In unserer Kolumne „Angekommen in Hamburg“ schreiben Flüchtlinge im Abendblatt. Heute: Mohammad Shoaib Rezayi.

Meine Laufbahn als Reporter begann schon, als ich 13 Jahre alt war, in meiner Heimatstadt Herat im Norden von Afghanistan. Damals freundete ich mich mit Reza an, einem Nachbarn, der als Fotograf für Associated Press arbeitete. Er nahm mich zum Fotografieren mit, morgens vor der Arbeit oder nachmittags, wenn das Licht besonders schön war. Reza erklärte mir, was ein gutes Foto ausmacht und wie man die Kamera richtig benutzt. Und von ihm bekam ich auch eine eigene Kamera geschenkt.

Über Reza lernte ich weitere Fotografen kennen, die für verschiedene Medien arbeiteten. So kam es, dass ich bereits mit 14 selbst einen Job als Reporter hatte, bei dem afghanischen Privat-Fernsehsender Ariana TV – ich war natürlich der weitaus Jüngste. Un­gefähr neun Monate war ich dort fest angestellt, um Fotos zu machen und Videos zu drehen. Tagsüber arbeitete ich für das Fernsehen, zur Schule ging ich abends, wie es viele Jugendliche in Afghanistan machen. Danach war ich als Reporter für andere Medien unterwegs, zum Beispiel Saba TV. 2009 habe ich außerdem für den Präsidenten Hamid Karzai gearbeitet: in seiner Wahlkampfzentrale in Herat. Nach seinem Sieg hätte ich in Kabul für ein Ministerium arbeiten können, doch ich wollte als Fotograf weitermachen.

Egal, ob es gefährlich war oder nicht, ich wollte immer arbeiten. Denn ich wollte wissen, was in meinem Land passiert. Dabei habe ich schlimme Dinge gesehen, viel Blut. Ich erinnere mich genau daran, wie die Amerikaner die Provinz Shindand bombardiert haben. Sie haben dort eine Hochzeitsgesellschaft getroffen, es gab viele Tote. Auch viele Kinder sind gestorben, deren Leichen in den Straßen lagen.

Die historischen 500 Jahre alten Minarette sind ein Kulturdenkmal in Herat – und
ein perfekter Platz zum Spaßhaben auf dem Fahrrad
Die historischen 500 Jahre alten Minarette sind ein Kulturdenkmal in Herat – und ein perfekter Platz zum Spaßhaben auf dem Fahrrad © Mohammad Shoaib Rezayi

Natürlich hatte ich auch Angst. Denn an einem Ort, der bombardiert worden war und wo sich dann Polizisten und Journalisten versammelten, kam es oft vor, dass weitere Bomben fielen. Ich bin auch als Reporter in die Stadt Farah gefahren, die in den Händen der Taliban war. Ich weiß noch, wie ich während der Fahrt meine Foto­ausrüstung in einer Kiste mit Gurken versteckt habe. Es hatte damals auch immer jeder eine Pistole bei sich, aber ich habe meine niemals benutzt. Den ersten Selbstmordattentäter, der sich in meiner Heimatstadt Herat in die Luft gesprengt hat, habe ich ebenfalls mit eigenen Augen gesehen.

Diese Eindrücke werde ich mein Leben lang nicht vergessen, und sie haben mich für immer geprägt. Wenn ich zum Beispiel oft nervös bin und mich nicht konzentrieren kann, liegt das an dem, was ich in meiner Jugend in Afghanistan gesehen und erlebt habe.

2011 wurde die Situation für mich persönlich immer schlimmer, denn meine Familie und auch ich selbst wurden bedroht. Männer kamen und drohten meinem Vater und mir mit einem Messer. Wer das war und warum sie das taten, wissen wir nicht genau. Es ist möglich, dass es mit der politischen Einstellung meines Vaters zu tun hatte oder mit meiner Arbeit für die Presse.

Daraufhin bin ich dann nach Europa geflüchtet, über den Iran, die Türkei und Griechenland bis nach Deutschland. Mein Nachbar und Freund Reza, der Fotograf, hatte mir geraten, nach Deutschland zu kommen. Er hatte Afghanistan schon vor mir verlassen, lebt heute in Bonn und arbeitet für die Deutsche Welle.

Ein Straßenfriseur
stutzt den Bart
eines Kunden
Ein Straßenfriseur stutzt den Bart eines Kunden © Mohammad Shoaib Rezayi

2012 kam ich in Hamburg an, wurde zunächst aber in eine Unterkunft in Göttingen geschickt. In dieser Zeit bekam ich zweimal die Gelegenheit, meine Fotos auszustellen: in einer Kirche in Göttingen und in einem Saal der Caritas in Friedland. Mein Wunsch ist, in Deutschland eine Ausbildung bei der Polizei zu machen und danach nach Afghanistan zurückzukehren. Das wird vielleicht viele verwundern, doch ich glaube, dass ich so am meisten helfen könnte. Ich rechne nicht damit, dass es dem Land in absehbarer Zeit besser gehen wird. Es war immer ein Land, in dem andere Länder Krieg geführt haben, und die Bevölkerung muss darunter leiden. Und ich will irgendwann gerne selbst einen Teil dazu beitragen, dass die Menschen dort sicherer leben können. Und das geht nur mit vielen gut ausgebildeten Experten – auch bei der Polizei – die hinter der Demokratie stehen.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsbetreuer Michael Huhndorf