Hamburg. In Hamburg wird jetzt nach und nach in den Erstaufnahmeeinrichtungen eine psychiatrische Betreuung für Asylbewerber aufgebaut.

Sie haben ihr Zuhause verloren und waren oft wochenlang auf der Flucht – die Flüchtlinge, die jetzt in Hamburg ankommen, haben viel Schreckliches erlebt und müssen sich jetzt in einem fremden Land ein neues Leben aufbauen. Das ist Schwerstarbeit für die Seele. Schlafstörungen, Ängste und Depressionen sind oft die Folge. Um den Betroffenen zu helfen, organisieren jetzt Hamburger Spezialisten psychiatrische Sprechstunden in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Hansestadt.

Vorreiter ist die Abteilung für Psychiatrie im Asklepios Westklinikum in Rissen, die in der Erstaufnahme­einrichtung Schnackenburgallee seit einem halben Jahr eine psychiatrische Sprechstunde anbietet. „Ausgangspunkt war, dass vermehrt Bewohner der Einrichtung in den Bereitschaftsdiensten nachts und am Wochenende als Notfälle zu uns kamen, mit Suizidversuchen, Suizidgedanken, Aggressivität und Unruhezuständen“, sagt Dr. Ulf Künstler, Chefarzt der Psychiatrie am Asklepios Westklinikum.

Um solche Patienten frühzeitiger zu versorgen und so zugespitzte Krisensituationen zu verhindern, schauten sich die Ärzte die Situation in der Einrichtung an, setzten sich mit allen beteiligten Fachleuten an einen Tisch und überlegten, wie psychisch belasteten Bewohnern geholfen werden könnte.

Belastungen durch die Erlebnisse auf der Flucht

Daraus entstanden ist die Sprechstunde, die regelmäßig von zwei Ärzten aus der Psychiatrie des Asklepios Westklinikums einmal in der Woche für viereinhalb Stunden in der Einrichtung abgehalten wird. „Zu uns kommen Menschen mit schizophrenen Erkrankungen und Depressionen. Aber viele unserer Patienten leiden nicht an einer psychiatrischen Erkrankung, sondern sind massiv belastet durch ihre Wohnsituation, den Verlust von Angehörigen und die Erlebnisse auf ihrer Flucht.

Aber das sind nachvollziehbare normale psychologische Phänomene, keine psychiatrischen Erkrankungen“, sagt Manoshi Pakrasi. Die Leitende Oberärztin der Abteilung hält zusammen mit einer Assistenzärztin die Sprechstunde in der Schnackenburgallee ab. „Den Menschen muss man Zeit geben, das Erlebte zu verarbeiten. Es muss daraus nicht zwangsläufig eine posttraumatische Belastungsstörung werden“, ergänzt Künstler.

Dolmetscher helfen den Ärzten

In die Sprechstunde kommen im Durchschnitt 16 bis 18 Patienten. „Diese Zahl ist relativ konstant, und wir haben auch keine Warteliste“, sagt Pakrasi. Die Besucher der Sprechstunde werden von Sozialarbeitern in der Einrichtung angemeldet, wenn sie bei Bewohnern psychische Auffälligkeiten beobachten oder diese über bestimmte Beschwerden klagen. „In der Sprechstunde prüfen wir dann, ob wir das Problem vor Ort klären können oder ob jemand stationär aufgenommen werden muss. Wir übernehmen auch die Nachsorge nach stationären Aufenthalten. Zudem behandeln wir Notfälle, zum Beispiel, indem wir akut Suizidgefährdete stationär aufnehmen“, sagt Künstler.

Bei den Gesprächen mit den Patienten brauchen die Ärzte auch die Hilfe von Dolmetschern. Zur Behandlung sagt Pakrasi: „Zunächst machen wir uns mithilfe des Dolmetschers ein Bild, dann bieten wir Gespräche zur Entlastung an und verordnen eventuell Medikamente wie Schlafmittel und Antidepressiva.“ Bezahlt wird die Behandlung von der Stadt Hamburg. Für die Flüchtlinge, die noch nicht krankenversichert sind, werden Medikamente über Spendengelder finanziert. Behandelt werden nur Erwachsene. Für die Kinder will die Kinder- und Jugendpsychiatrie ebenfalls eine Ver­sorgung aufbauen.

Auch in Harburg, Nord, Wandsbek und Bergedorf gibt es ähnliche Pläne

Neben der Sprechstunde gibt es weitere Aktivitäten. „Es hat sich ein runder Tisch etabliert, der einmal im Vierteljahr stattfindet und bei dem die Hilfsangebote besprochen werden. Dabei ist der sozialpsychiatrische Dienst vom Bezirksamt Altona, das Rauhe Haus für die psychosoziale Betreuung, die Traumatherapeutin und Vertreter der Gesundheitsbehörde. Es gibt nicht nur die medizinische Hilfe, sondern auch psychosoziale Unterstützung von anderen Einrichtungen, zum Beispiel Begleitung bei Behördengängen“, sagt Künstler.

Außerdem gab es ein Treffen mit allen Chefärzten psychiatrischer Abteilungen in Hamburg. Nach dem Modell an der Schnackenburgallee soll auch in anderen Erstaufnahmeeinrichtungen die Betreuung organisiert werden.

„Kurz nach uns hat die Asklepios Klinik Harburg in der Erstaufnahme Schwarzenberg angefangen. Bereits angelaufen oder kurz vor dem Beginn sind auch weitere Sprechstunden vom Klinikum Nord, der Asklepios Klinik Wandsbek, dem Albertinen-Krankenhaus und dem Bethesda-Krankenhaus Bergedorf“, sagt Künstler.

Dass die Psychiater im Asklepios Westklinikum sich um die Erstaufnahmeeinrichtung Schnackenburgallee kümmern, liegt daran, dass sie für die psychiatrische Versorgung des Bezirks Altona zuständig sind. Hintergrund ist, dass die psychiatrische Versorgung in Hamburg in Sektoren aufgeteilt ist. Jeder psychiatrischen Krankenhausabteilung ist ein bestimmtes Versorgungs­gebiet zugeordnet. In Rissen wird jetzt überlegt, ob eine zweite Sprechstunde für eine neue Flüchtlingsunterkunft am Rugenbarg eingerichtet wird.