Hamburg. Prozess vor dem Landgericht wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen hat begonnen – Jugendamt kümmerte sich um die Familie.

Dieses kleine, zarte Wesen. Wehrlos, hilflos, schutzlos und in jeder Hinsicht auf Zuwendung angewiesen. Doch der kleine Jacob (Name geändert) war noch nicht einmal drei Monate auf der Welt, als sein Leben gewaltsam aus den Fugen gerissen wurde – ohne jede Chance, dass er jemals ein auch nur ansatzweise unbeschwertes Leben wird führen können. Der Junge ist schwerbehindert, hat sein Augenlicht verloren und sein Gehör, und dieser Zustand wird sich nicht mehr bessern. Es ist nicht einmal sicher, ob das Baby überhaupt überleben wird. Ein furchtbares Schicksal, eine Tragödie.

Der Angeklagte sagt, er habe das Leben seiner Familie zerstört

Rechtsanwältin Christiane Yüksel vertritt die Nebenklage. Sie möchte, dass das Baby in den Gerichtssaal gebracht wird
Rechtsanwältin Christiane Yüksel vertritt die Nebenklage. Sie möchte, dass das Baby in den Gerichtssaal gebracht wird © Michael Arning | Michael Arning

Das sieht Jacobs Vater offenbar auch so. „Ich habe das Leben meines Sohnes und das meiner Frau zerstört und auch meines“, hat der 27-Jährige in einem Brief formuliert, den er vor Monaten schrieb. Am Donnerstag als Angeklagter im Prozess vor dem Land­gericht um die schlimmen Leiden des kleinen Jacob meinte er, er habe sich „immer wieder mit dem Gedanken auseinandergesetzt, wie es dazu kommen konnte“, dass seinem Kind „durch mich diese schweren Verletzungen zugefügt worden sind“. Eine klare Antwort dazu könne er nicht geben, heißt es in einer Erklärung von Sascha K. in dem Verfahren, in dem er sich unter anderem wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und schwerer Körperverletzung verantworten muss. Er soll sein Kind in der Nacht zum 29. April gepackt, geschlagen und geschüttelt haben. Jedenfalls trete er „dem Vorwurf nicht entgegen“, so der Angeklagte.

Sascha K. äußerst sich zu den Vorwürfen nicht selber. Das übernimmt sein Verteidiger, weil dem Angeklagten eine „eigenständige Äußerung nicht möglich“ sei. Wie zusammengesunken wirkt Sascha K., ein blasser Mann mit Brille und schütterem Bart, der im Gesicht mehrere Piercings trägt und am Unterarm eine auffällige Tätowierung. Er erinnere sich „nicht an alles“, heißt es in der Erklärung zu den Stunden, die in die Katastrophe mündeten. Er spricht von einer „Feier“, die daraus bestand, dass er und Jacobs Mutter Alkohol tranken, wie wohl so oft. Als sein Sohn geschlafen habe, sei er noch einmal zu ihm gegangen. „Ich meine, dass ich das Bedürfnis hatte, ihn auf den Arm zu nehmen.“ Dabei sei es zu einem Schlag auf den Kopf gekommen.

„Warum? Es kann sein, dass er gequengelt hat.“ Später habe er sich wegen des Schlags „geschämt“. Als er am nächsten Morgen nach dem Säugling gesehen habe, „weinte er und sackte plötzlich zusammen. Ich schüttelte ihn und gab ihm eine Ohrfeige.“ In einer früheren Vernehmung beim Haftrichter hatte Sascha K. noch gesagt, der Säugling sei „förmlich in sich zusammengesackt, als ich ihn hochgenommen habe“. Es sei richtig, dass er ihn „geschüttelt habe, als er zusammengesackt ist“. Der Kopf des Babys sei „mitgeschlackert“. Er räume ein, dass er sein Kind zu Anfang „nicht gut leiden konnte“, weil er „eifersüchtig“ gewesen sei. „Aber mit jedem Tag wurde das Verhältnis besser.“ In einem Brief aus der Untersuchungshaft schrieb er, was geschehen sei, „tut so unendlich weh“. Obwohl er sich „fest vorgenommen“ habe, ein vernünftiges Leben zu führen, „habe ich doch meinen Sohn fast getötet und meine Familie zerrissen“. Sein Kind sei jetzt „schwerbehindert, taub, blind, kann nicht selbstständig schlucken, hat keine hohe Lebenserwartung und lebt in einem Pflegeheim“.

Er sei sich im Klaren, dass seine Darstellung wohl nicht vollständig mit den Verletzungen seines Sohnes in Einklang zu bringen seien, räumt er ein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er dem Säugling bis zu drei wuchtige Schläge mit dem Handballen gegen den Kopf versetzt hat. Am folgenden Morgen soll er das möglicherweise schreiende Baby aus dem Bett gehoben und das Kind sodann massiv und gewaltsam hin und her geschüttelt haben. Durch die hierbei hervorgerufenen peitschenartigen Bewegungen des Kinderkopfes sei unter anderem eine durch Sauerstoffmangel verursachte schwere und irreversible Schädigung des Hirns entstanden. Nachdem der Säugling in seinem Arm zusammen­gesackt war und nicht mehr atmete, so die Vorwürfe weiter, verständigte der Angeklagte den Notarzt und führte bis zu dessen Eintreffen Reanimierungsmaßnahmen an seinem Sohn durch.

Der Angeklagte konsumierte täglich Alkohol und Cannabis

Täglich Alkohol und Cannabis: Dies waren offenbar zwei der wenigen Konstanten im Leben des Angeklagten. Einen Beruf übt er schon länger nicht mehr aus. Er und seine Lebensgefährtin hatten im März eine körperliche Auseinandersetzung, bei der die Polizei eingeschaltet wurde. Und das Jugendamt kümmerte sich neben den Eltern schon länger um Jacob.

Nebenkläger

Der Säugling in dem Prozess hat einen Pfleger vom Jugendamt, weil den Eltern teilweise das Sorgerecht entzogen wurde. Dieser vertritt das Kind bei der Nebenklage. Unterstützt wird er vor Gericht durch eine Anwältin.

Nebenkläger können Verletzte einer schweren Straftat sein, so etwa die Opfer von sexuellem Missbrauch oder Körperverletzung. Wurde jemand getötet, können nahe Verwandte Nebenkläger werden. Ihre Vertreter können im Prozess zum Beispiel Erklärungen abgeben, Fragen und Anträge stellen. bem

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Anwältin Christiane Yüksel, die das Baby im Prozess vertritt, möchte erreichen, dass die Verfahrensbeteiligten das Kind ansehen. Nach ihrer Vorstellung soll der Säugling „aus der Palliativstation hergebracht“ werden. Der Zustand des Kindes sei „schrecklich“. Und wenn man ihn vor Augen habe, werde ungleich deutlicher, „unter welchen Umständen das Kind in den nächsten Jahren dahinvegetieren wird“.