Hamburg. Heute entscheidet das Oberverwaltunsgericht über den Einspruch gegen das Verbot der Demonstration. Wie geht es dann weiter?
Die Stadt bereitet sich auf ein brisantes Wochenende vor: Erst kurzfristig wird die Justiz entscheiden, ob der geplante Nazi-Aufmarsch mit 3000 gewaltbereiten Teilnehmern stattfinden darf. Dennoch wollen bis zu 15.000 Gegendemonstranten durch die Innenstadt ziehen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie ist der derzeitige Stand im Beschwerdeverfahren?
Am frühen Donnerstagnachmittag legten die Anmelder des rechtsextremen Aufmarsches formal Beschwerde gegen das richterliche Verbot der Demonstration aus erster Instanz ein. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) wird bis zum Freitagabend über den Einspruch entscheiden. Danach bliebe dem Anmelder noch der Gang vor das Verfassungsgericht – dort sind Verhandlungen über Nacht üblich. Eine Entscheidung würde dann erst am Sonnabendvormittag fallen.
Bleibt das Verbot bestehen?
Rechtsexperten gehen von folgendem Szenario aus: Das OVG lehnt auch die Beschwerde ab und folgt der Vorinstanz. Möglicherweise wird dann das Verfassungsgericht die Entscheidung teils aufheben und eine stationäre Kundgebung der Rechtsextremisten erlauben. Jüngst hatten die Richter das Demoverbot im sächsischen Heidenau gekippt – ein Beleg dafür, dass das Verfassungsgericht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hoch ansiedelt.
Welche Gegenproteste sind zu erwarten?
Am Sonnabend sind mehrere große Gegenkundgebungen geplant. Das Bündnis „Hamburg bekennt Farbe“ ruft alle Hamburger auf, sich auf dem Rathausmarkt zu versammeln. Wie im Jahr 2012 soll ein friedliches Volksfest gefeiert werden, Tausende Teilnehmer werden erwartet. Hinter der Aktion steckt federführend die Sozialbehörde. Bereits um 10 Uhr versammeln sich die Teilnehmer des „Bündnisses gegen Rechts“ am Hachmannplatz. 630 Organisationen, darunter Parteien und Gewerkschaften, rufen zu einem „bunten und lauten“ Protest auf. Sollte der Nazi-Aufmarsch ausfallen, ist ein „Jubelzug“ geplant. Wenn der „Tag der Patrioten“ doch stattfindet, sollen die Rechtsextremen aktiv angegangen werden. „Wir werden Sitzblockaden als politisches Mittel nutzen“, sagte Maximilian Bierbaum, Vorsitzender der Grünen Jugend in Hamburg. Der Demonstrationszug werde sich „dahin bewegen, wo die Nazis sind“, hieß es. Die linksradikale Szene im Internet rief Antifaschisten dazu auf, Rechtsradikale „zu jagen“. Die Aufrufe sind etwa mit „braune Kartoffeln umpflügen“ überschrieben. Insgesamt werden mehr als 15.000 Menschen gegen die Rechten auf die Straße gehen.
Wie viel Polizisten sind im Einsatz?
Bereits in der Vorwoche hat die Hamburger Polizei mehr als 30 Hundertschaften aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei angefordert, wegen der Flüchtlingssituation wären aber nur etwa zehn Hundertschaften verfügbar. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichts heißt es, dass mehr als 3000 Beamte für die Sicherung des Nazi-Aufmarsches fehlten. Deshalb berief sich das Präsidium auf den „polizeilichen Notstand“, selbst für eine stationäre Kundgebung gebe es nicht genügend Beamte, so die Polizei.
Wie bewertet das Gericht die Gefahr von Ausschreitungen?
Das Verwaltungsgericht Hamburg folgte der Argumentation der Polizei: Die Richter sehen deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die Mehrheit der Teilnehmer am Aufzug auf Gewalt aus ist. Das Gericht stützt sich auf Erkenntnisse des LKA und des Hamburger Verfassungsschutzes. Rund die Hälfte der Teilnehmer, etwa 1500 Hooligans werden erwartet, sei nicht nur „gewaltbereit, sondern Gewalt suchend“. Zudem geht das Gericht von Angriffen auf Polizisten und Unbeteiligte wie Passanten und Ladenbesitzer aus.
Was passiert, wenn das Verbot des Nazi-Aufmarsches bestehen bleibt?
Die Polizei rechnet damit, dass in jedem Fall „einige Rechtsextremisten“ kommen werden. Bei vergangenen Aufmärschen reisten sie aus Süden meist über den Bahnhof Harburg an. Die Bundespolizei wird die Züge engmaschig kontrollieren und bekannte Neonazis möglicherweise an der Anreise hindern. Die Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg werden am Sonnabend verstärkt bewacht. „Wir werden bei einer Bedrohung konsequent einschreiten“, heißt es aus dem Präsidium. Hinweise darauf, dass es zu Anschlägen kommen könnte, gibt es aber nicht.
Wer steckt hinter dem Aufmarsch?
Offiziell Bernhard W., er gilt jedoch nur als „Strohmann“, als Drahtzieher gelten die Neonazis Jan-Steffen H. und Thorsten d. V., der sich zum „patriotischen Fußballspektrum“ zählt. Treibende Kraft hinter dem Aufmarsch sind vor allem Einzelpersonen und extrem rechte Gruppen, beispielsweise die German Defence League oder das Neonazi-Internetprojekt „FSN.tv“. Zudem mobilisieren rechte Gruppen wie „Hooligans gegen Salafisten“ – eine Vereinigung, die im Oktober 2014 mit 5000 Teilnehmern durch Köln gezogen war – oder „Berserker Deutschland“.
Wer wird erwartet?
Zahlreiche bekannte Neonazis und Rechtspopulisten. „So eine Bühne lassen die sich nicht entgehen“, sagte der Berliner Extremismusforscher Professor Hajo Funke. Die deutschen Neonazis seien nach den Geschehnissen in Heidenau und Freital „richtig wild drauf“. „Wir haben es am Sonnabend mit Gewalt suchenden, extremen Rechten zu tun, die extremsten unter ihnen schrecken wohl auch vor Terrorakten nicht zurück“, sagte Funke dem Abendblatt. Für die Szene sei es aber schon ein „Sieg“, wenn es gelänge, die „Polizei alt aussehen“ zu lassen. Mit dem unscharfen Begriff „Patrioten“ wollten die Agitatoren auch bei Gemäßigten und Bürgerlichen fischen. Für den Hamburger Verfassungsschutz steht allerdings fest: „Der Tag der Patrioten“ ist eine rechtsextremistische Versammlung.