Hamburg. Die Juristin Sylvia Schenk spricht über die Weltverbände des Sports, und warum Hamburg Olympia ausrichten sollte.

Die Juristin Sylvia Schenk, Olympiateilnehmerin 1972 in München über 800 Meter, 2001–2004 Präsidenten des Bunds Deutscher Radfahrer, leitet die Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International. Sie zählt zu den profiliertesten Compliance-Expertinnen in Deutschland.

Hamburger Abendblatt: Frau Schenk, Ihre Meinung war zuletzt sehr gefragt, wenn es um die Hamburger Olympiabewerbung ging, aber auch angesichts zahl­reicher Skandale im Sport wie bei der Fifa, dem DFB und in der Leichtathletik. Ist die Häufung dieser Vorfälle Zufall?

Sylvia Schenk: Der Sport macht jetzt das durch, was in der Wirtschaft vor zehn, zwölf Jahren begonnen hat. Da hat es auch eine Welle gegeben, in der Dinge aus der Vergangenheit ans Licht kamen. Irgendwann war klar, dass auch beim Sport der Investigationsdruck groß wird. Und natürlich haben damit auch diejenigen Rückenwind erhalten, die im Sport gesagt haben, wir wollen endlich mal ein paar Sachen aufklären.

Sind Sie nicht verwundert über die Anzahl der Skandale?

Schenk : Der Kampf gegen Korruption hat weltweit erst vor 20 Jahren begonnen. Transparency International wurde 1993 gegründet, um Korruption auf die internationale Agenda zu bringen. Bis Ende 1996 konnte die Auslandsbestechung in Deutschland von den Steuern abgesetzt werden. Strafbar ist sie erst seit 1998. Unser Blick darauf, was ist Korruption, hat sich innerhalb kurzer Zeit rasant gewandelt. Man weiß heute, dass Korruption größte Schäden anrichtet. Häuser stürzen ein, Giftmüll wird gegen Bestechungsgeld illegal abgelagert. Aber wir kriegen das als Umweltschäden irgendwann zurück. Das hat man erkannt. Der Sport hinkt dieser Entwicklung noch hinterher.

Jetzt kommen die Skandale bei der Fifa, beim DFB oder in der russischen Leichtathletik zutage. Warum sollen wir glauben, dass es ausgerechnet im IOC jetzt sauberer zugeht?

Schenk : Das IOC hatte den ganz großen Skandal 1999/2000. Da ging es um die Winterspiele in Salt Lake City 2002, die waren 1996 vergeben worden. Als Bestechung bekannt wurde, hat das IOC konsequent aufgeklärt. Wenn die Fifa das 2011 genauso gemacht hätte, wäre sie ein ganzes Stück weiter. Jetzt schleppt sie die Fragezeichen um Katar, Russland und anderes schon fünf Jahre mit sich herum. Das ist fatal. Das IOC hat damals die Strukturen grundlegend geändert, jetzt haben sie mit der Agenda 2020 noch mal einen Anlauf zu weiteren Verbesserungen genommen.

Aber einige auffällige Verbandschefs sind doch auch Mitglied im IOC?

Schenk : Ja. Das IOC hatte zunächst versäumt, über den eigenen engeren Bereich hinauszuschauen. Der suspendierte Fifa-Präsident Blatter war persönliches IOC-Mitglied, ebenso der ehemalige Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, Lamine Diack, auch Issa Hayatou, der amtierende Fifa-Präsident. Dem IOC gehören und gehörten Funktionäre an, die in ihren eigenen Verbänden bei Weitem nicht den Standard hatten, den das IOC erwartet. Aber die Agenda 2020 setzt da jetzt an.

Das ist aber nicht alles, was dem IOC vorgeworfen wird. Auch bei Fragen der Menschenrechte gibt es Zweifel. Olympische Spiele wurden oft genug an diktatorische Regime vergeben.

Schenk : Das IOC hatte lange Zeit einen sehr engen Blick auf die eigene Verantwortung bei Großveranstaltungen. Menschenrecht ist nicht nur, dass Athleten angemessen behandelt werden, sondern auch, wie man mit den Arbeitern umgeht, die die Stadien bauen. Da hat das IOC Versäumnisse – wie viele Unternehmen auch. Ich hoffe, dass sich über die Agenda 2020 Ähnliches entwickelt wie in der Wirtschaft seit dem Beschluss der Uno-Prinzipien für Menschenrechte und Business 2011. Ich sage nicht, dass alles in Ordnung ist, aber es ist eine Menge in Bewegung.

Und Sie glauben, dass bei einer Hamburger Bewerbung alles korrekt abläuft?

