Hamburg. Hamburg nennt zwar die gesamten Kosten für die Spiele. Die spannende Frage aber bleibt: Übernimmt der Bund wirklich den Löwenanteil?

Für Sportler ist die Teilnahme an Olympischen Spielen häufig der Karrierehöhepunkt und eine ungeheure Drucksituation zugleich. Erfolgreich sind dabei in der Regel die, die es schaffen, diesen Druck auszublenden oder in positive Energie zu verwandeln. Vergleichbar ist seit dieser Woche die politische Lage rund um Hamburgs Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024: Da steht nun jemand unter Druck, der das aber möglichst nicht merken soll und dem deswegen wortreich eingeredet wird, dass er „alle Zeit der Welt“ habe, niemand setze ihm „die Pistole auf die Brust“ und so weiter.

Dieser „Jemand“ ist die Bundesregierung, und den Kessel erhitzt hat niemand anderes als Olaf Scholz. Am Donnerstag stellte der Bürgermeister den mit Spannung erwarteten Finanzreport zu den Spielen vor. Auf 114 Seiten listet das Papier detailliert auf, in welchem Bereich welche Kosten anfallen würden – sogar Inflationsrate, steigende Baukosten und Unsicherheiten wegen des frühen Planungsstands sind schon einkalkuliert. Was Scholz in aller Bescheidenheit zu der Bemerkung veranlasste, das sei die am besten durchgerechnete Bewerbung „ever“.

Die an diesem Tag entscheidenden Worte sind am Ende des Reports versteckt, am Fuß der Seite 112. Von den 7,4 Milliarden Euro, die die öffentliche Hand tragen müsse, so steht es dort, könne Hamburg 1,2 Milliarden Euro beitragen – verteilt auf bis zu 200 Millionen in den Jahren 2018 bis 2023. Mehr gehe nicht, das sei eine „klare Ansage“, betonte Scholz mehrfach. Doch je deutlicher er das im proppevollen Bürgermeistersaal des Rathauses formulierte, desto sichtbarer wurde der Haken an der Geschichte: Den Löwenanteil von 6,2 Milliarden Euro soll der Bund tragen – der das aber noch gar nicht zugesagt hat und sich nun dem Druck ausgesetzt sieht, die Bewerbung möglich zu machen. Oder eben nicht.

Die Bundesregierung nehme die Zahlen „zur Kenntnis“, ließ das Innenministerium auf Anfrage der „Welt“ schmallippig ausrichten und fügte hinzu: „Eine Einigung konnte bisher noch nicht erreicht werden, die Gespräche zwischen Bund und Hamburg laufen weiter.“ Im Übrigen zeige man sich bereits großzügig gegenüber Hamburg.

Tatsächlich beteiligt sich der Bund erstmals seit 1972 schon an den Bewerbungskosten, und auch an wortreicher Unterstützung fehlt es nicht. Erst am Mittwoch sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), die Bewerbung um die Spiele in Hamburg sei „wichtiger“ als die um die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland. Das war eine klare Ansage.

Umso überraschender war, dass Bund und Land sich bislang nicht über die Kosten einigen konnten. Denn dass Scholz die im Herbst nennen muss, war seit Monaten bekannt. Am 29. November stimmen die Hamburger in einem Referendum über die Bewerbung ab, in zwei Wochen werden die Abstimmungsunterlagen verschickt, und angesichts der Sorge vieler Bürger vor einem finanziellen Fiasko sollte vorher auf jeden Fall mitgeteilt werden, was die Spiele der Stadt kosten würden.

In Berlin hat man schlicht andere Sorgen als die Olympia-Bewerbung

Diesen Anspruch hat der Senat nun erfüllt, aber es bleibt halt eine gewaltige Unbekannte. Dabei gab es durchaus ein Zeitfenster für eine Einigung mit dem Bund. Denn die Eckdaten zu den Kosten lagen intern seit Anfang August vor, Mitte September war der Finanzreport im Prinzip fertig. Nicht wenige Beobachter hatten erwartet, dass vor der Veröffentlichung wenigstens über die grobe Aufteilung der Kosten eine Einigung vorliegen würde – schon, um die Bevölkerung vor dem Referendum nicht im Unklaren zu lassen. Dass es nun anders kam, hat mehrere Gründe.

Einer ist, dass man in Berlin schlicht andere Sorgen hat als die Olympiabewerbung: „Die haben noch ein paar andere dicke Bretter zu bohren“, heißt es in Hamburger Regierungskreisen verständnisvoll mit Blick auf Euro-Krise, Ukraine-Konflikt und Flüchtlingsdrama. „Da stellt man nicht mal eben zwischen Tagesschau und Wetterkarte einen Scheck über sechs Milliarden aus.“

Hinzu kommt, dass Scholz in den vergangenen Monaten ohnehin permanent Finanzthemen mit der Bundesregierung erörtert hat, vor allem mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Dass die Bundesländer jetzt deutlich mehr Geld zur Bewältigung des Flüchtlingsansturms erhalten, ist zum Beispiel maßgeblich auf seine Verhandlungen zurückzuführen. Zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs legten Scholz und Schäuble sogar einen gemeinsamen Vorschlag auf den Tisch, der die Länder um etliche Milliarden besser stellen würde. Und auch die erfolgreiche Klage gegen das Betreuungsgeld, das nun den Ländern zur Verbesserung der Kita-Betreuung zugute kommt, wurde von Hamburg betrieben. Vor allem Schäuble soll daher signalisiert haben, dass er angesichts der enormen Bewegung in seinem Haushalt nicht mal eben weitere sechs Milliarden Euro für Olympia in die mittelfristige Finanzplanung aufnehme und so vielleicht die Einhaltung der Schuldenbremse gefährde.

Hamburg will den Druck auf den Bund nicht erhöhen – der ist ohnehin da

In Hamburg bemüht man sich daher um freundliche Worte Richtung Berlin. Dass der Bund den Finanzreport nun gründlich prüfe, bevor er Zusagen mache, sei doch völlig normal, da lasse man Berlin alle Zeit der Welt. Bloß keinen zusätzlichen Druck ausüben, ist die Devise – der ergibt sich schließlich von allein, weil bis Februar eine schriftliche Zusage über die Kostenübernahme vorliegen muss. Scholz selbst sagte am Freitagabend bei einer Olympia-Infoveranstaltung in Altona zu den Gesprächen mit dem Bund: „Ich freue mich auf jeden Tag davon.“

Seine Sichtweise geht so: Die Bewerbung ist eine nationale Aufgabe, Hamburg steuert dazu mehr bei als die Stadt London 2012, und der übliche Drittelmix, wonach Bund, Bundesland und Kommune sich die Kosten aufteilen, funktioniere nicht, weil Hamburg Land und Kommune zugleich ist. In Berlin gibt es dagegen Stimmen, die Hamburgs finanziellen Beitrag „nicht so überragend“ finden. Auch werde der Bund sicher hinterfragen, welche Kosten wirklich olympiabedingt sind und was in Wahrheit Stadtentwicklung ist.

Nur in einem sind sich alle Beobachter einig: Man wird sich am Ende einigen. Aus einem einfachen Grund, so ein Insider: „Ein Scheitern der Bewerbung wäre eine Blamage.“ Für Hamburg. Und für Deutschland.