Hamburg. Eine Niendorferin wurde fälschlicherweise für dement erklärt und musste vier Jahre kämpfen, um wieder selbstständig zu leben.
In Hamburg steigt die Zahl der Beschwerden über Fehlverhalten von gesetzlich bestellten Betreuern. Wie besonders dramatische Fälle zeigen, die dem Abendblatt geschildert wurden, dringen Betroffene mit ihren Einwendungen nur selten durch. In Hamburg gab es zuletzt rund 24.000 Betreuungsverfahren. Im Jahr 2014 wurden bei den hiesigen Gerichten 8700 neue Anträge auf Betreuung hilfsbedürftiger Menschen gestellt. Wegen der gestiegenen Zahl alter Menschen und der Auflösung traditioneller Familienstrukturen hat sich die Zahl der Betreuungen in Deutschland in den vergangenen Jahren auf 1,3 Millionen mehr als verdoppelt.
Auch Christa Lange aus Niendorf erlebte den Albtraum von Millionen Deutschen, die sich vor Krankheit und einem fremdbestimmten Leben als Pflegefall fürchten: Die 69-Jährige brach nach dem Tod ihres Partners zusammen, fiel ins Koma und kam von der Intensivstation ins Pflegeheim, kaum dass sie wieder bei Bewusstsein war. Sie stand unter starken Medikamenten, konnte sich kaum artikulieren und wurde für dement erklärt – eine beinahe fatale Fehldiagnose.
Ein Richter bestellte für sie eine gesetzliche Betreuerin. Diese löste die Wohnung auf, ließ die Möbel abholen und bestimmte fortan über die bis dato selbstständige Frau. Nach vier Jahren eines scheinbar aussichtslosen Kampfes mit Gerichten, Gutachtern und vermeintlichen Helfern konnte Christa Lange sich aus der „Zwangsbetreuung“ befreien. Das aber gelingt nur wenigen, die sich von gesetzlichen Betreuern lösen wollen.
Der Leitartikel des Hamburger Abendblatts zur Betreuung
Betreuungsverfahren finden normalerweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, auch um die Menschen zu schützen. Selten wird ein Fall offenkundigen Fehlverhaltens öffentlich. Als das Abendblatt im September über eine vermögende Dame von der Elbchaussee berichtete, die mutmaßlich von ihrer Betreuerin abgeschottet wurde, meldeten sich Dutzende Leser mit Dokumenten über krasse Fälle, in denen gerichtlich bestellte Betreuer ihre Klienten offenbar ausnehmen, sie gegen deren Willen in neue Einrichtungen verfrachten oder sich nicht in ihrem Sinne kümmern.
Der Geschäftsführer des Bundesverbands der Berufsbetreuer, Harald Freter, sagte dem Abendblatt, man fordere für Betreuer seit Jahren verbindliche Qualitätskriterien. „Betreuung – das kann nicht jeder.“ Der Verband biete ein Beschwerdesystem und Schlichtungsverfahren. Zugleich versichert Freter, dass die meisten Betreuer ordentliche Arbeit leisteten. Der Hamburger Betreuungsexperte Peter Schulz spricht im Abendblatt über den Verdacht von Erbschleicherei und Kungelei bei Betreuern. „Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass in solchen Fällen der Partner oder die Kinder alles regeln könnten. Ohne Vorsorgevollmacht sind sie rechtlich handlungsunfähig."