Hamburg. Bürgermeister Scholz rechnet mit einer Einigung über die Olympiafinanzierung mit dem Bund. Finanzierung sei ein realistisches Szenario.

Es sind nur noch wenige Tage bis zur Entscheidung über die Hamburger Olympiabewerbung am 29. November. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hofft im Abendblatt-Interview trotz der Überlagerung durch andere Themen auf eine breite Zustimmung und bekräftigt, dass es bei der Obergrenze von 1,2 Milliarden Euro für den Hamburger Anteil bleibt.

Hamburger Abendblatt: Flüchtlinge, Fifa, DFB, HSH Nordbank, die Anschläge von Paris und noch immer keine Finanz­zusage des Bunds – ist die Olympia­kampagne stark genug, all diese Rückschläge auszuhalten?

Olaf Scholz: Die Kampagne ist stark genug, und im Übrigen bin ich der Überzeugung, dass die Hamburgerinnen und Hamburger die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 wollen. Wir haben uns die Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, nicht gewünscht. Andererseits müssen wir klar sagen, dass wir uns etwas so Großartiges wie Olympische Spiele, ein Fest der Jugend der Welt, nicht von Terroristen vermiesen lassen. Und: Ein Land, das nicht imstande ist, die Herausforderungen durch die Zuwanderung von Flüchtlingen zu bewältigen, hat auch keine Chance bei der Bewerbung um Olympische Sommerspiele.

Eine zentrale Frage nach Paris und Hannover ist, wie sicher Großveranstaltungen eigentlich noch sein können. Muss auch Hamburg für Olympia hochrüsten – mit Scharfschützen auf den Dächern, um nur ein Beispiel zu nennen?

Scholz: Olympische Spiele müssen wegen der immer vorhandenen potenziellen Gefährdung von vornherein besser geschützt werden als andere Großveranstaltungen. Insofern ist für die Besucher der Spiele und die Bürger mehr Sicherheit gewährleistet als bei Ereignissen, bei denen man mit solchen Gefährdungen nicht rechnen muss. Im Übrigen können wir uns bei Olympia jahrelang auf die Sicherheitslage vorbereiten.

Bislang sieht das Sicherheitskonzept freundliche und friedliche Spiele vor. Insofern sind die 460 Millionen Euro, die dafür einkalkuliert sind, ein eher unterer Mittelansatz. Kann man nicht doch jetzt schon sagen, dass das bei Weitem nicht ausreichen wird?

Scholz: Nein, niemand kann jetzt sagen, was 2024 erforderlich ist. Deshalb bin ich sehr vorsichtig. Unsere Kalkulation ist aufgrund guter Beratung erfolgt. Deswegen halten wir das für plausible Annahmen.

London hat im Jahr 2012 mit 1,2 Milliarden Euro für die Sicherheit erheblich mehr ausgeben müssen, als Hamburg jetzt vorsieht. Stimmt Sie das nachdenklich?

Scholz: Das zeigt, dass wir unsere Lagebilder immer wieder aktualisieren müssen.

Haben Sie einmal einen Moment darüber nachgedacht, die Hamburger Bewerbung aus Solidarität mit Paris nach den Anschlägen zurückzuziehen?

Scholz: Das würden unsere guten Mitbewerber gemeinsam nicht wollen. Die Antwort auf diese Situation ist, dass wir unsere Pläne und Vorhaben nicht ändern, sonst würden wir das Spiel der Terroristen spielen.

Sie haben mit 1,2 Milliarden Euro die Obergrenze für Hamburgs Anteil an der Finanzierung der Spiele festgelegt. Der Anteil des Bundes würde danach bei 6,2 Milliarden Euro liegen. Noch fehlt die Zusage. Wie viel Spielraum nach oben gestatten Sie sich denn noch, um zu einer Einigung zu kommen?

