Hamburg. Tierheim verzeichnet zehn Prozent mehr Fundtiere als im vergangenen Jahr – worauf Besitzer achten sollten.

Es ist der 1. Juni, der Tag zwischen Hölle und Himmel für HSV-Fans: das Relegationsspiel in Karlsruhe. Für Juliane Bollnow beginnt an dem Abend ein endloses Drama: Jugendliche Fans zünden nach dem HSV-Sieg Böller an, ihre Dalmatinerhündin Cora läuft verschreckt davon. Bis heute fehlt von der Hündin jede Spur.

Täglich melden sich verzweifelte Hundebesitzer beim Hamburger Tierschutzverein, um ihre geliebten Vierbeiner wiederzufinden. Jetzt im Sommer sind es besonders viele. „In der warmen Jahreszeit gehen deutlich mehr Hunde verloren als sonst“, sagt Sven Fraaß, der Sprecher vom Tierschutzverein an der Süderstraße. „Das liegt vor allem daran, dass mehr Hunde draußen sind.“ Beim Spazierengehen würden sie läufigen Hündinnen hinterher rennen und bei Grillfesten oder beim Baden am See verloren gehen, weil sie die Gegend nicht kennen.

„Ich bin total fertig. Cora ist wie meine zweite Hälfte“, sagt Juliane Bollnow. Die Finanzbuchhalterin aus Barmbek verteilte Flyer, telefonierte sämtliche Tierheime ab, schrieb 140 Tierärzte an, baute Futterstellen auf. Sie gründete eine Facebook-Gruppe und schickte Suchhunde los. Sogar der HSV half via Twitter mit – ohne Erfolg. Die Ungewissheit macht Bollnow zu schaffen. „Cora ist immer an meiner Seite gewesen. Jetzt ist sie wie vom Erdboden verschluckt.“

In diesem Jahr wurden bereits 362 Fundhunde im Tierheim an der Süderstraße abgegeben – hochgerechnet auf das ganze Jahr wären das gut zehn Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Damals wurden insgesamt 520 Hunde gefunden und 411 Ausreißer von ihren Herrchen und Frauchen abgeholt. In diesem Jahr waren es bisher 284. Aktuell sind 168 Hunde im Tierheim in Obhut. Insgesamt werden dort pro Jahr rund 1100 Hunde versorgt.

Theoretisch ließe sich jeder Hund dem rechtmäßigen Besitzer zuordnen: In Hamburg gibt es eine Kennzeichnungspflicht für Hunde per Mi­krochip unter der Haut. „Die Chip-Pflicht wird aber leider von vielen missachtet“, sagt Fraaß. Dafür gebe es verschiedene Gründe: Zum einen käme ein Teil der Hunde illegal als Welpen aus dem – insbesondere osteuropäischen – Ausland nach Hamburg. Zum anderen scheuten einige Besitzer die Kosten von zehn Euro für das Implantieren des Chips beim Tierarzt. „Oder sie vergessen, die Hunde beim Verein Tasso oder beim Deutschen Tierschutzbund kostenlos regis­trieren zu lassen“, sagt Fraaß. Manche Besitzer seien auch unbekannt verzogen.

Mit Flyern wie hier an der Kennedybrücke suchen Juliane Bollnow und Julia Bentin nach ihren Hunden
Mit Flyern wie hier an der Kennedybrücke suchen Juliane Bollnow und Julia Bentin nach ihren Hunden © Jörg Riefenstahl

Dalmatinerhündin Cora ist mit Chip versehen und beim Verein Tasso gemeldet. Es hat nicht geholfen, dem Hund auf die Spur zu kommen. So wie beim registrierten Dackel Gustav. Das sieben Jahre alte Tier hatte sich vor mehr als einem Jahr beim Joggen mit seiner Besitzerin Julia Bentin im Krähenwald an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein aus dem Staub gemacht. Anscheinend, um einem Wildtier hinterherzujagen.

Auch Bentin hat alles getan, um Gustav wiederzufinden: Tierheime besucht, Flyer aufgehängt, die Veterinärämter abgeklappert. „Wir haben Anzeigen geschaltet, die sozialen Netzwerke eingeschaltet und 500 Euro Finderlohn ausgesetzt“, sagt die Immobilienmaklerin aus Bergedorf. „Aber ich gebe nicht auf.“ Der Fall Gustav berührt auch die Facebook-Gemeinde. Dort hat der Dackel mehr als 4000 Fans. Der Finderlohn wurde von ihnen auf 1100 Euro erhöht. Und ein Hamburger Studio bietet dem Finder sogar ein Gratis-Tattoo an. Doch Gustav blieb verschwunden.

Damit Hunde gar nicht erst weglaufen, sollten Halter Folgendes beachten: „Hunde rücken aus, wenn sie in unbekannter Gegend das Weite suchen. Sie sollten deshalb angeleint sein. Es gibt auch schreckhafte Hunde, die in bekanntem Terrain nicht zurückkehren. Und es werden angeleinte Hunde vor Geschäften mitgenommen. Also aufpassen“, sagt Martina Hasselberg, Expertin für Heimtiere von der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. Sollte der Hund entlaufen sein, gelte: „Nerven bewahren und warten, warten, warten“, sagt Hasselberg. Es könne manchmal Stunden dauern, bis der Vierbeiner wieder auftaucht. Wenn das nicht erfolgreich sei, könne es neben klassischen Suchmethoden helfen, mit anderen Hundehaltern zu sprechen, den Verlust der Polizei zu melden, bei Fundbüros nachzufragen und – wie im Fall von Hündin Cora – Spürhunde loszuschicken. Das bietet ehrenamtlich das K-9-Suchundezentrum Nord, Telefon 0162/802 27 34, an (Spenden erwünscht).

Wer Hinweise zu den beiden gesuchten Hunden geben kann, erreicht Juliane Bollnow (Dalmatiner Cora) unter 0162/940 85 63 und Julia Bentin (Dackel Gustav) unter 0172/454 83 54