Hamburg. Wettlauf gegen den Frost: Stadt wird kaum alle Zelte rechtzeitig abbauen. Familien haben Vorrang. Kommen riesige Camps in Billstedt?
Die vergangenen Tage waren ein Vorgeschmack, der Regen trommelte unnachgiebig, Pfützen und Schlamm überall. „Wenn Schnee fällt, sind wir hier am Ende“, sagt Muhammed Mustar, ein 19-Jähriger aus Syrien, der mit 15 anderen Flüchtlingenin einem etwa 30 Meter langen Zelt an der Dratelnstraße lebt. Bevor es richtig kalt wird, sollen Mustar und 2500 andere Flüchtlinge in Container und Hallen gebracht werden, dafür arbeitet die Stadt nach wie vor. „Nur sieht es in diesem Wettlauf nicht besonders gut aus“, heißt es aus Senatskreisen.
„Vorsorglich“ wurden mehrere Ölheizungen und 290 Lüfter bestellt, um auch die Zeltlager am Jenfelder Moorpark, an der Dratelnstraße in Wilhelmsburg und der Schnackenburgallee in Bahrenfeld beheizen zu können. Ende September sollen die ersten Geräte stehen, die Innenwände der Zelte mit zusätzlichen Dämmstoffen ausgekleidet werden. Bereits jetzt werde es nachts bitterkalt, sagen Bewohner, immerhin regne es nicht herein. Die Flüchtlinge nächtigen dort in Schlafsäcken auf Feldbetten, in den Zelten gibt es keine Stühle oder Tische.
Im Gegensatz zu den Zelten der Bundeswehr am Ohlstedter Platz ist unklar, ob sich die weiteren Notbehausungen warm halten lassen. „Die Zelte sind so beschaffen, dass in jedem Fall eine Riesenheizleistung nötig ist“, heißt es aus dem Vertrieb der Firma Lanco in Hannover, deren Zelte am Jenfelder Moorpark stehen. „Ausdrücklich sind die Zeltdächer nicht dafür geeignet, das Gewicht von starkem Neuschnee auszuhalten.“ Weitere Zelte von der Bundeswehr zu erhalten, die sehr witterungsfest sind, erscheint ausgeschlossen. „Deren Lager sind auch leer“, heißt es aus der Innenbehörde.
In der Lenkungsgruppe der Behörden gilt alle Kraft dem Ziel, so viele Flüchtlinge wie möglich aus den Zelten abzulösen. Dafür sollen große leer stehende Hallen, zum Beispiel in Gewerbegebieten, kurzfristig als Erstaufnahmen genutzt werden. „Uns ist bewusst, dass wir schnelle Lösungen brauchen – deshalb prüfen wir auf den ersten Blick geeignete Hallen unter Hochdruck.“ Noch gebe es aber keine Ergebnisse.
Deutschland, Europa und die Flüchtlingsfrage
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Auf die Frage, ob auch im Winter noch Zelte stehen werden, verwies Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, auf die Rede von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Wochenende auf dem Rathausmarkt: „Wir werden mit Provisorien leben müssen, das geht gar nicht anders“, hatte Scholz gesagt, aber auch betont, dass die Zeltdörfer „hoffentlich nur eine vorübergehende Lösung und keine für die Wintermonate sein werden“.
Nach Abendblatt-Informationen soll zunächst das Lager am Jenfelder Moorpark abgebaut werden, um auch Personal und Infrastruktur an andere Standorte in Hamburg verlegen zu können. Wie eine Sprecherin der städtischen Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ sagte, würden frei werdende Plätze in festen Unterkünften „in erster Linie an Familien mit Kleinkindern, Schwangere, Ältere oder körperlich Eingeschränkte“ vergeben.
In Billbrook und Billstedt sind schon jetzt mehr als 1900 Flüchtlinge untergebracht. Damit gehören die Stadtteile zu den Spitzenreitern in Hamburg. Zuletzt wurde an der Berzeliusstraße eine Einrichtung für rund 600 Menschen geschaffen. Das hatte für scharfe Kritik aus der Politik gesorgt. Jetzt sorgt eine neue Nachricht für Aufregung: „Auch in Billstedt gibt es Flächen, die für den Bau von Wohnraum für bis zu 3000 Flüchtlinge geeignet sind“, bestätigte Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD). Es gebe aber noch keine Entscheidung. Die zwei Flächen, die im Gespräch sind, sollen sich dem Vernehmen nach im Umfeld des Öjendorfer Sees befinden. Dem SPD-Fraktionschef in Mitte, Falko Droßmann, ist wichtig: „Wir wissen, dass Billstedt bereits sehr viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Deshalb müssen wir die Bürger vor Ort auf jeden Fall mit einbeziehen, wenn sich ein Standort konkretisieren sollte.“ Solche Entscheidungen dürften nicht über die Köpfe der Anwohner hinweg entschieden werden, so Droßmann weiter. Der Billstedter CDU-Bürgerschaftsabgeordnete David Erkalp schloss sich dieser Forderung an und betonte, die Flüchtlinge müssten über die gesamte Stadt verteilt werden.
Im Senat wird die eigene Prognose darüber angepasst, wie viele Flüchtlinge bis Ende Dezember in Hamburg zu erwarten sind. Nach Abendblatt-Informationen wird die bisherige Schätzung, zum Jahresende 31.000 Plätze verfügbar haben zu müssen, noch einmal deutlich angehoben. Allein im August trafen nach vorläufigen Angaben 6700 Flüchtlinge ein. Auffallend stark sank die Zahl der Asylbewerber aus Balkanländern: So kamen im August nicht mehr die meisten Flüchtlinge aus Albanien, sondern mit Abstand aus Syrien (765 registrierte Flüchtlinge). Aus anderen Balkanstaaten trafen jeweils weniger als 100 Asylbewerber ein.
Völlig unklar ist, wie sich die wieder aufgenommenen Grenzkontrollen auswirken werden. „Es könnte eine Entlastung geben. Vielleicht werden wir aber auch weiterhin überrannt, nur sind die Flüchtlinge dann schon registriert“, heißt es aus dem Senatsumfeld.
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