Scholz: Wir sind bei den Gesprächen mit dem Bund über die Kostenauf­teilung nicht so vorgegangen, dass wir niedrige Beträge genannt haben. Wir haben gesagt, dass wir 1,2 Milliarden Euro tragen können – das ist mehr als der Londoner Anteil von 900 Millionen Euro bei den Spielen 2012. Die 1,2 Milliarden sind ein sehr realistisches Szenario. Und die Tatsache, dass wir mit größtem Realismus agiert haben, wird dazu beitragen, dass wir zu einer Verständigung kommen. Die Gesamtbelastung für den deutschen Staat von 7,4 Milliarden Euro ist geringer als das, was in London 2012 angefallen ist, und geringer als der Anteil des britischen Zentralstaats. Das waren neun Milliarden Euro in den Preisen von 2024.

Trotzdem ist es doch ungewöhnlich, dass man in Verhandlungen wie jetzt mit dem Bund geht und das Ergebnis schon vorwegnimmt.

Scholz: Wir haben nicht das Ergebnis vorweggenommen, sondern eine Aussage getroffen. Den Bürgern steht vor dem Referendum über Olympia eine Aussage zur Finanzierung zu. Ich weiß, dass der Gesprächsprozess mit der Bundesregierung noch bis Anfang nächsten Jahres dauern wird und muss. Es ist vernünftig, dass sich der Bund Zeit dafür nimmt.

Was macht Sie so sicher?

Scholz: Wir sind in einer sehr guten Ausgangslage: Neun Jahre vor Olympia sind die Kosten so gut und präzise durchgerechnet wie nie zuvor. Wir haben die Preissteigerungen und mögliche Risiken eingerechnet, teilweise mit einem Zuschlag von 40 Prozent. Wir haben aus den Fehlern unserer Vorgänger in der Vergangenheit gelernt. Bei der Elbphilharmonie sind die Kalkulationen am Anfang niemals richtig gewesen. Dieses Konzerthaus hätte nie weniger als 600 Millionen Euro kosten können, so, wie es erstellt worden ist. Und das hätte man vorher sagen können und müssen.

Bleibt es dabei, dass Sie den Stecker aus der Bewerbung ziehen, wenn die Beteiligung des Bunds geringer als 6,2 Milliarden Euro ausfällt?

Scholz: Wir dürfen von 2020 an keine neuen öffentlichen Schulden mehr machen. Das schreibt die Verfassung uns vor. Ich werde nicht den Haushalt der Stadt ruinieren. Und ich habe auch gesagt, dass die soziale Infrastruktur nicht unter Olympia leiden darf. Es bleibt also bei gebührenfreien Kitas, der Lehrmittelfreiheit an Schulen oder beim gebührenfreien Studium.

Wir verstehen, dass der Hamburger Anteil von 1,2 Milliarden Euro aus Ihrer Sicht festgeschrieben ist. Worin besteht also der Spielraum für Verhandlungen mit dem Bund, außer im Nachvollzug Ihrer Zahlen durch den Bund?

Scholz: Es gibt einige Dinge, über die man sich unterhalten kann. Ein Beispiel: Die Bundesregierung könnte sagen, dass die Grundstückserlöse in der Olympiastadt viel höher ausfallen könnten. Vielleicht wäre manches Einzelprojekt auch für weniger Geld zu realisieren. Der Bund könnte sich jedes einzelne der 700 Projekte noch einmal anschauen. Erlauben Sie mir die folgende Bemerkung: Wenn ich bei den Vorhaben, die mir als Politiker gelungen sind, am Anfang immer auf die Journalisten-Frage „Was wäre, wenn es nicht so klappt, wie Sie es sich vorstellen?“ geantwortet hätte, wäre kein Projekt etwas geworden.

Wir hören aus Berlin, dass die Berechnungen im Prinzip in Ordnung seien. Aber die Hamburger Pfeffersäcke seien Pfiffikusse. Deswegen müsse man sehr genau hinsehen, damit nichts finanziert werde, was nicht zu Olympia gehöre.

