Afghanische Studentin: „Hier darf ich die Wahrheit sagen“
•
Lesezeit: 5 Minuten
Hamburg. In der Kolumne Angekommen in Hamburg schreiben Asylbewerber im Abendblatt jede Woche über ihr neues Leben.
„15.000 Teilnehmer bei CSD Parade in Hamburg“ – es ist nun ein paar Monate her, dass ich diese Zeile über den Christopher Street Day in Hamburg gelesen habe. Eine Zeile, die so viel sagt. Und dazu die Bilder: Schwule und Lesben, die fröhlich tanzen und feiern. In Afghanistan wäre das undenkbar gewesen. Wer in Afghanistan offen zu seiner Homosexualität steht, muss damit rechnen, bestraft oder getötet zu werden.
Für mich ist es neu, dass Leute einfach so sein können, wie sie sind und auch, dass die Medien so frei berichten können. Die Mediensituation in Deutschland und Afghanistan ist nicht miteinander vergleichbar. In meinem Heimatland gibt es nur wenig freie Presse. Die meisten Medien werden durch die Politik kontrolliert. Wenn zum Beispiel bei einer Explosion 100 Menschen sterben, schreiben sie, dass es nur zehn oder 15 Opfer gab.
Auch die Journalisten sind in Gefahr. Besonders die wenigen Frauen, die im Mediensektor arbeiten – weil sie von der Gesellschaft als schwach angesehen werden. Für sie ist es noch schwerer, offen ihre Meinung zu äußern. Vor ein paar Monaten erst wurde eine junge Journalistin in Balkh – einer Stadt im Norden von Afghanistan – erschossen. Auch ich bin schon bedroht worden, nachdem ich von einem Jugendmagazin zum Thema Frauenrechte interviewt wurde.
Flüchtlinge: Impressionen aus Hamburg und Europa
1/95
Nicht nur die Medienlandschaft in Afghanistan ist nicht mit der deutschen vergleichbar. Es gibt in diesem Bereich auch ein viel größeres Gefälle zwischen Stadt und Land. In vielen armen Provinzen gibt es kaum Internet und nur wenige TV-Geräte, dort ist das Radio das wichtigste Medium – die meisten Sender setzen aber auf Unterhaltung und kaum auf Politik. Die Zeitungen (die größten heißen „8 Sobh“, „Daily Outlook“, „Khamma Press“) spielen für die Masse der Menschen eine untergeordnete Rolle, sie werden vor allem vom Bildungsbürgertum und Funktionären gelesen.
Meinungsfreiheit gibt es in Afghanistan nur in der Theorie
Die größten Fernsehsender sind die privaten Tolo TV, Ariana und Afghanistan Milli Channel, die aber wie viele weitere von Politikern verschiedener Richtungen gesteuert sind. Außerdem gibt es noch einen Regierungssender. Zwar herrscht – theoretisch – Meinungsfreiheit, doch weil viele Reporter nach kritischen Berichten bedroht oder terrorisiert wurden, halten sich die meisten aus Angst zurück.
Als ich noch in Afghanistan lebte, habe ich Politikwissenschaften studiert. Eigentlich wollte ich Politikerin werden, um mein Land sicherer und gerechter zu machen. Aber das ist im Grunde unmöglich. Seit ich in Deutschland bin, hat sich mein Berufswunsch geändert. Jetzt möchte ich Journalistin werden, weil man als Journalist in Deutschland die Möglichkeit hat, die Wahrheit zu sagen. Nicht nur über Afghanistan, sondern auch über andere Entwicklungsländer. Ich hoffe, dass ich schon im Oktober ein Journalistik-Studium in Hamburg beginnen kann.
Nachrichten – ob in der Zeitung oder in Internetblogs – lese ich jeden Tag. Auch um mehr über Flüchtlings-Themen zu erfahren. Wie sieht die Gesetzeslage aus? Gibt es vielleicht neue Richtlinien? An wen muss ich mich bei bestimmten Fragen wenden? Aber mich interessiert auch, was in meiner neuen Heimat Hamburg passiert.
Das Internet spielt dabei eine große Rolle. Am Anfang war Facebook sehr wichtig für mich, da dort einige Nachrichten automatisch ins Englische übersetzt werden, wenn man es entsprechend einstellt. Inzwischen ist mein Deutsch aber so gut, dass ich auch deutsche Nachrichtenseiten lesen kann. Zum Beispiel checke ich regelmäßig abendblatt.de, „Spiegel Online“ und „Bild Hamburg“.
Am meisten interessieren mich die aktuelle Politik in Deutschland und in Hamburg, soziale Probleme in der Stadt, aber auch leichtere Themen wie Musik-Festivals und Sport – besonders Fußball finde ich interessant. Da ich aber noch keinen Fernseher habe und somit noch kein Spiel sehen konnte, weiß ich noch nicht, für welche Hamburger Mannschaft ich bin.
In der letzten Zeit habe ich alles über die aktuelle Lage rund um das Thema Flüchtlinge gelesen. Eine Nachricht hat mich besonders glücklich gemacht. Es war, als Angela Merkel gesagt hat: „Wir schaffen das.“ Besonders als die Lage in Ungarn und Österreich eskalierte, hat Deutschland die Flüchtlinge weiter aufgenommen. Dass Deutschland inzwischen wieder Grenzkontrollen durchführt, kann ich verstehen, weil es für die Sicherheit des Landes wichtig ist, denke ich. Was mich aber immer wieder schockiert, ist die extrem hohe Zahl von Flüchtlingen, weil ich weiß, dass man sein Land nur verlässt, wenn es keine, aber wirklich gar keine andere Option mehr gibt.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit unserer Redakteurin Juliane Kmieciak.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.