Hamburg. Klagen gefährden den Neubau von Flüchtlingsunterkünften in Hamburg. Bewohner fürchten „Slums“ und finanzielle Verluste.

Die Pläne liegen vor, Teile des Baumaterials sind bestellt: Bis zum Frühjahr sollen die ersten sehr großen Folgeunterkünfte für Flüchtlinge entstehen – nach Abendblatt-Informationen hat der Senat für das Quartier Am Aschenland in Neugraben-Fischbek mit 3500 Plätzen nun Baukosten von 80 Millionen Euro veranschlagt. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes zu Plänen in Klein Borstel könnten sich einige Projekte durch rechtliche Schritte von Anwohnern zumindest verzögern.

Gegen den zweiten, großen Bauabschnitt der Unterkunft in Neugraben werde „garantiert Klage eingelegt“, sagt der Rechtsanwalt Gero Tuttlewski dem Abendblatt. Er erwirkte für Anwohner den gerichtlichen Baustopp bei der Unterkunft in Klein Borstel und vertritt auch Anwohner des Neubaugebietes Am Vogelkamp in Neugraben, das an das geplante Flüchtlingsdorf angrenzen wird.

Es gehe nicht darum, dass Am Aschenland keine Flüchtlingsunterkunft entstehe, sagt Tuttlewski. „Es geht um die Größe. Sie ist einfach zu riesig“. Einige Bewohner fürchten einen „Slum“ von Flüchtlingen an der Süderelbe – oder finanzielle Verluste. In der Bezirksversammlung brach die Chinesin Jin Qu in Tränen aus. Sie habe all ihr Erspartes in ein Einfamilienhaus gesteckt, auf einem Grundstück, das bereits jetzt kaum noch etwas wert sei. „Wir werden das Haus nicht wieder verkaufen können“, glaubt Jin Qu.

Skizzen zur geplanten Unterkunft in Neugraben-Fischbek
Skizzen zur geplanten Unterkunft in Neugraben-Fischbek © AndrŽ Zand-Vakili | AndrŽ Zand-Vakili

Wie an 47 weiteren Standorten berief sich der Senat bei einem Teil des Flüchtlingsdorfes, der Erstaufnahme am Geutensweg, auf das Polizeirecht. Das ergab eine Kleine Anfrage der CDU-Abgeordneten Karin Prien an den Senat. Die Fragestellerin forderte den Senat auf, seine Praxis zu überdenken: „Der Konfrontationskurs des Senats mit den Menschen in den Stadtteilen macht keinen Sinn. Statt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, wäre Dialogbereitschaft die bessere Strategie“, sagte Prien.

Das Verwaltungsgericht hatte am Mittwoch den Bau einer großen Unterkunft in Klein Borstel gestoppt und erklärt, der Senat habe Rechte der Nachbarn verletzt. Bislang handelt es sich jedoch um eine Einzelfallentscheidung. Der Sprecher der Sozialbehörde, Marcel Schweitzer, geht allerdings davon aus, dass die meisten geplanten Flüchtlingsunterkünfte rechtlich weiterhin unproblematisch sind.

Senat will Großunterkunft zum Musterbeispiel für Integration machen

Auch wenn bei der Schaffung der Folgeunterkünfte Eile geboten sei, „wird es ohne die Anwohner im Alltag nicht funktionieren“, sagte Schweitzer. Im Senat wird die Unterkunft in Neugraben als Muster für weitere Großunterkünfte gesehen, die in allen sieben Bezirken entstehen sollen. Im Februar soll der Aufbau beginnen, das gesamte Projekt Ende 2016 fertig sein. „Wir wollen maximale Durchlässigkeit schaffen – die Flüchtlinge sollen zu den Bürgern gehen und umgekehrt“, heißt es aus der Behörde. „Im Idealfall ist das Flüchtlingsdorf eine normale Quartierserweiterung“, so Schweitzer.

Bei diesen Flüchtlingsunterkünften wendet die Stadt das Polizeirecht an
Bei diesen Flüchtlingsunterkünften wendet die Stadt das Polizeirecht an © HA

Nach Abendblatt-Informationen soll die Fläche Am Aschenland dafür mit einer Art „Dorfzentrum“ ausgestattet werden. Für das dort anzusiedelnde Gewerbe laufen bereits fortgeschrittene Verhandlungen. So sollen eine Budnikowsky-Drogerie, eine Bankfiliale, ein Kiosk, mehrere Arztpraxen und ein Gemeinschaftshaus entstehen. „Wenn etwa ein Verein eine Räumlichkeit braucht, findet er sie auf dem neuen Areal – auch dies trägt zur Durchlässigkeit bei. Voraussetzung ist die Bereitschaft vor Ort, sich darauf einzulassen“, sagt Behördensprecher Schweitzer. Im Gegenzug soll es aber keine Kitas und Schulen auf dem Unterkunftsgelände geben. „Integration findet nicht in den Unterkünften statt“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD).

Die insgesamt etwa 100 Baukörper auf dem Gelände sollen möglichst wenig verschachtelt gebaut werden. Vor den doppelstöckigen Pavillonhäusern aus Holz mit je vier Wohneinheiten, die mit etwa 30.000 Euro pro Stück den größten Kostenpunkt ausmachen, sollen Grünflächen als weitere Treffpunkte erhalten bleiben. Bereits in der Prüfung der Wasser- und Stromversorgung wurde ein Konzept erarbeitet, um die Großunterkunft erweitern zu können.

Der Bezirk Harburg koordiniert die städtebauliche Planung und will die genauen Pläne Mitte November vorstellen. „Neben der Unterkunft entstehen im Stadtteil auch mehrere Wohngebiete“, sagte Bezirksamtsleiter Thomas Völsch (SPD). „Man kann davon ausgehen, dass im Stadtteil in vier bis sechs Jahren 10.000 Menschen mehr als heute leben werden.“ Damit wäre Neugraben-Fischbek in wenigen Jahren um fast ein Drittel gewachsen – und die fast Hälfte der neuen Bewohner an der Süderelbe wären Flüchtlinge.