Seit dieser Woche kann man die Elbphilharmonie ohne Baukräne betrachten. Einen aktuellen Einblick gibt es allerdings nur bei uns.
Am Anfang dieser Geschichte war nicht das Wort, sondern: ein Bild. Als in der Hamburger Kulturpolitik die Debatte über die Frage begann, ob Johannes Brahms’ Geburtsstadt endlich einen neuen Konzertsaal neben der altehrwürdig tollen, aber strukturell überlasteten Laeiszhalle bekommen oder in solider Selbstzufriedenheit weitermachen soll, war es ein ganz spezielles Bild, das die Augen für große Perspektiven öffnete: eine gläserne Welle auf dem Kaispeicher A. Dort, wo die Planer der HafenCity hartnäckig an der nicht besonders klugen Idee eines Büroklotzes festhalten wollten. Aber dann erschien im Sommer 2003 jene erste Computergrafik.
So ziemlich jeder in dieser Stadt, der vom eigenen Veränderungsdrang mitgerissen wurde, hatte eine Meinung zur Vision des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron. Für manche war es die Jahrhundertchance auf den Aufstieg in die überregionale Wahrnehmung als ernstzunehmende Kulturmetropole. Für andere ist sie nach wie vor ein tolles Feindbild, weil sie die Investition in Kultur als Kürzung bei anderen gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten verstanden.
Die Elbphilharmonie ist ein Kunstwerk, also auch ein Einzelstück
Im Laufe der letzten Jahre haben die virtuos inszenierten Pixel-Versprechungen aus Basel immer wieder für Aufsehen gesorgt, weil sie so verdammt wirkmächtig waren. Und weil sie zeigten, dass die Elbphilharmonie nichts Pauschales aus dem Baumarkt städteplanerischer Eitelkeiten ist, sondern ein Kunstwerk, also auch ein Einzelstück. Work in progress, dessen Ästhetik sich immer wieder veränderte.
Das war so, als die Architekten sich von der Idee einer glatten Glashülle verabschiedeten und stattdessen eine noch speziellere Spezialanfertigung ankündigten, für die einzelne Teile kunstvoll gebogen wurden, mit Stimmgabel-Ausbuchtungen versehen und mit einem Punktmuster bedruckt. Das war ebenfalls so, als das Herzstück des Gebäudes, der Große Saal, von einem Tag auf den anderen radikal anders werden sollte. Die Balkonreihen waren eckiger geworden, kantiger, weniger kindergartenspielzeugabgerundet. Verschwunden war auch die weingummibunte Farbigkeit des Raums mit ihren Gelb- und Orange-Schattierungen. Der Große Saal Modell 2.0 ist reduzierter aufs Wesentliche und wirkt erwachsener. Dezent und „unsichtbar“ wird er nie sein, dafür ist der Raumentwurf an sich zu radikal und spektakulär. Doch sein Aha-Effekt resultiert jetzt auch aus der Kombination des Holzbodens mit dem milden Grau der „Weißen Haut“ aus Tausenden von Gipsplatten, die für herausragende Akustik sorgen soll.
Jetzt beginnt die Phase des Vorglühens, hin zum 11. Januar 2017
Jetzt, im Sommer 2015 – legendäre Kräche, epische Blamagen und einzigartige Preissteigerungen später – macht die Elbphilharmonie von außen einen fertigen Eindruck. Jetzt beginnt dann wohl der grüne Bereich, denn wie durch ein Wunder (das allerdings nicht umsonst war) haben sich die Streithähne von einst so lieb, dass man es kaum glauben kann. Jetzt beginnt die Phase des Vorglühens, hin zum 11. Januar 2017, dem geplanten Termin des ersten Eröffnungskonzerts.
Spektakulärer 360-Grad-Blick in den Kleinen Saal von Anfang Juni
Im Inneren des Gebäudes ist nach wie vor noch viel zu tun bis zur Übergabe, die für den Spätsommer 2016 im Terminkalender des Baukonzerns Hochtief steht. Von November 2016 an soll die Plaza öffentlich zugänglich sein. Man kann sich mühelos vorstellen, welche Menschenmengen täglich mit der gebogenen Rolltreppe auf das Ex-Dach des Kaispeichers kommen werden, um diese Fuge zwischen Alt und Neu, den basisdemokratischen Teil des Gesamtensembles auf sich wirken zu lassen. Doch da es keine öffentlich zugänglichen Baustellenführungen mehr geben wird, bleibt den Neugierigen aus Hamburg und dem Rest der Welt nur die Fantasie, um sich auszumalen, wie es wirklich hinter den Backsteinen aussieht und hinter der Glasfassade, die sich auf der Westseite steil in den Himmel über der Elbe schiebt. Fast jedenfalls. Denn nachdem in den vergangenen Jahren eine erste Querschnitt-Version virtuelle Einblicke in die Elbphilharmonie lieferte, legten die Planer nun ein Update vor, um den dramatischen Vorsprung der Fortschritte für die noch verbleibende Bauzeit auf der Zielgeraden abzubilden.
An alles wurde dabei gedacht: an die Pailletten im Rolltreppenschacht, an die Backsteintreppe zur Plaza, an das Muster der Eichenholzvertäfelung im Kleinen Saal, an das Kaistudio im Inneren des Kallmorgen-„Altbaus“. Eines allerdings kann, bei aller Liebe zum Detail, diese Grafik nicht vermitteln: wie es sich anhören wird dort, wie der erste Orchester-Klang aus der Mitte des Großen Saals wirkt, packt und fesselt. Danach wird nichts mehr sein wie vorher.