Hamburg. Teil 8: Hubert Neubacher kam nach der Wende nach Hamburg und stieg vom Kellner zu einem der erfolgreichsten Unternehmer im Hafen auf.

Die Bösewichte kommen im Morgengrauen des 29. Augusts 2015. Hubert Neubacher schläft ruhig zu Hause in Hamm, während sich jemand im Hafen an seinen Schätzen vergreift: den Barkassen. Fest vertäut liegen sie an den Landungsbrücken. Dort machen unbekannte Täter die Seile los. Nicht nur die von Neubachers Traditionsfirma Barkassen-Meyer, auch die der Konkurrenz.

21 Schiffe drohen auf die Elbe zu treiben, und in solchen gefährlichen Momenten werden aus Wettstreitern plötzlich Verbündete. Nach dem Anruf der Wasserschutzpolizei informieren sich die Eigentümer gegenseitig: „Schnell zum Hafen, unsere Schiffe retten!“ Die Barkassen-Unternehmer haben Glück. Drei Kähne legen sich quer in den Strom und verkeilen sich so, dass keiner auf die Norderelbe treibt.

Kein Seemannsgarn mehr für Touristen, stattdessen konkrete Fakten

„In dieser Nacht hat man gesehen, dass sich die Zeiten geändert haben“, sagt Hubert Neubacher. 43 Jahre ist er alt, die Hälfte davon arbeitet er bereits im Hafen. „Früher war die Konkurrenz untereinander härter, der Ton rauer.“ Als Neubacher 1994 seinen Job als Assistent der Geschäftsleitung bei Barkassen-Meyer antrat, verweigerte ihm mancher Seebär sogar das im Hafen allgemein übliche „Du“. Einer der Kapitäne sagte zu ihm, es sei besser, beim „Sie“ zu bleiben, man wisse ja nie, wie lange er es als Österreicher im Hamburger Hafen aushalte. Lange. Ewig. „Ich gehe nie wieder woandershin“, sagt Neubacher und spaziert die Landungsbrücken hinunter.

Hier liegen seine sechs Barkassen, seine drei Fahrgastschiffe und seine Zukunft. Seit 2013 gehört ihm das 1919 gegründete Traditionsunternehmen, das viele Veränderungen in der Vergangenheit erlebt hat. „Wir sind kein Familienbetrieb mehr. Ich versuche das Gefühl aufrechtzuerhalten, aber meine Mitarbeiter und ich, wir können natürlich nicht jeden Tag kuscheln“, sagt der Chef, dem schon vor längerer Zeit klar wurde, dass man mit Hafenrundfahrten allein nicht mehr über die Runden kommt.

Der Österreicher Hubert Neubacher blickt zurück

Seine Karriere begann 1989 als Kellner im Gasthof Post in Lech
Seine Karriere begann 1989 als Kellner im Gasthof Post in Lech © Hubert Neubacher | privat
1999 mit Seniorchef Bernhard Hähnsen (l.) auf der „Commodore“
1999 mit Seniorchef Bernhard Hähnsen (l.) auf der „Commodore“ © Hubert Neubacher | privat
Daheim in Österreich bei den Neffen Luis und Benjamin
Daheim in Österreich bei den Neffen Luis und Benjamin © Hubert Neubacher | privat
Sängerin Carolin Fortenbacher taufte 2009 den Neubau „Hanseat“
Sängerin Carolin Fortenbacher taufte 2009 den Neubau „Hanseat“ © Hubert Neubacher | privat
Olaf Scholz (l.) und Joachim Gauck gehen 2013 gemeinsam an Bord
Olaf Scholz (l.) und Joachim Gauck gehen 2013 gemeinsam an Bord © Hubert Neubacher | privat
2015 mit Udo Lindenberg und Freund Norbert Wiwianker
2015 mit Udo Lindenberg und Freund Norbert Wiwianker © Hubert Neubacher | privat
Das Glück, hier im Hafen arbeiten zu können, „kann ich immer noch nicht fassen“, sagt Hubert Neubacher, Chef von sechs Barkassen und drei Fahrgastschiffen
Das Glück, hier im Hafen arbeiten zu können, „kann ich immer noch nicht fassen“, sagt Hubert Neubacher, Chef von sechs Barkassen und drei Fahrgastschiffen © Andreas Laible | Andreas Laible
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Die Zeiten ändern sich nun mal. Das hat Neubauer selbst erfahren. Einst kam er aus dem österreichischen Lech, wo er als Kellner arbeitete, in die Bundesrepublik – und zwar wegen der Wende: „Ich wollte dahin, wohin alle wollten. Ich hatte das Gefühl, da passiert was ganz Großes. Deutschland stellte für mich die große weite Welt dar. Ohne die Wende wäre mein Lebensweg wahrscheinlich ganz anders verlaufen.“ Dann hätte einer der traditionellsten Hamburger Hafenbetriebe heute wahrscheinlich keinen Österreicher als Chef.

