Hamburg. Die neue Kolumne Angekommen in Hamburg – Flüchtlinge schreiben im Abendblatt über ihr neues Leben. Heute: Berj Baghdee Sar aus Syrien.

„Endlich in Sicherheit“, war das erste Gefühl, das ich hatte, als ich in der Erstaufnahme in Friedland angekommen bin. 17 Tage Qual lagen hinter mir. Von Damaskus bis nach Norddeutschland. 17 Tage Angst davor, entdeckt zu werden, Tage, die ich versteckt in Lastwagen zwischen Kisten verbracht habe. Und immer war da die Unsicherheit: Kann ich dem Schleuser vertrauen?

Und nun also Friedland. Ein Name, den ich vorher noch nie gehört hatte. Auf Deutsch konnte ich noch nicht einmal Hallo oder Tschüs sagen. Ein fremder Ort, ein fremdes Land. Das zweite Gefühl: „Es ist kalt.“

Der Erste, der hier mit mir sprach, war ein syrisch-armenischer Pastor. Er half mir bei der Anmeldung im Büro. Während sie meine Daten aufnahmen, dachte ich an das, was hinter mir lag: Angst vor Raketen und radikalen Islamisten. Aber ich wusste auch, dass eine schwere Zeit auf mich wartet.

Zwar hatte ich vorher im Internet viel über Deutschland gelesen, aber das hatte nichts mit der Realität zu tun. Nach der Anmeldung wurde ich in ein Zimmer gebracht, in denen zwei Etagenbetten für sechs Menschen standen. Endlich ein Bett, endlich schlafen.

Flüchtlingsreporter Berj Baghdee Sar
Flüchtlingsreporter Berj Baghdee Sar © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Zum Glück war ich hier erst mal zwei Tage alleine. Daran, mit fremden Leuten im selben Zimmer zu leben, musste ich mich erst einmal gewöhnen. Das hatte ich vorher noch nie gemacht. In Syrien ist es nicht üblich, in Wohngemeinschaften zu leben. Auch junge Leute wohnen meistens allein. Und so allein in diesem Zimmer, dachte ich daran, dass ich meine Eltern vielleicht nie mehr sehen werde. Genauso wie die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin.

Ich wusste, dass ich in diesem Deutschland bei null anfangen und alles neu lernen muss wie ein kleines Kind. Besonders wenn man eigentlich längst erwachsen ist, ist dieses Gefühl, nichts zu können, schrecklich. Nach ein paar Tagen kam ich in ein anderes Zimmer, zusammen mit einem Syrer. Eigentlich gut, könnte man denken. Doch der Mann war bei der al-Nusra-Front aktiv. Das ist eine Organisation, die al-Qaida unterstützt und gegen das Regime kämpft. Das war für mich auch nicht einfach, ihn in meiner Nähe zu haben. Die meiste Zeit schwiegen wir.

Sehr schlimm war, dass ich meine Familie so sehr vermisste und nicht mit ihr sprechen konnte. Ich hatte kein Internet. Und keine SIM-Karte für mein Handy, um mit meiner Mutter zu telefonieren. In Friedland hatte ich wenig Kontakt mit Deutschen, sondern eher mit Arabern, die mir als Dolmetscher halfen. Heute, fast anderthalb Jahre später, denke ich noch oft an diese Tage zurück, die vielleicht die einsamsten und traurigsten in meinem Leben waren. Aber auch die wichtigsten, weil sich seitdem viel verändert hat.

Heute spreche ich ganz gut Deutsch. Ein Handy und einen Internetanschluss habe ich auch. So kann ich mit meiner Familie kommunizieren. Das hilft mir sehr. Ich weiß, dass es sehr schwer ist für meine Mutter, dass ich nicht zu Hause bin. Und auch für mich ist es schwer, dass die Leute, die mir Kraft geben könnten, nicht da sind. Das ist eine große Lücke in meinem Leben. Aber es muss weitergehen, und ich muss versuchen, das Beste daraus zu machen. Aber das Wichtigste ist: Ich muss vor niemandem Angst haben.

Info: Berj Baghdee Sar ist seit Kurzem freier Mitarbeiter beim Hamburger Abendblatt. Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit der Redakteurin Juliane Kmieciak entstanden. Berj stammt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dort hat er nach einem Wirtschaftsstudium als Wirtschaftsprüfer bei einer Bank gearbeitet. Im Frühjahr 2014 floh er aus Syrien. Seit knapp 1,5 Jahren lebt er in Hamburg. In Kürze startet er ein Praktikum bei einer Bank.