Fünf Neu-Hamburger, die alle vor Krieg, Terror und Unterdrückung nach Deutschland geflohen sind, stellen sich vor.
Hamburg. Sie kommen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Eritrea. Frauen und Männer, Christen und Muslime, die alle vor Krieg, Terror und Unterdrückung nach Deutschland geflohen sind. Fünf Neu-Hamburger, die jetzt als Reporter für das Hamburger Abendblatt schreiben. Denn wir wollen nicht nur über Flüchtlinge berichten, wir wollen, dass sie es selbst tun. Heute stellen sich Mays Albeer, Sahar Raza, Mohammad Shoaib Rezayi, Michael Mengsteab und Berj Baghdee Sar vor.
Mays Albeer
Ich heiße
Mays Albeer, bin 37 Jahre alt, Radiologin und komme aus Bagdad. Ich bin Christin und seit einem Jahr mit meinem Mann, einem Ingenieur, und unseren beiden Kindern in Hamburg.
Meine Eltern
Meine Mutter ist Apothekerin, mein Vater Ingenieur. Beide leben noch in Bagdad.
Meine früheste Erinnerung an den Krieg
Für mich ist Krieg der Normalzustand. Waffen, Bomben, Sirenen, Blut, tote Körper, Angst und Flucht – das ist Alltag in meinem Land. Ich habe während meiner ganzen Kindheit von Frieden geträumt, ihn aber nie erlebt.
Das erste Mal an Flucht gedacht habe ich
Fast alle Iraker denken oft daran, ihre Heimat zu verlassen. Auslöser für mich war der 31. Oktober 2010. An diesem Tag stürmten Männer eine Kirche in meiner Nachbarschaft und ermordeten mehr als 50 Frauen und Männer – darunter viele meiner Freunde. Rund 100 Menschen wurden schwer verletzt.
Meine Flucht begann am
29. August 2014. Wir sind mit einem Flugzeug über die Türkei nach Italien geflogen. Von dort konnten wir mit dem Zug nach Düsseldorf reisen.
In Hamburg lebe ich seit
genau einem Jahr. Wir blieben nur einige Tage in Düsseldorf, dann wurde uns gesagt, wir könnten nach Hamburg. Dank der Hilfe der Kirche leben wir in einer kleinen Wohnung.
Aufenthaltsstatus
Wir haben eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis. Ich wollte nach Deutschland, weil wir gehört hatten, dass es für mich als Ärztin und meinen Mann als Ingenieur gute Chancen auf einen Arbeitsplatz gibt.
Ich vermisse am meisten
meine Familie in Bagdad und meine Arbeit.
In fünf Jahren möchte ich
eine Arbeit haben – und sehr gut Deutsch sprechen.
Mohammad Shoaib Rezayi
Ich heiße
Mohammad Shoaib Rezayi, bin 22 Jahre alt und komme aus Herat im Norden von Afghanistan.
Meine Eltern
Mein Vater ist ein Geschäftsmann, meine Mutter ist Hausfrau.
Meine früheste Erinnerung an den Krieg
Bis Hamid Karsai 2001 an die Macht gekommen ist, war jeden Tag Krieg. Das gehörte zu meinem Alltag. Mit Karsai wurde es etwas besser.
Das erste Mal an Flucht gedacht habe ich,
als meine Arbeit als Fotojournalist zu gefährlich wurde. In Afghanistan habe ich den Krieg fotografiert, aber auch Frauen mit der blauen Burka und Kinder, die früh arbeiten mussten. Doch Politiker wollen diese Realität nicht sehen und haben Probleme mit Fotojournalisten wie mir. So kam es, dass ich bedroht und verletzt wurde, unter anderem mit einem Messer. Ich möchte hier nicht weiterschreiben, wie ich behandelt worden bin.
Meine Flucht begann
Ende 2011 und führte zunächst in den Iran, später dann nach Deutschland.
In Hamburg lebe ich seit
fast einem Jahr.
Mein Aufenthaltsstatus
Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, danach soll ich ein unbefristetes Bleiberecht bekommen.
Nach Deutschland wollte ich, weil
Deutschland ein starkes Land in Europa ist. Ein Land, in dem man Menschen zuhört, in dem es Lösungen für Probleme und eine Zukunft gibt.
Ich vermisste am meisten
meine Familie und Freunde und meinen Job als Fotojournalist.
In fünf Jahren möchte ich
am liebsten als Polizist in Hamburg arbeiten, vielleicht bei der Kriminalpolizei.
Michael Mengsteab
Ich heiße
Michael Mengsteab, bin 44 Jahre alt und komme aus Eritrea. Ich bin christlich-orthodoxen Glaubens, war Soldat und Taxifahrer. Ich bin geschieden und habe zwei Kinder, die bei ihrer Mutter in Eritrea leben.
Meine Eltern
Mein Vater war Lkw-Fahrer, meine Mutter Hausfrau.
Meine früheste Erinnerung an den Krieg
Als ich vier Jahre alt war, kamen Truppen in unser Dorf Adi Hawsha. Das war während des Unabhängigkeitskrieges gegen Äthiopien, der 30 Jahre dauerte. Meine Familie ist geflüchtet und 1983 zurückgekehrt. 1989 schloss ich mich den Unabhängigkeitskämpfern an.
Das erste Mal an Flucht gedacht habe ich
nach der Unabhängigkeit, als sich das Land zur Diktatur wandelte.
