterunterlagen aus © dpa | Axel Heimken
Eine Hamburgerin gibt ihre Stimme ab
Eine Hamburgerin gibt ihre Stimme ab © dpa | Axel Heimken
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Hinzu kommt der Streit über die Großunterkünfte, mit denen der Senat das Kapazitätsproblem nun lösen will. Egal, ob bis Ende 2016 alles in allem rund 80.000 Flüchtlinge untergebracht werden müssen, wovon der Senat ausgeht, oder ob es weniger sein werden: Ein entscheidender Gradmesser für eine erfolgreiche Koalitionspolitik wird im kommenden Jahr sein, ob es gelingt, Verständnis für die Zwangslage zu wecken und zu einem Konsens mit den Anwohnern neuer Flüchtlingsunterkünfte zu kommen. Bürger und Politiker müssen noch viel stärker ins Gespräch kommen.

Womit wir wieder bei Olympia wären: Auch da hat die Kommunikation zwischen dem Rathaus und den Bürgern offensichtlich nicht sehr gut funktioniert. Jedenfalls hat das Volk beim Referendum Senat und Bürgerschaftmehrheit die Rote Karte und der Politik damit die Grenzen aufgezeigt. Allein: Diese Botschaft scheint im Rathaus nicht wirklich angekommen zu sein. Auf der Senatssitzung zwei Tage nach dem Referendum wurde schon die neue Losung unter den rot-grünen Koalitionspartnern ausgegeben. „Das Motto heißt: Wir reden nicht mehr drüber“, sagte ein Behördenchef mit SPD-Parteibuch. Das klingt nach einer beinahe kindischen Trotzreaktion. Dabei wäre nichts falscher, als sich einer Ursachen- und Fehleranalyse zu verweigern. Sportsenator Neumann, mit ganzem Herzen bei der Olympiakampagne, sagte in einer nachdenklichen Rede vor der Bürgerschaft, die Erfolgsgewissheit des breiten Olympiabündnisses sei vielleicht schon der Keim für die Niederlage gewesen. Es habe möglicherweise an der Sensibilität gefehlt, die Bedenken und Ängste der Bürger ernst genug zu nehmen.

Die Verweigerung der öffentlichen Debatte kann Glaubwürdigkeit kosten

Scholz beteiligte sich nicht an der Diskussion über Gründe für das Olympia-Aus, und er setzte noch einen drauf. Auf die Frage des Abendblatts, welchen Fehler er bei sich sehe, sagte Scholz allen Ernstes: „Insbesondere aus dem deutschen Sport haben wir immer wieder gehört, dass Hamburg alles richtig gemacht habe.“ Das kann angesichts des Ergebnisses ja wohl kaum der Fall sein, und Scholz weiß das selbstverständlich. Allein: Seit seinem Amtsantritt als Bürgermeister hat er nie einen Fehler in einem wichtigen Punkt eingeräumt oder einen Meinungswechsel vorgenommen. Scholz geht davon aus, dass die Bürger ein solches Verhalten als Schwäche auslegen. Die Kehrseite: Die Verweigerung einer öffentlichen Debatte kann Glaubwürdigkeit kosten.

Auf einen sehr kurzen Nenner gebracht, war der zentrale Fehler der Olympiaplanungen, dass Hamburg den Bund nicht schon sehr frühzeitig in der Frage der Finanzierung mit einer konkreten Zusage ins Boot holen konnte. Wer die Kosten für die Spiele übernimmt, war bis zuletzt offen. Da mochten offenbar viele Wähler nicht die Katze im Sack kaufen – zu Recht.

Es ist illusorisch zu glauben, das Rad ließe sich zurückdrehen: Die plebiszitären Elemente sind heute fester Bestandteil der Demokratie. Richtig ist zwar, dass kein Bürgermeister, keine Bürgerschaft so bald wieder ein Referendum abhalten werden, nur um sich eine blutige Nase zu holen. Aber in einer Stadt wie Hamburg mit aktiven politischen Milieus lässt sich relativ schnell eine Volksinitiative organisieren – und häufig zum Erfolg führen. Beispiele liefern die gescheiterte Primarschulreform 2010 oder der Rückkauf der Energienetze 2013.

Ob Flüchtlingsquartiere oder prestigeträchtige Großprojekte: Mehr denn je muss es in der Politik darum gehen, die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen und gleichwohl versuchen zu überzeugen. Ohne Sinn für das Gemeinwohl geht es nicht, die Summe der Partikularinteressen ergibt kein Ganzes.

Regieren ist komplizierter geworden, das ist eine Lehre von 2015.