Hamburg. Schwimmlegende Michael Groß über gesellschaftliches Potenzial der Spiele, den Wandel im IOC und die Lehren aus gescheiterten Versuchen.
Das glaube ich jetzt nicht, endlich treffe ich mein großes Idol!“, ruft die Dame verzückt und streckt Michael Groß dessen Buch „Siegen kann jeder“ zum Signieren entgegen. Groß, 51, scheint so viel Begeisterung um seine Person eher unangenehm zu sein. Er hat sich schon zu aktiven Zeiten nie viel aus seinen Erfolgen gemacht, den drei Olympiasiegen, den zehn Weltrekorden, die der „Albatros“ in den 80er-Jahren erschwommen hat. Inzwischen beschäftigt sich der promovierte Philologe als Berater und Dozent mit Fragen der Unternehmensführung und Kommunikation. Aber als ihn Unternehmer und Sportmäzen Alexander Otto bat, bei der Olympia-Roadshow im Einkaufszentrum Hamburger Meile aufzutreten, da habe er gern zugesagt – „weil ich von der Sache überzeugt bin“.
Hamburger Abendblatt: Herr Groß, was verbinden Sie mit Olympia?
Michael Groß: Sehr viel. Ich selbst durfte es aus drei Perspektiven erleben: zweimal als Athlet, zweimal als Journalist, seit 2000 dann als normaler Zuschauer. Die Erlebnisse, die ich als Sportler mit den Spielen verbinde, haben nichts mit Siegen oder Medaillen zu tun, sondern mit dem Miteinander, das es so nirgendwo sonst gibt. 1988 bin ich Jürgen Klinsmann und Steffi Graf im olympischen Dorf begegnet, und es war völlig entspannt – für uns alle. Es ist eine Art Mikrokosmos, in dem Religion, Hautfarbe und Herkunft keine Rolle spielen. Das begleitet einen positiv, bis heute.
Normalsterblichen sind diese Erfahrungen nicht vergönnt.
Groß : Man darf Olympia nicht auf die 16 Tage reduzieren, in denen die Welt auf diese Stadt schaut. Das Paradebeispiel ist für mich Barcelona. Die Stadt war bis 1992 im Vergleich zu Madrid ein Provinzkaff. Die Spiele haben ihr dann den Zugang zum Meer wieder erschlossen und sie auf ein ganz anderes Niveau katapultiert. Olympia war und ist bis heute präsent. Eine vergleichbare Entwicklung wäre in Hamburg auch möglich. Städte wie London oder New York brauchen keine Olympischen Spiele, um ihr weltweites Renommee zu pflegen. Hamburg spielt international eher in der zweiten Liga und könnte durch die Spiele aufsteigen. Man darf diese Dynamik nicht unterschätzen. Denken Sie an die Fußball-WM 2006: Die Impulse, die davon ausgingen, hat sich vorher niemand von uns vorstellen können.
Ist Hamburg denn reif dafür?
Groß : Man muss Olympia auch wollen, insofern ist die Abstimmung das richtige Signal. Natürlich gibt es potenziell negative Aspekte, die Frage der Nachhaltigkeit, die hohen Ausgaben für zeitlich begrenzte Dinge. Aber Hamburg hat diese Aura des Tors zur Welt. Das mag man sich nicht so bewusst machen, wenn man hier wohnt – ich als Außenstehender nehme es so wahr. Olympia passt zu dieser Stadt, eher als beispielsweise zu Frankfurt.
Würde denn auch der Sport profitieren?
Groß : Für eine ganze Generation an Sportlern, an Jugendlichen wäre Olympia im eigenen Land etwas Einmaliges, ein großer Impuls – nicht nur in Hamburg. Es brächte einen Riesenschub in die Sportorganisation, die immerhin ein Drittel aller Menschen in Deutschland einschließt, insgesamt 28 Millionen. Aber zu wenige Menschen machen Sport. Ein großer Kunde von mir unterzieht seine jungen Bewerber einem körperlichen Eingangstest und hat dabei festgestellt, dass sie in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent dicker geworden sind – basierend auf Daten von 15.000 Menschen. Die Nichtschwimmerquote in Deutschland ist dramatisch gestiegen – was auch kulturell bedingt ist durch die Einwanderung.
Was hat das mit den Spielen zu tun?
Groß : Olympia ist auch ein großes Integrationsprojekt. Über den Sport, den friedlichen Wettstreit wird der Kontakt zwischen den Kulturen hergestellt, werden auch unsere Werte vermittelt, Dinge, die uns wichtig und Teil unseres Alltags sind. Und Olympia bietet die beste Möglichkeit, intensiv gemeinsam Sport zu machen, sich kennenzulernen und Spaß zu haben.
Könnten Einwanderung und Olympia zusammen am Ende zu viel der Herkulesaufgaben für dieses Land sein?
