Hamburg. Abreißen oder erhalten? Diese Frage wurde seit dem Krieg häufig diskutiert – und oft falsch entschieden, wie diese Beispiele zeigen.
Als vor etwa zehn Jahren die ersten Spekulationen über einen möglichen Abriss der vier grauen City-Hochhäuser am Hauptbahnhof zu lesen waren, gab es so gut wie keinen Protest. Wer in Archiven nachschlägt oder weiter zurückblättert in einschlägigen Internetforen, findet eigentlich nur Zustimmung. Weg mit den hässlichen Dingern, hieß es meist. Das hat sich inzwischen gewandelt, in einem offenen Brief machen sich nun gleich mehrere Architektenverbände und Denkmalschutzvereine stark für einen Erhalt der Gebäude, die immerhin seit 2013 auch unter Denkmalschutz stehen. Hat sich da etwas gewandelt? Ist man sensibler geworden in Hamburg gegen eine allzu schnelle Abriss-Politik?
Gründe dazu gäbe es wohl genug. Man muss sich nur einmal anschauen, welche Gebäude Hamburg seit der Nachkriegszeit aus dem Stadtbild wegradiert hat: den Altonaer Bahnhof beispielsweise, der einer Backsteinburg ähnelte, oder das prächtige Kontorhaus Dovenhof.
Zugegeben, nicht immer verschwanden nur schöne Bauten: Als das Millerntor-Hochhaus 1995 gesprengt wurde, hat sich niemand aufgeregt. Andere Nachkriegs-Hochhäuser wie das Unilever-Gebäude oder das „Spiegel“-Haus werden nun stattdessen saniert und zu Denkmälern erklärt. Bei manchen Häusern kann man sich indes fragen, ob das noch Erhalt oder erhaltende Kosmetik ist: Die Alte Post, das alte Reichsbank-Gebäude am Rathaus oder die frühere Stadtentwicklungsbehörde werden und wurden zu Shopping-Tempeln radikal umgebaut. Erhalten bleibt dabei nur die Fassade.
Ob abgerissen wird oder nicht – das ist in Hamburg eben nicht immer eine Frage der Kultur, sondern auch des Kommerzes. Das sagen zumindest die beiden Architekturhistoriker Gert Kähler und Frank Pieter Hesse, der lange das Denkmalschutzamt geleitet hat. „Die rote Linie ist, dass abgerissen wird, wenn sich das besser rechnet“, sagen beide unabhängig voneinander. Über den Denkmalschutz setzt sich die Stadt dann locker hinweg. So ist es bei den City-Hochhäusern, wo die Behörden den Abriss propagieren. So war es bei der klassizistischen Bebauung der Esplanade, die nicht der Krieg, sondern die Abriss-Orgien danach hinweggerafft haben.
Heute erschiene das undenkbar. In den Jahren nach dem Krieg jedoch war das Neue meist das Bessere, sagt Kähler. Altbauquartiere wie in Eimsbüttel galten als „bessere Slums“, die man am liebsten niedergerissen hätte. Wie überhaupt radikaler Abriss Tradition hat in Hamburg. Schon der frühere Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark (1852–1914) wird oft mit dem Satz von der „Freien und Abriss-Stadt Hamburg“ zitiert“ Die Kritik galt aber dem Abriss eines Gängeviertels zugunsten der neuen Speicherstadt – die heute Weltkulturerbe ist. Zeitgeist und Geschmack sind eben flüchtig. Jede Generation mag die Frage nach Abriss oder Erhalt anders beurteilen. Allein das Wissen darum, sagt Kähler, sollte daher dazu mahnen, nicht allzu schnell nach dem Abrissbagger zu rufen. Was heute als hässlich gilt, kann morgen eben wieder schön sein.