Als Österreicher musste der junge, gerade neu in Hamburg angekommene Hubi damals erst einmal zur Behörde ins Bieberhaus, um sich eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu besorgen. Gar nicht so leicht. „Ich brauchte vier Tage, bis ich das System mit dem Nummernziehen verstanden hatte und früh genug da war, um endlich mal dranzukommen.“ Dann stand seiner Karriere vom Tellerwäscher zum Transporteur nichts mehr entgegen.

Heute ist Neubacher gefühlt eher hanseatisch als österreichisch. Er wurde zum Präsidenten des Skål-Clubs gewählt, in dem sich die wichtigsten Hamburger Vertreter der Reise-, Verkehrs-, Hotel- und Tourismuswirtschaft versammeln. „Hallo, mein Präsident!“, sagt Tourismuschef Dietrich von Albedyll gern, wenn er Neubacher bei einer Veranstaltung trifft.

Der Barkassen-Chef kennt die Ansprüche der Touristen genau, jedes Angebot und jede Fahrt wird im Internet sofort bewertet und kommentiert. Also entwickelte Neubacher viele Events drum herum: zum Beispiel Rundfahrten mit Dragqueen Olivia Jones, Este-Fahrten nach Buxtehude, ein Comedyboot, Trauungen an Bord, Hamburgs frivolste Kaffeefahrt, Osterfeuerfahrten, Mini-Bordpartys, den schwimmenden Soulclub. Neubacher will immer einer der kreativsten Macher im Hafen sein und einer der umtriebigsten. Von nichts kommt nichts.

Als der Ösi zum ersten Mal auf einen Ossi traf, verstanden sie nur Bahnhof

Auch die ganz normalen Hafenrundfahrten haben sich gewandelt. Das Seemannsgarn, das die Schiffsführer den Gästen früher gerne mal auftischten, musste zugunsten interessanter und vor allem korrekter Fakten weichen. „He lücht“ ist zwar auch heute noch eine durchaus gebräuchliche Bezeichnung für die Barkassenführer. Sie stammt aus einer Zeit, als die Arbeiter im Hafen, wenn sie die Anekdoten der Schiffsführer mitbekamen, den Passagieren gerne zuriefen: „He lücht!“, also „Er lügt“. Doch die He-lücht-Zeiten sind vorbei.

Witze seien natürlich noch erlaubt, aber erst, nachdem genug Wissen vermittelt worden sei, erklärt Neubacher. „Michi, welche Döntjes erzählst du unseren Passagieren heute so?“, fragt er einen seiner Kapitäne, der gerade – standesgemäß tätowiert – vorbeikommt. „Natürlich keine, Chef“, antwortet Michi und lacht. „Hat mir mein Chef verboten.“

Als nächste Weiterentwicklung zahlt Neubacher seinen Mitarbeitern Englischunterricht. „Wir müssen uns auf die Internationalisierung einstellen, es kommen immer mehr ausländische Gäste, viele Engländer und Asiaten.“ Und wer sich nicht versteht, der wird schwer Freund.

