Ärzte konkurrieren um lukrative Flüchtlingsversorgung
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Hamburg. Mediziner aus Erstaufnahme-Einrichtungen gründen hinter dem Rücken ihres bisherigen Arbeitgebers eine eigene Organisation.
Bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingenkommt es zum ersten Verteilungskampf. Drei Ärzte, die das Trainingszentrum für Erste Hilfe & Notfallmedizin (TEN) als Honorarkräfte für die Arbeit in sechs Erstaufnahmestellen angestellt hat, haben hinter dem Rücken ihres Auftraggebers eine eigene Organisation gegründet. Mit dieser wollen sie jetzt selbst ins lukrative Geschäft einsteigen.
TEN-Gründer Joel Cissarz stellt normalerweise mit seinem Team die medizinische Versorgung bei Großveranstaltungen oder in Katastrophenfällen sicher. Seit dem 29. Juli ist er im Auftrag der Stadt unter anderem für die Unterkünfte Jenfelder Moorpark, Messehallen und Schnackenburgallee zuständig. Für die Betreuung der Flüchtlinge stockte er sein Team mit Ärzten, Rettungsassistenten und Krankenpflegern auf. Mehr als 300 Mitarbeiter stehen ihm nun zur Verfügung, bis zu 40 sind täglich im Einsatz.
Die Mediziner Alexandra J., Paul B. und Nicola P. sowie Apotheker Holger G. werfen ihm in einem Schreiben vom 10. September vor, „Struktur, personelle Ausstattung und fachliche Kompetenz“ seines Zentrums seien für die medizinische Versorgung in den Erstaufnahmen „nicht ausreichend“. Daher würden sie die Zusammenarbeit sofort beenden.
Cissarz, der von ihren Plänen erfahren und ihnen die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte, weist ihre Vorwürfe als Diffamierungen zurück – ohne Struktur und Know-how sei das TEN in Notfällen nicht einsatzfähig.
Insgesamt 20 Mitarbeiter warben J., B. und P. ab. Das konnte Cissarz durch das Einstellen von neuem Personal auffangen. Lediglich durch das Abspringen des kooperierenden Apothekers gab es vorübergehend einen Engpass bei der Arzneimittelversorgung der Flüchtlinge. „Fördern & Wohnen“, der Träger der Unterkünfte, möchte die Differenzen nicht kommentieren. Rico Schmidt, Sprecher der Gesundheitsbehörde, sagt, er habe bei Besuchen in den Erstaufnahmen „nichts Negatives festgestellt. „Das TEN ist eine vernünftige Organisation, die vernünftige Arbeit leistet“, so Schmidt.
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Cissarz’ Mitarbeiter arbeiten stundenweise und selbstständig für ihn und stellen ihm ihre Honorare in Rechnung. Diese Beträge und die je nach Aufwand schwankenden Kosten für die medizinische Versorgung der Flüchtlinge rechnet er mit „Fördern & Wohnen“ beziehungsweise der Sozialbehörde ab. Dazu kommen gesonderte Posten wie zum Beispiel Medikamente, Laboruntersuchungen oder Planungskosten. Wie hoch diese Ausgaben derzeit sind, konnte „Fördern & Wohnen“ dem Abendblatt auch eine Woche nach Eingang der Anfrage nicht mitteilen.
2014 kostete die hausärztliche Versorgung der Flüchtlinge in den Zentralen Erstaufnahmen nach Angaben der Sozialbehörde durchschnittlich rund 250 Euro pro Person, dazu kamen die Eingangsuntersuchung (110 Euro) und Impfungen (zehn Euro). Insgesamt gab die Stadt für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen 2014 knapp 24 Millionen Euro aus. In diesem Jahr dürften die Ausgaben wegen der vielen Zuwanderer enorm steigen.
Auch die Honorarforderungen von Ärztin Alexandra J. stiegen dramatisch. Sie stellte Cissarz, der seinen Notfallärzten 85 bis 100 Euro pro Stunde zahlt, einen Stundenlohn von 300 Euro in Rechnung. Für 349,5 Arbeitsstunden forderte ihr Anwalt von Cissarz insgesamt 104.000 Euro ein. Cissarz: „Vereinbart war, dass Frau J. ein Kontingent von 40 Stunden zu dem hohen Satz abrechnen durfte. Dabei handelte es sich um Beraterhonorare im Vorfeld der Krätze-Dekontaminierung.“ Für die in Europa bislang einmalige Aktion habe man Experten zu Rate ziehen müssen. Zu einer Stellungnahme waren die drei Ärzte nicht bereit. „Wir haben entschieden, nichts zu sagen“, so J. zum Abendblatt. Bei der Stadt, so ein Insider, sei das Team wegen seiner Preisvorstellungen bereits abgeblitzt. Wohl nicht zuletzt wegen der Kosten wird Hamburg die medizinische Versorgung der Flüchtlinge umstrukturieren. Nach und nach sollen Krankenhäuser, Bundeswehr und Rotes Kreuz die Sprechstunden in den Unterkünften abhalten. Die Koordination übernimmt ab Oktober das Gesundheitsamt Altona.
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