Der Dovenhof
Das 1885/86 nach Plänen des Rathaus-Architekten Martin Haller an der Brandstwiete erbaute Kontorhaus hatte den Krieg unbeschädigt überstanden, als es 1967 abgerissen wurde. Heute wäre das spektakuläre Bürohaus, das seiner Zeit weit voraus war, vermutlich eine wichtige Sehenswürdigkeit, denn es konnte einiges bieten. Der Dovenhof, für „Guano-König“ Heinrich von Ohlendorff erbaut, hatte eine eigene Dampfheizung, eine Hauspost und einen durchgehenden Lichthof mit freitragender Galerie – damals eine kleine Sensation. Hier drehte sich auch der erste Paternoster auf dem europäischen Kontinent. Übrig blieben schließlich nur ein paar Fotos. Über dem Eingang hatte von Anfang an der Satz gestanden: „Möge die Vorsehung dieses Haus in ihren Schutz nehmen.“ Ein frommer Wunsch, der Hamburgs Stadtplaner aber kaltließ.
City-Hochhäuser
Die grauen City-Hochhäuser am Klosterwall waren in den 50er-Jahren mit einer ursprünglich hellen weißen Fassade als Kontrast zu den Backsteingebäuden des Kontorhausviertels gebaut worden. Sie gelten als frühes Beispiel deutscher Nachkriegs-Hochhäuser und gehören heute der Stadt. Oberbaudirektor Jörn Walter setzt aber trotz des Denkmalschutzes auf Abriss und Neubau. Weil bei der Ausschreibung jetzt die letzte Bietergemeinschaft, die einen Erhalt vorsieht, wegen eines Formfehlers abgewiesen wurde, sprechen Abrissgegner von einer fadenscheinigen Begründung. Ihr Hauptargument: Wenn die Stadt schon nicht den Denkmalschutz ernst nimmt, kann sie das von privaten Investoren auch nicht mehr verlangen. Untergebracht ist in den grauen Gebäuden derzeit noch das Bezirksamt Mitte, das 2017 umziehen soll.
Das Harburger Schloss
Vom Harburger Schloss steht heute nur noch ein Teil – allerdings nur noch als unscheinbare Mietskaserne an der Bauhofstraße 8. Viel eindrucksvoller war der einstige, im Barockstil erbaute Ostflügel, der noch bis 1972 erhalten war und dann trotz massiver Proteste abgebrochen wurde.
Das Schloss war Harburgs Keimzelle (schon für 1140 wurden Vorläufer an der Stelle erwähnt), und zusammen mit dem Leuchtturm auf Neuwerk galt es als Hamburgs ältestes Gebäude. Nachdem die Bezirksversammlung den Abbruch beschlossen hatte, gab es massive Proteste. Unter anderem gründeten 150 Bürger einen Verein zur Rettung des Schlosses, Firmen boten relativ kostengünstige Renovierungen an. Vergebens. Ironie der Geschichte: Kurz nach dem Abbruch wurde der erhalten gebliebene, viel unansehnlichere Teil unter Denkmalschutz gestellt.
Das Frappant
Bei der Eröffnung 1973 galt das Frappant an der Großen Bergstraße als zukunftsweisendes Beispiel für Einkaufszentren, tagsüber ging man ins Neckermann-Kaufhaus, abends in den White Club. Doch schon Ende der 70er-Jahre schwächelte das Konzept, zuletzt galt der Waschbetonbau als Symbol für den Niedergang der Straße. Als 2009 bekannt wurde, dass Ikea dort abreißen und neu bauen will, war die Zustimmung wieder groß. Doch es gab auch Protest: Ikea-Gegner forderten plötzlich den Erhalt, um günstigen Raum für „Kreative“ zu bekommen. Ikea werde für ein Verkehrschaos sorgen, hieß es. Heute ist Ikea Altona eines der bestbesuchten Häuser des Konzern, das Chaos blieb komplett aus.
