Hamburg. Kollektiv namens „Moses & Taps“ besprüht 1000 Züge in 1000 Tagen. Auch die zugemauerte S-Bahn soll auf das Konto der Sprayer gehen.

Draußen auf den Nebengleisen rauschen Züge vorbei, aber die vermummten Männer sind seelenruhig. Sie verstreichen den Zement und schichten 17 eckige Steine aufeinander. Das geschieht am helllichten Tag, jeder kann sie bei der Arbeit sehen. In Minuten entsteht eine Mauer, mitten im Eingang eines Zuges der S 11. Die nächsten Fahrgäste am Bahnhof Barmbek tatschen mit einem Lächeln gegen die schweren Blöcke und die Schaumabdichtung.

Das Video von der Aktion schlägt einige Wochen später im Internet voll ein. „Was für ein Knaller“, schreibt ein Nutzer. Erst schmunzeln nur die Nutzer in Deutschland. Dann auch in England, Nordamerika, Japan. Inzwischen wurde das Video bei YouTube mehr als 700.000 Mal angesehen.

Für die Bundespolizei markiert die Aktion im April dieses Jahres den Beginn einer aufwendigen Fahndung. Gegen die S-Bahn-Maurer wird wegen Sachbeschädigung und Eingriff in den Bahnverkehr ermittelt. „Es sind mehrere Fachabteilungen und technische Spezialisten in die Ermittlungen eingebunden“, sagt Sprecher Rüdiger Carstens. Die Beamten werten jede Sekunde des Videos aus, befragten zahlreiche Zeugen.

Nach Abendblatt-Informationen gibt es nach sieben Monaten nun mehrere Spuren. „Wir gehen konkreten Hinweisen nach, die auf einen bestimmten Personenkreis hindeuten“, sagt Carstens. Die Deutsche Bahn könnte Schadenersatz fordern, die Beseitigung der Mauer soll etwa 7000 Euro gekostet haben. In Szenekreisen hält man diese Summe für „wie üblich übertrieben“. Den Tätern drohen wegen Sachbeschädigung und Störung des Bahnverkehrs maximal fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe.

Graffiti-Kunst in Hamburg

Siro KRKN malt stets das gleiche Motiv,
eine Krake, nur etwas anders
Siro KRKN malt stets das gleiche Motiv, eine Krake, nur etwas anders © Yvonne Weiß
Kuschelig weich hingegen sind die
Zitronen des Strickklubs
Kuschelig weich hingegen sind die Zitronen des Strickklubs © Klaus Bodig
Das Künstlerkolletiv Zonenkinder liebt
Arbeiten in der Natur
Das Künstlerkolletiv Zonenkinder liebt Arbeiten in der Natur © Zonenkinder
Das Duo „Zipper die Rakete“ fertigt
ihre Raketen aus Hartschaum
Das Duo „Zipper die Rakete“ fertigt ihre Raketen aus Hartschaum © Klaus Bodig
Das Duo „Zipper die Rakete“ fertigt
ihre Raketen aus Hartschaum
Das Duo „Zipper die Rakete“ fertigt ihre Raketen aus Hartschaum © Klaus Bodig | Klaus Bodig
Marshal Arts gestaltet subtile, oft
witzige Botschaften
Marshal Arts gestaltet subtile, oft witzige Botschaften © Yvonne Weiß
Gegen die (bunte) Wand: Marco Hosemann leitet die Street-Art-Führungen
durch
das Karoviertel und die Schanze, der größten Freiluftgalerie der Stadt
Gegen die (bunte) Wand: Marco Hosemann leitet die Street-Art-Führungen durch das Karoviertel und die Schanze, der größten Freiluftgalerie der Stadt © Klaus Bodig | Klaus Bodig
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In dem „Making-of-Video“ bekennt sich ein Graffiti-Kollektiv namens „Moses & Taps“ zu der Aktion. Laut Bundespolizei gibt es keine Hinweise darauf, dass es wirklich dahintersteckt. „Diese Aktion zeugt von absoluter Professionalität und würde zu denen passen“, heißt es dagegen aus Polizeikreisen in Hannover, wo die „SoKo Graffiti“ jahrelang gegen „Moses & Taps“ ermittelte. Die Hamburger Ermittler könnten es demnach mit den bekanntesten Sprühern Deutschlands zu tun haben, die in der Szene längst als große Künstler und Stars gelten.

