Es muss Hamburg gelingen, Flüchtlinge im Winter in festen Unterkünften unterzubringen
Nun also doch: Das ehrgeizige Ziel aus dem Sommer, Flüchtlinge nur vorübergehend in Zelten unterzubringen und allen mit Beginn der kalten Jahreszeit ein festes Dach über dem Kopf zu bieten, wird schwer zu halten sein. Die Behörden machen jetzt schon einmal die eigentlich als Übergangslösung gedachten Zeltdörfer in Hamburg wetterfest – so gut es eben geht. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es sich darin lebt, wenn der Regen den Untergrund und die Wege aufweicht, wenn die Herbststürme einsetzen, wenn draußen Schnee fällt und im Inneren gegen die Minusgrade kaum noch anzuheizen ist.
Solche Bilder vertragen sich außerordentlich schlecht mit dem Hochgefühl, das die Deutschen und auch die Hamburger erfasst hat. Zum Gefühl, das Richtige zu tun, voranzugehen und die Menschen, die aus Not und Bürgerkrieg zu uns kommen, mit tatkräftiger Freundlichkeit willkommen zu heißen. Und sie passen schlecht zum Optimismus von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der den Tausenden Bürgern bei der Solidaritätskundgebung auf dem Rathausmarkt noch am Wochenende zurief: „Wir kriegen das hin!“ Allerdings hatte Scholz auch von den Problemen und Herausforderungen gesprochen, die nicht kleingeredet werden sollten.
Was er damit unter anderem gemeint haben dürfte, zeigt sich jetzt. Die harte Realität trifft auf den Idealismus der Lennon-Hymne „Imagine“, die die bürgerlichen Demonstranten vor dem Rathaus anstimmten. Stell dir vor, Tausende Flüchtlinge müssen während der Wintermonate in Zelten leben. Um es klar zu sagen: Das ist nicht akzeptabel. Nicht für die Betroffenen, und auch wir Hamburger sollten das nicht akzeptieren.
Den Behörden oder der Politik einen Vorwurf zu machen wäre allerdings nicht nur billig, sondern auch falsch. Sie werden von der großen Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, in ihren Planungen schlichtweg überrollt – und zwar jede Woche aufs Neue. Um zu verstehen, welche Dynamik der Zustrom der Menschen entwickelt, muss man sich die Fakten vor Augen führen. 2014 kamen nach offiziellen Angaben mehr als 6600 Flüchtlinge nach Hamburg. Allein im August 2015 waren es in nur einem Monat etwa genauso viele, auch wenn einige von ihnen in andere Bundesländer verteilt wurden. Im Juni mussten lediglich 1400 Asylbewerber untergebracht werden, das galt schon als extremer Ausreißer nach oben. Damals ließ sich nicht absehen, wie viele Menschen noch kommen würden.
Was also tun? Wir müssen uns noch stärker ins Zeug legen, um gemeinsam doch noch ausreichend feste Unterkünfte für die Menschen zu finden. Auch Verbände, Kirchen und Wirtschaft könnten einen Beitrag leisten. Wenn Flüchtlinge in leeren Gewerbehallen unterkommen könnten, wäre das gut – jedenfalls besser als in Zelten. Die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs hat am Dienstag dankenswerterweise angekündigt, dass sich die Gemeinden in ihrem Sprengel noch stärker engagieren sollten. Das katholische Erzbistum will prüfen, ob Räume für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden können.
Im Raum steht seit Monaten die Frage, ob Hamburg auch die Turnhallen öffnet. Das sollte allerdings der letzte Schritt sein. Denn es würde nicht nur den Schulalltag massiv beeinträchtigen, sondern auch die vielen Vereine und Sportler, die die Hallen am Nachmittag nutzen. Die Erfahrungen in Berlin waren jedenfalls keine guten. Denn damit wird gerade das aufs Spiel gesetzt, was vielleicht das Wichtigste ist in der jetzigen Situation: die große Anteilnahme, Hilfsbereitschaft und Unterstützung in der Bevölkerung.
Seite 8 Wettrennen gegen den Frost