Hamburg. Friedfertigkeit und Gewaltbereitschaft lagen Sonnabend nah beieinander. Am Bahnhof war die Polizei mit einem Großaufgebot im Einsatz.

Viele Tausend Menschen demonstrieren am Sonnabend in Hamburg gegen Rechts - aber wo sind die Rechten? Diese Frage scheint schnell beantwortet: Die Bremer Polizei warnte am Morgen in einer Pressemitteilung davor, dass die Rechtsextremisten, deren Kundgebung in Hamburg erst kurz vor Mitternacht in letzter Instanz verboten worden war, nach Bremen ausweichen könnten. Gewalttätige Neonazis seien an den Hauptbahnhöfen in Hamburg und Bremen unterwegs, verbreitete das Hamburger Bündnis gegen Rechts auf Facebook.

Daraufhin wird der Hamburger Bahnhof zu einem Brennpunkt der Auseinandersetzungen, meist zwischen linken Demonstranten und der Polizei. Auch eine Gruppe von 30 Rechtsextremisten zeigt sich, versucht, Linke zu provozieren. Diese bewerfen einen Zug mit Steinen, Scheiben gehen zu Bruch. Sie greifen auch Beamte mit Reizgas an.

Auf den Bahnsteigen stehen Reisende herum

Böller werden gezündet. Warum der Zug attackiert wird, kann die Polizei auch am Sonntag nicht sagen. Der Regionalexpress sollte nach Flensburg fahren - nicht nach Bremen.

Auf den Bahnsteigen stehen Reisende herum. Sie sind frustriert über die Warterei. „Ich bin einfach nur von der Gewaltbereitschaft entsetzt“, sagt eine Urlauberin auf dem Weg nach Puttgarden dem NDR. Die Bundespolizei versucht, die Lage mit einer Durchsage zu entspannen: „Es ist nicht damit zu rechnen, dass rechte Straftäter den Bahnhof erreichen.“ Die Lage sei unter Kontrolle.

Am DB-Servicepunkt auf dem Südsteg steht ein Mann aus Stuttgart. Seit zwei Stunden versucht der 62-Jährige, weiter nach Flensburg zu reisen. „Ich will zu einer Tagung und freue mich schon auf das Bett dort“, sagt er sichtlich ermattet. Seit mehr als acht Stunden sei er unterwegs. Wegen vieler Flüchtlinge sei es im Zug nach Hamburg bereits sehr voll gewesen. „Es nervt schon, aber hier kann ja keiner was dafür“, versucht der geübte Bahnfahrer sich zu trösten.

Immer wieder rennen kleine Gruppen von Demonstranten durch den Bahnhof

Eine ältere Frau aus Itzehoe klagt: „Ich stehe hier und die Züge fallen aus. Das ist furchtbar“, berichtet sie am Handy in der langen Schlange vor dem Servicepoint. Am Morgen habe sie ihre Enkelin zum Zug gebracht, seitdem komme sie nicht weg.

Immer wieder rennen kleine Gruppen von Demonstranten durch den Bahnhof und liefern sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Meist bleibt es bei Wortgefechten. Vor dem Gebäude versammeln sich etwa 3000 Linke, wettern gegen Neonazis. Von einem Truck wummern Bässe. Vor den Eingängen sitzen Protestler auf dem Boden. Vereinzelt werden Chorgesänge mit dem Ruf „Antifa“ angestimmt.

Rund um den Bahnhof ist die Polizei mit einem Großaufgebot im Einsatz. Polizisten versperren die Eingänge und lassen nur einzeln Leute ins Gebäude. Linken Demonstranten wird teilweise der Durchgang verwehrt. Über allem kreisen zwei Hubschrauber.

Am Rathausplatz feiern Menschen mit Luftgallons und Fähnchen

Die Lage steht in starkem Kontrast zum Geschehen auf dem nur einen Kilometer entfernten Rathausplatz. Dort feiern 7500 Menschen mit Luftballons, Fähnchen und Willkommensschildern für Flüchtlinge ein friedliches Fest für Toleranz und Vielfalt. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erinnert an die Aufnahme von 275 000 Flüchtlingen in Hamburg nach dem Krieg.

Alle Menschen seien in der Hansestadt willkommen, sagt auch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) und schränkt gleich ein: „Wir wollen keine Nazis, wir brauchen keine Hooligans, und wir brauchen keine Rassisten.“ Zum Abschluss stimmen sie alle John Lennons „Imagine“ an. Ein Kirchentag könnte nicht friedlicher sein.