Hamburg. Die Gruppe besetzte am Donnerstagnachmittag den Michel. Sie durften im Gemeindehaus übernachten. Gespräche werden Freitag fortgesetzt.
Rund 50 Menschen aus der Gruppe „Romano Jekipe Ano Hamburg – Vereinigte Roma Hamburg“ haben am Donnerstagnachmittag die Hauptkirche St. Michaelis besetzt. Sie forderten einen sofortigen Abschiebestopp auf den Balkan sowie ein Bleiberecht für ihre Familien. Etwa 20 Aktivisten aus dem Umfeld des Bündnisses „Recht auf Stadt“ und dem Kollektiven Zentrum (KoZe) im Münzviertel unterstützten die Aktion. Bis zum späten Abend verhandelte die Roma-Gruppe mit Hauptpastor Alexander Röder darüber, ob sie in der Kirche übernachten darf und wie es weitergeht. Die Akteure vereinbarten, dass die Gruppe im Gemeindehaus übernachten darf. Am Freitagmorgen solte dann weiter verhandelt werden. Am Nachmittag trifft sich der Kirchengemeinderat zu einer Sondersitzung.
Roma-Flüchtlinge besetzen Michel
Nach Angaben der Kirche kamen die 50 Roma – Erwachsene und Kinder – gegen 16 Uhr durch das Haupttor herein, ließen sich auf den Bänken im Kirchenschiff nieder und entrollten Spruchbänder. Die Gruppe „Vereinigte Roma Hamburg“ setzt sich nach eigenen Angaben aus Asylbewerbern aus Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo zusammen. 20 Familien hätten von der Ausländerbehörde einen Bescheid zur Abschiebung erhalten, „viele sollen noch vor dem Wochenende im Flieger sitzen“, sagte ein Unterstützer. Die Gruppe kündigte an, so lange im Michel bleiben zu wollen, bis die Stadt allen 20 betroffenen Familien ein Bleiberecht erteile. Die Balkanstaaten seien für die Behörden zwar „sichere Herkunftsländer“, die Roma seien in ihrer Heimat aber rassistischer Diskriminierung durch staatliche Institutionen und einem Teil der Bevölkerung ausgesetzt.
Michel-Geschäftsführer Thorsten Schulze bot den Roma ein Gespräch mit dem Hauptpastor an, wenn sie die Spruchbänder einrollten. Dieser Aufforderung kamen die Familien nach. Im Anschluss zogen sich Röder, zwei weitere Pfarrer und einige Sprecher der Gruppe zu einem Gespräch im Gemeindehaus zurück. Bis zum Abend dauerten die Verhandlungen an.
Viele der Roma hatten bereits Koffer und Schlafsäcke dabei. Als Unterstützer der Initiative „Recht auf Stadt“ zwei große Töpfe mit warmem Essen in die Kirche bringen wollten, wurden sie von einem Mitarbeiter des Michel gestoppt. Er bot an, das Essen im Gemeindehaus verteilen zu lassen. Polizeibeamte forderten weitere Demonstranten auf, keine Transparente vor dem Michel zu entrollen.
Warum es sich nicht um Kirchenasyl handelt
Die Flüchtlinge, die seit Donnerstag im Michel sind, haben bislang kein Kirchenasyl. Kirchenasyl hat in Deutschland eine lange Tradition. Seit 30 Jahren gewähren Kirchengemeinden Geflüchteten in ihren Räumen Schutz vor einer Abschiebung, durch die im Heimatland Leib und Leben gefährdet werden könnten. Wer und ob eine Gemeinde Flüchtlinge aufnimmt entscheidet sie in ihren Gremien. Der Beschluss ist eine Voraussetzung für Gewährung von Kirchenasyl. In der Regeln sind es Einzelfälle. Ehrenamtliche Helfer übernehmen die Betreuung und Versorgung. Es handelt sich um eine rechtliche Grauzone. Aber es gibt klare Absprachen, wie Kirche und Behörden in diesen Fällen miteinander kommunizieren.
Anfang September lebten in Deutschland nach Angaben der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche 452 Menschen im Kirchenasyl, 95 davon waren Kinder. Der größte Teil der Kirchenasyle sind sogenannte Dublin-Fälle. Das bedeutet, dass Flüchtlinge in das Land abgeschoben werden sollen (im Amtsdeutsch: zurückgeführt), in dem sie in Europa angekommen sind. Das Land ist nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Asylverfahrens zuständig. Gerade aus Ländern wie Italien, Griechenland oder Ungarn gibt es erschreckende Berichte über die Zustände.
Wenn ein Flüchtlinge sich aber schon länger in Deutschland aufhält, können die hiesigen Behörden das Verfahren an sich ziehen. Mit dem Kirchenasyl wollen die Kirchen in bestimmten Fällen, diese Frist „überbrücken“, ohne dass Menschen in die Illegalität abtauchen müssen. Anfang des Jahres hatte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) die Praxis des Kirchenasyls massiv kritisiert. Es kam zu einem Konflikt mit den Kirchen, am Ende hatten das Ministerium auf eine Verschärfung der Abschiebefristen verzichtet.