Die Esplanade
Der Abbruch der klassizistischen Gebäude an der Nordseite der Esplanade im Jahr 1958 ist einer der großen Bauskandale in Hamburgs Stadtgeschichte. Die Häuser, zwischen 1827 und 1830 nach Plänen Karl Ludwig Wimmels errichtet, wurden für den Abriss extra aus der Denkmalliste gestrichen. Auch das riesige Palais Embden mit seiner einmaligen „Tempelfront“ musste weichen, um für luftigere „Hochhauskörper“ Platz zu schaffen. Die Idee: Der Grüngürtel hinter den Häusern sollte sich optisch in Richtung Binnenalster ausdehnen. Später wurde am letzten verbliebenen Wimmel-Haus (Nummer 37) eine Tafel angebracht, die an die „systematisch angeordneten klassizistischen Gebäude“ erinnert, die hier einst standen.
Der Bahnhof
Angeblich war er durch Kriegsschäden marode und musste dringend abgerissen werden – so verkaufte man es jedenfalls den vielen Bürgern, die sich für den zwischen 1895 und 1898 erbauten Altonaer Bahnhof einsetzten. Das Klinkerschloss mit den vielen Zinnen und Türmen war ein viktorianisch-neugotischer Stilmix und schon lange so etwas wie Altonas Wahrzeichen. Der Abriss gestaltete sich dann 1974 „erstaunlich“ schwierig und zog sich geschlagene zwei Jahre hin. Dabei wurde die Sichtachse zwischen Altonaer Rathaus und Bahnhof gleich mit ruiniert, den Neubau bezeichneten Spötter als „Kaufhaus mit Gleisanschluss“. Auch das Denkmalschutzamt bedauerte den Abbruch – leider erst hinterher.
Das Fährhaus
111 Jahre hatte das Winterhuder Fährhaus an seinem Platz gestanden, als es im August 1979 abgerissen wurde – handstreichartig, wie viele damals meinten. Denn nur wenige Bauten waren so lange und so intensiv umkämpft wie dieses gründerzeitliche Lokal, das lange ein Wahrzeichen der Alstergegend gewesen war. Zur Rettung gab es Unterschriftensammlungen, Leserbefragungen und sogar die Bürgerinitiative „Rettet das Winterhuder Fährhaus“. Dann ging alles ganz schnell: Erst brannte es im Gemäuer, dann stieg ein Investor aus, schließlich kamen die Bagger. Bezirksamtsleiter Werner Weidemann bekam von Fährhaus-Fans zum Abriss den „goldenen Presslufthammer“ überreicht.
Bismarckbad
Obwohl es einen erfolgreichen Bürgerentscheid für den Erhalt des Bismarckbads gegeben hatte, wurde der 1911 eröffnete Jugendstilbau im Jahr 2007 abgerissen. Bis zuletzt kämpften die Fans für den Bau, der auf Betreiben des Ottenser Großindustriellen Hermann Bauermeister errichtet worden war und immer den Nimbus hatte, ein Schwimmbad vor allem der „kleinen Leute“ zu sein. Zwar waren die zahlreichen auf die Jahrzehnte verteilten Umbauten dem Gesamteindruck der Anlage nicht nur gut bekommen, aber etliche Stilelemente aus der alten Zeit waren unverändert erhalten. Doch Investoren standen schon parat: Zwischen Bahnhof Altona und Einkaufszentrum Mercado steht heute ein Neubau.
Kaiserspeicher
Er war bis zum Zweiten Weltkrieg ein beliebtes Postkartenmotiv und ist sogar in alten Hamburg-Filmen zu sehen: der 1875 fertiggestellte Kaispeicher A, der sogenannte Kaiserspeicher. Er war nach Plänen des Wasserbaudirektors Johannes Dalmann erbaut worden und hatte einen markanten trapezförmigen Grundriss. Der Turm des Gebäudes war ein weithin sichtbares Wahrzeichen des Hafens mit einem Zeitball auf der Spitze, der zweimal täglich zur festgesetzten Uhrzeit herunterfiel. Zwar hatten Bomben den Speicher im Krieg getroffen, aber der Turm war weitgehend unbeschädigt. Trotzdem wurde er 1963 gesprengt, das Gebäude durch einen schmucklosen Neubau ersetzt. Jetzt entsteht hier die Elbphilharmonie.