Hamburg/Handeloh. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln. Die meisten Seminarteilnehmer kommen aus Hamburg. Einige liegen immer noch im Krankenhaus.
Der Massenrausch von 30 Heilpraktikern in einem Tagungszentrum in Handeloh (Niedersachsen) bleibt rätselhaft – der Zustand der Betroffenen ist nach Auskunft von Behörden aber inzwischen weitgehend stabil. Am Sonntag konnten einige der zwischen 25 und 55 Jahre alten Teilnehmer eines Fortbildungsseminars aus dem Krankenhaus entlassen werden. Die Polizei konnte die Heilpraktiker, von denen die meisten in Hamburg leben, bislang aber noch nicht vernehmen.
Nach dem Vorfall waren die Betroffenen auf mehrere Kliniken im Umkreis verteilt worden, fünf Patienten nahm auch die Asklepios Klinik in Harburg auf. „Die waren völlig außer Rand und Band“, sagte ein Sprecher der Klinik dem Abendblatt. Man habe sie angesichts heftiger Halluzinationen am Bett fixieren müssen, damit sie sich und andere nicht gefährden. Immer mal wieder gebe es bei einzelnen Drogenpatienten solche Erscheinungen. „Aber in dieser Häufigkeit haben wir das auch noch nicht erlebt“, hieß es aus der Klinik.
Wahnvorstellungen, Krämpfe, Herzrasem und Luftnot
Die Rettungskräfte hatten die Heilpraktiker am Freitag mit Wahnvorstellungen, Krämpfen, Schmerzen, Luftnot und Herzrasen am Tagungszentrum „Tanzheimat Inzmühlen“ angetroffen. In einem Krankenhaus in Buchholz und in der Harburger Klinik mussten die Betroffenen kurzzeitig auf der Intensivstation behandelt werden und waren für Stunden nicht ansprechbar.
Welche Substanz die Heilpraktiker sich genau zugeführt haben, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Polizei geht davon aus, dass die Gruppe mit dem Psychedelikum 2C-E experimentiert hat, das in Szenekreisen als „Aquarust“ bekannt und seit Ende 2014 wegen unerforschter Nebenwirkungen für Psyche und Körper verboten ist. Dies konnten die Ärzte in Harburg nicht bestätigen. Es habe sich aber eher um eine stark halluzinogene Droge wie LSD als etwa um Kokain gehandelt.
In den bisherigen Gesprächen mit ihren behandelnden Medizinern schwiegen die eigentlich fachkundigen Heilpraktiker aber zum Unfallhergang und zur Frage, was sie in den Rausch gebracht hat. Die Gesprächsbereitschaft stieg auch nicht, als die Betroffenen im Laufe des Sonnabends wieder „etwas klarer“ wurden, wie es aus dem Umfeld der Klinik in Harburg heißt.
Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz
Weil die Heilpraktiker rechtliche oder auch berufliche Konsequenzen befürchten? So ermitteln inzwischen die Polizei und auch die Staatsanwaltschaft wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Ermittler haben am Wochenende in der Harburger Asklepios Klinik nach Blut- und Urinproben gefragt, um Beweismittel zur Hand zu haben. In Polizeikreisen wird für denkbar gehalten, dass die Heilpraktiker bei dem Fortbildungsseminar die medizinische Wirkung des verbotenen Stoffs am eigenen Beispiel erproben wollten. Auch eine Verwechslung von unterschiedlichen Präparaten und eine versehentliche Einnahme der Psychodroge konnte offenbar nicht ausgeschlossen werden.
Zur Unfallzeit waren keine Mitarbeiter des Tagungszentrums mehr vor Ort. „Wir sind absolut schockiert, zuvor hatten wir mit der Seminargruppe nur gute Erfahrungen“, sagte eine leitende Mitarbeiterin der Tanzheimat Inzmühlen dem Abendblatt. Die Seminarleiterin sei bereits mehr als dreimal mit wechselnden Gruppen in dem Zentrum zu Gast gewesen. Bei den Heilpraktikern handele es sich um „solide, anständige, seriöse und ehrliche Leute“. Viele Teilnehmer hätten in der unmittelbaren Umgebung von Handeloh ihre Behandlungspraxen.
Auch beim Hamburger Landesverband Deutscher Heilpraktiker rätselt man noch über die Hintergründe. „Die Lage können wir überhaupt noch nicht einschätzen“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Torsten Seidl. Rund 750 Heilpraktiker seien in der Hansestadt registriert. „Weitere Informationen haben wir auch noch nicht.“
Die Einnahme von Drogen zur Bewusstseinserweiterung oder eine Art Selbsterfahrung mit Medikamenten gehöre allerdings in keiner Weise zur Aus- oder Fortbildung des Berufs. Das würde dem „völlig widersprechen“, so Seidl, der seine Praxis in Geesthacht betreibt. Viele Mitglieder des Heilpraktikerverbands hatten deshalb am Wochenende aus Sorge um ihr Berufsbild in der Öffentlichkeit bereits nach den Hintergründen des Vorfalls in Niedersachsen gefragt.
Rund 160 Einsatzkräfte waren vor Ort
Der Massenrausch führte am Freitag auch zu einem seltenen Großeinsatz von Rettungskräften in der Nordheide. Den Einsatzkräften habe sich ein „ungewöhnliches, aber nicht schönes Bild“ an der Tagesstätte gezeigt, sagte der Feuerwehrsprecher im Landkreis Harburg, Matthias Köhlbrandt.
Menschen hätten mit Krämpfen auf dem Rasen gelegen, andere seien orientierungslos durch den Garten getorkelt. Mit rund 160 Einsatzkräften waren Feuerwehr und Ärzte schließlich bis zum Abend vor Ort. Auch einen weiteren Einsatz hätte die Feuerwehr am Freitag jedoch noch stemmen können. „Wir hatten noch genügend Rettungswagen im Landkreis – das war noch im grünen Bereich“, sagt Köhlbrandt.