Scholz: Das ist auch völlig in Ordnung. Ich will niemanden unter Druck setzen. Aber ich gehe jede Wette ein, dass es kein einziges Projekt gibt, an dem der Bund beteiligt werden soll, das wir machen würden, wenn es die Olympischen Spiele nicht gäbe.

Oder ist in Wahrheit schon alles klar, nachdem SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann in dieser Woche gesagt hat, an den 6,2 Milliarden Euro Bundesanteil werde die Hamburger Bewerbung nicht scheitern?

Scholz: Das zeigt jedenfalls, dass es auch in Berlin Unterstützer für die Bewerbung gibt.

Täuscht der Eindruck, dass sich die Olympiabegeisterung der Bundesregierung in engen Grenzen hält?

Scholz: Der Eindruck täuscht sehr. Alle sind sehr begeistert ...

.... davon bekommt man nur nichts mit ...

Scholz: Ich habe von allen Verantwortlichen Sätze wie diesen gehört: „Wenn ein demokratischer Staat wie Deutschland es sich nicht zutraut, Olympische Spiele auszurichten, dann ist aus unserer Gesellschaft der Zukunftsoptimismus entwichen.“

Wir können uns aus der letzen Zeit an kein öffentliches großes Wort für Olympia von Kanzlerin Merkel erinnern.

Scholz: Sie hat mir versichert, dass Sie die Spiele 2024 in Hamburg ganz toll findet. Es wäre auch sonst nicht zu erklären, dass sich der Bund zum ersten Mal seit vielen Jahren an der Bewerbungsgesellschaft beteiligt hat. Wir vergessen ein bisschen, dass sich Deutschland seit 1972 dreimal vergeblich um Olympia beworben hat.

Am 29. November endet das Referendum über Olympia. Was ist Ihr Ziel?

Scholz: Ich wünsche mir eine breite Zustimmung. Je mehr Bürgerinnen und Bürger sagen, das sind auch meine Spiele und die meiner Kinder und Enkelkinder, desto besser. Die Botschaft muss doch lauten: „Hey, Welt, schau: Wir stehen dahinter!“

Wird die Bewerbung auch bei einem knappen Ergebnis für Olympia fortgesetzt – Mehrheit ist Mehrheit?

Scholz: Das ist so. Aber ich wünsche mir schon gerade jetzt nach den jüngsten Ereignissen ein sehr deutliches Ergebnis. Das wird der Hamburger Bewerbung Rückenwind geben.

Was würde es für Hamburg bedeuten, wenn die Hamburger Olympia ablehnen?

Scholz: Auf eine der größten Chancen, als Metropole in der Spitzenliga der Welt mitzuspielen, hätten wir verzichtet. Hamburg ist schon jetzt eine großartige Stadt, aber wir können noch etwas mehr Dynamik gebrauchen.

Die Leser, die bei uns anrufen und gegen Olympia sind, sagen: „Ist doch schön, so, wie es ist, wir wollen gar nicht bekannter werden.“ Was sagen Sie denen?

Scholz: Es wird immer ungemütlich und unbequem, wenn man nicht mit der Zukunft verbunden ist. Wenn wir alles so lassen, wie es ist, dann werden wir auf Dauer mit weniger auskommen müssen und werden uns viele Dinge – auch was den sozialen Zusammenhalt betrifft –, die aus unserem Wohlstand finanziert werden, nicht mehr leisten können.

Wann haben Sie persönlich das erste Mal Feuer und Flamme gefangen? Sie sind ja ein bisschen zögerlich gestartet.

Scholz: Ich habe 2001 als Sportsenator schon die letzte Olympiabewerbung auf den Weg gebracht und die ersten Planungen beauftragt, auf deren Grund­lage sich der spätere Senat für die Olympiabewerbung entschieden hat. Schon damals habe ich die vorsichtige Antwort gegeben: „Das Herz ist dafür.“

Kann man die Olympischen Spiele ohne Stimmenkauf in eine Stadt holen?

Scholz: Ja. Und wenn es nur so ginge, kommen sie eben nicht nach Hamburg. Unsere Bewerbung ist komplett transparent.