Neubacher hat es am eigenen Leib erlebt. Als er in der Wendezeit 1989 als Ösi das erste Mal auf einen Ossi traf, hatte er das Gefühl, sie seien beide von einem fremden Planeten gekommen: „Wir konnten uns kaum verständigen. Ich befand mich 1000 Kilometer entfernt von zu Hause und der Ossi in einer für ihn komplett neuen Welt.“

Neubachers Freiheitsdrang machte ihn zum Kunstsammler

Inzwischen ist Neubacher so eng mit der Stadt verbunden, dass er sich sogar mal dazu hinreißen ließ, eine CD mit Seemannsliedern aufzunehmen. Leider kann der Österreicher vieles, aber nicht singen, und so wurde nichts aus der Gesangskarriere. Zeit hätte er ohnehin keine gehabt, das Barkassen-Geschäft läuft sieben Tage die Woche. Er hat meist gute Laune, „das muss ich ja vorleben“, und wenn nicht, dann sei es besser, er bleibe zu Hause. Passiert aber selten. Will Neubacher ein bisschen Ruhe, setzt er sich mit einer Tasse Kaffee ganz früh morgens an die Elbe. Die Ruhe einatmen, bevor der Betrieb wieder losgeht: „So etwas Wunderschönes, ich kann immer noch gar nicht fassen, wie viel Glück ich mit meinem Job habe, da brauche ich keine freien Tage.“

Der Mann aus der Steiermark macht nie Urlaub, höchstens mal fährt er ein paar Tage Ski in der Heimat, weil der Sport ihm dieses Gefühl von Freiheit gebe, das ihn auch damals nach Deutschland zog. Der Freiheitsdrang sei auch der Grund, weshalb sich der Barkassenchef sehr für Kunst interessiert. Er schwärmt für Pop-Art und umgibt sich gerne mit Künstlern, da diese für ihn eine Aura des Auf- und Ausbruchs ausstrahlen.

In Neubachers Büro an Brücke 6 hängt ein Selbstporträt von Udo Lindenberg mit der Aufschrift: „Alles super-klasse auf Huberts Barkasse.“ Letztens war der Sänger mal auf dem Schiff eines Wettbewerbers unterwegs, so etwas wird im Hafen ebenso aufmerksam registriert wie jetzt gerade die Besuchergruppe auf der Elbphilharmonie. „Na, wen haben wir denn da heute? Wieder die Kultursenatorin?“, fragt Neubacher und schaut zu Hamburgs kommendem Wahrzeichen.

Es ärgert den Österreicher, dass die Seilbahn abgelehnt wurde

Durch die Neubauten in der HafenCity hat sich der Arbeitsort für die Schiffsunternehmer extrem verändert. „Jetzt sieht man endlich auch vom Wasser aus Großstadt“, sagt Neubacher. „Hamburg, die schlafende Schöne, ist endlich aufgewacht.“

Anders als manche Hamburger. Es ärgert Neubacher, den Sohn eines Seilbahn-Maschinisten, ein wenig, dass die St. Paulianer sich gegen den Bau einer Seilbahn über die Elbe entschieden haben. Es wäre für ihn nicht nur ein Stück Zuhause in seiner Wahlheimat gewesen, sondern auch eine weitere Sehenswürdigkeit. Aber grundsätzlich kann ihn die Entwicklung im Hafen nur zufrieden stimmen. HafenCity, Elbphilharmonie, die Speicherstadt als Weltkulturerbe, die Olympiabewerbung – all das zieht Touristen an. Die Zahlen sind in der Vergangenheit stetig gewachsen, das sorgt für gute Laune bei den Barkassenbetreibern, denn eines ist Neubacher und seinen Konkurrenten klar: „Zu uns in den Hafen kommen sie alle. Auch noch in 25 Jahren.“

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