Groß : Ich sehe da keinen Zusammenhang. Das eine ist, den Zustrom der Einwanderung akut zu organisieren. Er wird sich auf einem hohen Niveau stabilisieren. Das andere ist, diejenigen, die bleiben, zu integrieren. Das dauert lange, und da kann ein gemeinsames Projekt Olympia viel bewirken.
In Ihrem Handbuch für Change-Manager vertreten Sie die These, dass Veränderungsprozesse in Unternehmen nur dann erfolgreich sein können, wenn die Führungskräfte davon überzeugt sind. Wie überzeugend wirkt der Wandel im Internationalen Olympischen Komitee, den dessen deutscher Präsident Thomas Bach mit seiner Reformagenda 2020 angestoßen hat, auf Sie?
Groß : Ich bin positiv überrascht, weil ich Thomas Bach nicht zugetraut hätte, dass er in der Kürze der Zeit so weit kommt. Ich habe ihn schon in meiner Zeit beim Nationalen Olympischen Komitee immer als brillanten und integren Politiker erlebt, auf dessen Wort Verlass war. Nun, da er auf dem Gipfel angekommen ist, muss er vielleicht etwas weniger taktieren. Er ist relativ weit vorgeprescht, und es wird sich zeigen, wie weit ihm seine Organisation da folgt. Im Vergleich zu dem, was wir im Fußball gerade erleben, ist das IOC sicher schon viele Schritte weiter.
Das soll Olympia 2024 in Hamburg kosten
Mit Ihren ersten Spielen 1984 in Los Angeles begann die Kommerzialisierung. Steht Olympia heute noch für die Werte, die es zu verkörpern vorgibt?
Groß : Man sollte sicher nicht alles dem Diktat der Einschaltquoten unterwerfen. Zum Beispiel gehören bestimmte Disziplinen zu Olympia – Ringen, Bogenschießen, Speerwerfen –, unabhängig davon, wie viele Menschen zuschauen. Eine zweite Kategorie sind die Kernsportarten wie Leichtathletik und Schwimmen, wobei auch hier die Zahl der Disziplinen nicht explodieren sollte. Und dann gibt es noch Sportarten, die kommen und gehen. Warum soll nicht eine Gastgeberstadt eine oder zwei davon hinzuwählen können, die dort besonders populär sind? Für Hamburg würde mir da spontan das Klettern einfallen, das in Deutschland viele Menschen betreiben.
Sie haben sich schon vor der nationalen Ausscheidung gegen Berlin für Hamburg starkgemacht. Können Sie sich vorstellen, in offizieller Funktion für die Olympiakandidatur zu werben?
Groß : Das steht für mich nicht zur Debatte. Die Bewerbung ist für den aktuellen Stand gut besetzt. Darüber hinaus engagiere ich mich aber gern.
Sie wären fast Geschäftsführer der Leipziger Bewerbung für die Spiele 2012 geworden und haben Berlin bei seiner Kandidatur für 2000 beraten. Welche Lehren sind aus diesen gescheiterten Anläufen zu ziehen?
Groß : Die wichtigste ist zu begreifen, dass Olympia keine Sache von Funktionären oder Politikern ist, sondern ein nationales Anliegen, das von Anbeginn dem Willen der Bevölkerung entspricht. So gesehen ist das Referendum das richtige Signal. Berlins Bewerbung entsprang damals der Euphorie um die Wiedervereinigung, kam aber zu früh, die Stadt war zu diesem Zeitpunkt völlig überfordert. Und Leipzig war die falsche nationale Wahl im Vergleich zu Städten wie Rio oder London. Gerade mit der Vorgeschichte, auch dem Bürgerentscheid gegen München 2022, ist Hamburg die entscheidende Chance.
Was aber zu fehlen scheint, ist der große politische Rückhalt der nationalen Regierung, den andere Bewerber vorweisen können. Noch gibt es keine finanzielle Zusage aus Berlin.
Groß : Deutschland ist nun einmal kein zentralistischer Staat, in dem alles von oben bestimmt wird. Ich finde es ganz gut, dass zunächst einmal die Hamburger Bevölkerung ihren Willen in einem Referendum artikuliert. Die finanziellen Mittel werden fließen, da bin ich mir ganz sicher, egal wie der Bundeskanzler heißt und welche Koalition in Berlin regiert. Interessant wird sein, was das für die Bewerbung um die Fußball-EM 2024 bedeutet. Ich meine, der olympische Sport braucht die Spiele mehr als der Fußball eine EM. Die kann Deutschland zudem immer machen, da brauchen wir nur den Finger zu heben. Und sie würde doch nur wie eine Kopie der WM 2006 daherkommen. Aber die olympische Tür ist jetzt offen. Wenn wir sie zuschlagen, bliebe sie auf absehbare Zeit verschlossen.