Schenk : Für mich ist die entscheidende Frage: Helfen wir mit, weiter in die richtige Richtung zu schieben, oder sagen wir ,Nein, wir finden alles schrecklich; und die sind sowieso alle korrupt‘ – und dann machen wir nichts. Olympische Spiele wird es trotzdem weiterhin geben. Und es wird auch wieder neue TV-Einschaltrekorde in Deutschland geben. Genauso wie es in Sotschi neue Rekorde gab, wo alle vorher gesagt haben, das ist ganz schrecklich: Putin und Demokratie und die Homosexuellenrechte und überhaupt. Da hat man dann im Vorfeld seine Empörung gehabt. Man muss sich halt überlegen: Will ich nur meckern, oder will ich aktiv dazu beitragen, dass es besser wird.

In den meisten Ländern der Welt gehört Korruption zum gesellschaftlichen Alltag. Das mahnt Transparency International immer wieder an. Warum sollte das im Sport anders sein?

Schenk : Deshalb wäre es naiv zu glauben, im Sport sei alles sauber, und überall woanders sei alles dreckig. Es fängt ja schon beim „Mensch ärgere Dich nicht“-Spiel an. Wenn der Papa mal nicht guckt, wird schnell mal ein Hütchen verstellt. Wer glaubt, der Sport sei eine Insel der Glückseligen, der hat sich immer etwas vorgemacht.

Ist es nicht ein wenig vermessen, wenn die Europäer da mahnend den Finger heben und ihre Standards in der Welt durchsetzen wollen?

Schenk : Joseph Blatter ist Schweizer, Michel Platini Franzose, Chuck Blazer, der als selbst beschuldigter Kronzeuge vieles aufgedeckt hat bei der Fifa, ist US-Amerikaner, Franz Beckenbauer ist ziemlich deutsch. Auch VW ist so was von deutsch. Von daher können wir nicht einfach sagen, das liegt an einer anderen Kultur.

Warum scheint das IOC in seinem Selbstreinigungsprozess und dem Kampf gegen dunkle Machenschaften den anderen Verbänden voraus? Gab es Druck der weltweiten Sponsoren, der Politik?

Schenk : Die Angst vor einem Weglaufen der Großsponsoren ist es weniger. Wir schauen ja alle wie verrückt zu und treiben dadurch die TV und die Sponsoren-Einnahmen weiter in die Höhe. Ich sehe nicht, dass wir in Deutschland aufhören, Olympische Spiele zu gucken, nur weil es grad ein paar Skandale gibt. Aber wenn das IOC seine Mission ernst nimmt, gibt es keine Alternative, als an diesen Themen selbst zu arbeiten.

Gibt es Unterstützung durch die Politik?

Schenk : Ja, aber es gibt auch falsche Signale. Wenn der für Sport zuständige Innenminister Thomas de Maizière wie im Sommer sagt, er will für dasselbe Geld ein Drittel mehr Medaillen, dann ist das eine Aufforderung zum Doping. Das ist dasselbe, was VW-Chef Martin Winterkorn gemacht hat, als er gefordert hat, bestimmte CO2-Werte zu erreichen. Dann haben die angefangen zu frisieren. 30 Prozent mehr Medaillen in einer Zeit zu fordern, in der immer mehr Länder Spitzensport ernsthaft betreiben und die Medaillen sich dadurch auf mehr Länder aufteilen, finde ich absurd. Wir wissen aus dem Anti-Korruption-Kampf, dass falsche Anreizsetzung Menschen dazu verführt zu betrügen.

Olympiakritiker warnen, eine Bewerberstadt wie Hamburg würde vom IOC ausgeplündert, die Forderungen im Host-City-Vertrag seien unzumutbar und gingen ausschließlich zulasten der Stadt, wenn wider Erwarten die Kosten stiegen.

Schenk : Das hat es bisher nirgendwo gegeben, dass das IOC im Nachhinein unzumutbare Forderungen in irgendeiner Form gestellt hat. Wenn man ehrlich ist, müsste man eher sagen, dass viele Bewerberstädte am Anfang den Mund zu voll nehmen, dann mit der Vergabe einen Vertrag unterschreiben. Der ist ja vorher fertig ausgehandelt, mit allen Maßnahmen, auch was wo wie gebaut wird. Danach stellen die Städte fest, wir kriegen es nicht hin, es wird zu teuer. So wie jetzt in Pyeongchang (Südkorea) vor den Winterspielen 2018. Die wollten eine Schnellbahn bauen, schaffen es aber nicht. Dann gibt es Verhandlungen mit dem IOC, was kann man noch wie bewerkstelligen. Eher gibt noch das IOC nach oder kommt den Städten entgegen. Das habe ich sehr viel häufiger erlebt als umgekehrt.

Die Befürchtung bleibt, und der Host-City-Vertrag bedient diese Einschätzung, dass das IOC nach dem Zuschlag dem Ausrichter die Bedingungen diktiert.

Schenk : Wenn das passieren sollte, ist das IOC für alle Zeiten bei allen anderen Städten untendurch. Dann könnten sie ja künftig nur noch zu Diktatoren gehen, die alles möglich machen. Und da habe ich auch immer noch die Hoffnung, dass die Diktatoren weniger werden auf dieser Welt.