Hamburg . Die erfolgreiche Gründerin Rose Volz-Schmidt expandiert und eröffnet Standorte des Social-Franchise-Unternehmens in Österreich und der Schweiz.
Sozial handeln und unternehmerisch denken – dass das geht, zeigt Rose Volz-Schmidt seit gut 13 Jahren. Mit ihrer gemeinnützigen GmbH Wellcome expandiert sie und hat gerade Standorte des Social-Franchise-Unternehmens in Österreich und der Schweiz eröffnet. Denn auch dort möchte sie jungen Familien in den ersten Wochen nach der Geburt eines Kindes mit ihren ehrenamtlichen Helfern zur Seite stehen. Die Österreicher und Schweizer, sagt die 59-Jährige, hängen Deutschland zehn Jahre hinterher.
Damit meint sie den radikalen Ansatz, quer durch alle Bildungsschichten junge Familie zu unterstützen, die nach der Geburteines Kindes überfordert sind und Hilfe benötigen. „Frühe Hilfen brauchen auch ganz normale Mittelstandsfamilien, nicht nur – wie manche meinen – Arme oder Bildungsferne“, sagt Volz-Schmidt, die davon überzeugt ist, dass es jede Familie treffen kann. „Die Akademikerin braucht vielleicht nur eine vier Wochen lange Begleitung, eine andere Familie vielleicht 40.“ An 250 Standorten gibt es mittlerweile Kooperationspartner, die im Franchise-System unter der Marke Wellcome jungen Familien mit ehrenamtlichen Helfern beiseite stehen. Netzwerkpartner sind Entbindungskliniken, Hebammen, Kinderärzte, Beratungsstellen, soziale Einrichtungen.
Die Gründerin erlebte selbst die Schwierigkeiten nach einer Geburt
Wie wichtig Hilfe ist, hat sie nach der Geburt ihrer inzwischen 23 Jahre alten Tochter und auch der heute 19 Jahre alten Zwillinge selbst erlebt. Ausgerechnet sie, die als Leiterin der Familienbildung in Norderstedt Kursprogramme für junge Familien mitentwickelt hatte und auf dem neuesten erziehungswissenschaftlichen Stand war. Doch dann erlebte sie, wie weit die Theorie und das wahre Leben voneinander entfernt sein können. Als das Wunschkind nach einer komplizierten Entbindung auf der Welt war, war nicht alles so schön, wie sie sich das vorgestellt hatte. Niemand fühlte sich für die einsame, überforderte Mutter zuständig. „Mein Mann musste arbeiten, ich war müde und erschöpft mit dem Baby isoliert zu Hause.“ Die Verwandten leben in Süddeutschland. Ein Anruf bei der Krankenkasse brachte auch keine Hilfe, denn dafür ging es der jungen Mutter nicht schlecht genug, es fehlte eine Indikation. „Mit diesem Gefühl und einer Wut im Bauch ging ich nach einem Vierteljahr zurück zur Arbeit in der Familienbildungsstätte.“
Volz-Schmidt wollte etwas tun und jungen Familien praktische Hilfe zu Hause ermöglichen. „Wir fühlen uns als Anwälte der bedürftigen Familien“, sagt sie über die Organisation mit heute 4500 freiwilligen Helfern. Junge Familien hätten heute häufig kein Netzwerk mehr, sondern leben anonym für sich. Wellcome sei praktische Hilfe nach der Geburt, ein Projekt, um Mütter mittels moderner Nachbarschaftshilfe zu unterstützen. Das Besondere daran ist, dass Ehrenamtliche und Experten auf Augenhöhe zusammenarbeiten, um allen Familien – unabhängig vom sozialen Status – zu helfen.
Erst lief Wellcome nur als Projekt neben dem Hauptberuf
Erst lief Wellcome als Projekt neben ihrer Arbeit als Leiterin der Familienbildungsstätte in Norderstedt und Niendorf. Über die Jahre wurde dann aus der Sozialpädagogin ein Social Entrepreneur, eine Sozialunternehmerin: Volz-Schmidt bewarb sich bei startsocial e.V. und gewann den Preis für das Multiplikationskonzept und wurde professionell beraten. Sie bekam ein Coaching bei der Unternehmensberatung McKinsey, erhielt Einblicke in die Welt der wirtschaftlich arbeitenden Firmen und erfuhr, was beide Seiten voneinander lernen können. Von da an wurde Wellcome schnell immer größer. 2009 wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. Plötzlich Unternehmerin. Eine Rolle, die ihr von Anfang an viel Spaß machte. Im selben Jahr erhielt sie neben vielen Auszeichnungen das Bundesverdienstkreuz.
Wellcome ist dabei mehr als ein soziales Unternehmen. „Davon gibt es viele. Doch mir ist die gesellschaftspolitische Veränderung wichtig“, sagt sie. Als Social Entrepreneur möchte die Niendorferin die Welt verändern. „Ich habe eine Vision und den unbedingten Willen, eine Systemveränderung herbeizuführen.“ Genau wie eine Energiewende sei eine soziale Wende nötig. Es gebe einen Riesenteil in der Gesellschaft, der viele Hilfen und Unterstützung bekomme und einen kleinen Teil, der durch das bürokratische Raster falle. „Es muss wirkungsorientierter gefördert werden.“ Jede Familie ohne Netzwerk brauche Unterstützung. „Wir richten uns radikal nach dem tatsächlichen Bedarf in jeder Familie.“ Das ist unbürokratischer als die bisherige Herangehensweise. Nicht Ämter sind ihre Auftraggeber, sondern Familien.
Das Sozialunternehmen bekommt keine Bundesförderung
Wellcome bekommt noch keine Bundesförderung, sondern finanziert sich aus Spenden, Stiftungsgeldern, öffentlichen Zuschüssen und Gebühren. Pro Standort und Team, das aus einer hauptamtlichen, fachlich ausgebildeten Koordinatorin, einer Leitung und etwa 15 Ehrenamtlichen besteht, die zu den Familien gehen, wird ein Etat von 8000 bis 10.000 Euro benötigt. Ein Drittel ihrer Zeit sei sie damit beschäftigt, Gelder zu beschaffen, sagt Volz-Schmidt: „Die schwarze Null zu erreichen, ist eine andauernde Herausforderung.“
Eines sei aber klar: „Die Gesellschaft braucht Kinder und muss etwas dafür tun, dass diese glücklich aufwachsen.“ Derzeit sucht sie einen Investor für ihr neues Projekt: Sie möchte Nachbarschaften weiter als bisher neu organisieren und konzipiert eine Online-Plattform für Eltern. Sie soll neben Wissen auch Eltern miteinander vernetzen. „Das erste Wellcome-Produkt, das am Ende des Tages Gewinn abwirft, um den Rest zu finanzieren.“