So sieht die S-Bahn-Mauer aus

Unbekannte hatten Anfang April eine Tür der S-Bahn zugemauert
Unbekannte hatten Anfang April eine Tür der S-Bahn zugemauert © Bundespolizei | Bundespolizei
Die Mauer in der S-Bahn
Die Mauer in der S-Bahn © Bundespolizei | Bundespolizei
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Seit mindestens acht Jahren sind die Sprayer gemeinsam aktiv, ihr Spezialgebiet sind Groß-Graffiti. „Man erkennt ,Moses & Taps‘ daran, dass man etwas nicht für möglich hält – und es dann auf einmal auf dem Bahngleis einrollt. Die wollen Grenzen verschieben“, sagt ein Szenekenner. In 1000 Tagen sollen sie 1000 Züge auf vier Kontinenten besprüht haben. Bei dem Projekt hüllten sie ganze Regionalbahnen in einem Streich in Schriftzüge und Motive. Bei einer Aktion wurde eine Zugtür übermalt und an anderer Stelle wieder „aufgesprüht“. In Hamburg werden ihnen ein mit bunten Farbwolken eingedeckter Zug und hundert weitere Graffiti an Wänden, Brückenpfeilern und Waggons zugerechnet.

Ein Buch über die Graffiti-Serie verhalf den Sprühern zu Weltruf, auch zu legalen Ausstellungen mit abstrakten Werken. „Der Band ist seit Jahren immer wieder ausverkauft, das ist ein Dauerbrenner“, sagt der Geschäftsführer eines Hamburger Fachgeschäfts für Straßenkunst und Mode.

Den verstorbenen Sprayer „Oz“ (bürgerlich Walter F.) hätten die beiden schon zu dessen Lebzeiten als bekanntesten norddeutschen Graffiti-Künstler abgelöst, sagt ein anderer Szenekenner. „Spätestens seit der S-Bahn-Aktion wollen alle Moses sein. Einige kritzeln wohl auch einfach nur den Namen, um so zu tun.“

Eine Tür der S-Bahn
wurde im April
zugemauert
Eine Tür der S-Bahn wurde im April zugemauert © Moses & Taps

Ob es sich bei „Moses & Taps“ wirklich nur um zwei Personen handelt, ist bislang ein Rätsel. Ermittler gehen eher von einer größeren Gruppe aus. Sie tauschen untereinander die Namen, das ist Teil des Mythos. Zumindest ein „Moses“ ist der Polizei bekannt – er lebte jahrelang in einem Hochhaus in Hannover, wurde mehrfach verurteilt, die SoKo Graffiti durchsuchte seine Wohnung. Offiziell will sich die Polizei zu „Moses“ nicht äußern.

Nach Abendblatt-Informationen ist der Mann zu Beginn dieses Jahres nach Hamburg gezogen. In der Hansestadt gibt es keine „Task Force“ gegen Graffiti, eine entsprechende Abteilung des Landeskriminalamtes wurde vor zwei Jahren aufgelöst. Die Fallzahlen stiegen zuletzt deutlich an: Im Jahr 2014 wurden 870 Taten im Bahnbereich registriert, zehn Prozent mehr als noch 2013.

Es gebe keine „typischen Schmierfinken“ mehr, sagt einer, der seit Jahren in der Szene aktiv ist und an einer legalen „Wall of Fame“ aktiv ist. Die Sprüher kämen ebenso aus feinem Haus wie aus Problemvierteln, seien jung und alt, hörten Techno oder Hip Hop. „Einige wollen unbedingt bekannt werden, andere sehen das Malen als intime Sache. Für mich waren Graffiti eine Brücke zur Kunst.“

Das Kollektiv „Moses & Taps“ will Regeln brechen, auch die von Graffiti. Jedes neue Bild müsse „immer auch Performance sein“, zitierte das Szenemagazin „The Grifters Journal“ die Sprüher, „wir stellen uns gegen den Stillstand“. Ihr Treiben sei Vandalismus, aber ein sinnhafter. Auch Kunst? Nicht unbedingt, sagten die Sprüher. Nur „Expression“.