Meine Flucht begann
am 2. April 2014. Ich bin über den Sudan nach Libyen gereist. Dort habe ich für 1400 Dollar eine Überfahrt nach Italien gekauft – wir waren 400 Menschen auf einem viel zu kleinen Boot. Ein italienisches Schiff hat uns dann an Bord genommen und an Land gebracht. Ich blieb 17 Tage in Italien, dann reiste ich mit dem Zug über Paris und Brüssel nach Aachen.
In Hamburg lebe ich seit
dem 3. August 2014.
Aufenthaltsstatus
Ich habe eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis.
Ich wollte nach Deutschland, weil
es ein modernes Land ist – hier gibt es einen Rechtsstaat, und die Menschen sind frei.
Ich vermisse am meisten
meine Familie und meine Kinder, die Kultur – und scharfes Essen.
In fünf Jahren möchte ich
sehr gut Deutsch sprechen. Und ich wünsche mir, dass ich als Baggerfahrer oder Tischler arbeiten kann.
Sahar Raza
Ich heiße
Sahar Raza, bin 28 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Ich habe Politikwissenschaften studiert und habe in verschiedenen Menschenrechtsorganisationen gearbeitet, außerdem war ich Frauenrechtsaktivistin.
Meine Eltern
Meine Mutter ist Lehrerin, und mein Vater war Verkäufer. Meine Mutter und meine drei Schwestern leben seit drei Monaten wieder in Afghanistan, weil sie nicht mit mir fliehen konnten.
Meine früheste Erinnerung an den Krieg
Das ist schwer zu sagen. Ich wurde in den Krieg hineingeboren. Ich war mein ganzes Leben lang Flüchtling, seit 28 Jahren also. Das erste Mal an Flucht gedacht habe ich ungefähr ab Februar 2014. Mein Leben war in Gefahr. Da wusste ich, dass ich nicht in Afghanistan bleiben kann.
Meine Flucht begann
im April 2014. Die Route führte durch Pakistan, den Iran, Kurdistan, Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn, Österreich und Deutschland.
In Hamburg lebe ich seit
Dezember 2014.
Mein Aufenthaltsstatus
Meine Aufenthaltserlaubnis gilt bis Februar 2016.
Nach Deutschland wollte ich, weil
ich wusste, dass Deutschland ein entwickeltes Land ist. Ich war mir sicher, dass meine Menschenrechte geschützt sein werden und ich vor Angriffen und Gewalt sicher bin.
Ich vermisste am meisten
meine Familie. Sie sind die Einzigen, für die ich im Moment weiterlebe. Meine Mutter hat mich immer sehr unterstützt. Sie hat jetzt Brustkrebs, und ich wünsche mir, bei ihr zu sein.
In fünf Jahren möchte ich
Sicherheit über meinen Aufenthaltsstatus erlangen. Ich möchte Deutsch lernen und meine Familie bei mir haben. Außerdem möchte ich meinen Master in Journalismus machen und als Journalistin in Deutschland arbeiten.
Berj Baghdee Sar
Ich heiße
Berj Baghdee Sar, ich bin 31 Jahre alt. Ich bin Armenier und komme aus Damaskus, der Hauptstadt von Syrien. In meiner Heimat habe ich Wirtschaft studiert und danach in einer Bank gearbeitet. Ich bin Christ.
Meine Eltern
Meine Mutter hat als Lehrerin gearbeitet, mein Vater war Taxifahrer. Seit ein paar Jahren sind meine Eltern in Rente. Sie leben in Damaskus.
Meine früheste Erinnerung an den Krieg
Der Krieg in Syrien hat im März 2011 angefangen, aber in Damaskus hat man davon zuerst nicht viel mitbekommen. Das änderte sich aber nach ein paar Monaten. Einmal ist direkt neben mir eine Autobombe explodiert. Überall waren Verletzte und Tote. Da spürte ich, dass der Bürgerkrieg bei uns angekommen ist – der Krieg hat bis heute nicht aufgehört. Wenn man morgens das Haus verlässt, weiß man nicht, ob man lebend wieder nach Hause kommt.
Das erste Mal an Flucht gedacht habe ich,
als ich wirklich gespürt habe, dass mein Leben in Gefahr ist. Das war im Jahr 2014.
Meine Flucht begann
im März 2014 und dauerte 17 Tage. Ich war im Auto unterwegs, im Laderaum eines Lkw und zu Fuß. Von Syrien ging es erst in die Türkei und von dort aus weiter nach Deutschland.
In Hamburg lebe ich seit
einem Jahr und fünf Monaten.
Aufenthaltsstatus
Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre.
Ich wollte nach Deutschland, weil
ich gehört habe, dass es hier sicher sein soll, dass es keine Korruption gibt und dass es ein freies Land ist. Außerdem hat Deutschland eine starke Wirtschaft. Und weil ich gut ausgebildet bin, habe ich gute Hoffnung, hier eine Arbeit zu finden.
Ich vermisse am meisten
unser Essen, besonders die Gerichte meiner Mutter. Außerdem vermisse ich meine Familie, meine Arbeit, meine Freunde und den Geruch von Jasminblumen. Eigentlich vermisse ich einfach alles.
In fünf Jahren möchte ich
meine Deutschkenntnisse verbessert haben. Außerdem eine Arbeit bei einer Bank finden und eine Familie gründen.