St. Pauli . Landespastor Dirk Ahrens fordert eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse. Politiker müssten die sozialen Auswirkungen im Blick haben.

Hamburgs Bürger entscheiden am 29. November in einem Referendum darüber, ob sich der Stadtstaat für die Olympischen Spiele 2024 bewerben soll. So hat es die Bürgerschaft beschlossen. Im Abendblatt-Gespräch bezieht jetzt erstmals ein hochrangiger Repräsentant eines großen Wohlfahrtsverbandes Position zu den olympischen Plänen. Landespastor Dirk Ahrens, Chef des Diakonischen Werkes in Hamburg, fordert den Senat auf, die sozialen Auswirkungen von Olympia 2024 zu diskutieren. Er schlägt vor, dass der Senat eine unabhängige Kosten-Nutzen-Analyse mit einem detaillierten Armutsbericht vorlegt – und zwar rechtzeitig vor dem Referendum im Herbst.

Hamburger Abendblatt: Herr Ahrens, werden Sie zur Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele 2024 in Hamburg gehen?

Dirk Ahrens: (lacht) Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß doch gar nicht, ob ich da noch lebe. Und ob die Spiele in Hamburg stattfinden, das wissen wir auch noch nicht.

Wie hoch sollten denn die Eintrittsgelder sein?

Ahrens: Schön wäre es, wenn sich auch Bürger mit geringerem Einkommen den Besuch der Olympischen Spiele leisten könnten. Das hätte richtige Klasse, doch ich befürchte, dass das nicht so sein wird.

Könnte die Diakonie auf die Gestaltung der Eintrittspreise Einfluss nehmen?

Ahrens: Die Diakonie versucht insgesamt, auf das Thema Olympia und die Bewerbung der Hansestadt Einfluss zu nehmen.

Gibt es schon Gespräche mit dem Senat darüber?

Ahrens: Wir werden in naher Zukunft erste Gespräche aufnehmen. Der Senat und die ganze Stadt müssen endlich auch über die sozialen Folgen der Olympischen Spiele diskutieren. Das ist bislang noch nicht geschehen. Wir fordern, dass der Senat noch vor dem Referendum im November eine Kosten-Nutzen-Analyse mit einem Armuts-Mainstreaming vorlegt. Darin soll untersucht werden, wie sich die Spiele auf sozial benachteilige Bevölkerungsgruppen auswirken.

Wer sollte ein solches Papier erstellen?

Ahrens: Die Stadt sollte dafür eine unabhängige Agentur beauftragen. Der Senat spricht zwar viel über Nachhaltigkeit, was ich richtig gut finde. Aber darüber hinaus müsste sehr viel mehr über die sozialen Folgen gesprochen werden.

Was müsste in einem Armuts-Main­streaming untersucht werden?

Ahrens: Zum Beispiel die Frage, wie sich ein solches Großevent, das über Jahre Kräfte binden wird, auf Hartz-IV-Familien, Alleinerziehende, Rentner mit geringer Rente, Wohnungslose, Menschen mit Behinderung und Flüchtlinge auswirkt. Wir appellieren an die Stadt, die Auswirkungen der Olympischen Spiele auf diese Bevölkerungsgruppen endlich in besonderer Weise in den Blick zu nehmen! Der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, Henning Vöpel, hat gesagt, dass es in jedem Fall Gewinner und Verlierer der Spiele geben wird. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass nicht die ohnehin Benachteiligten in dieser Stadt zu den Verlierern gehören werden.

Was wäre das Positive an den Spielen?

Ahrens: Zum Beispiel, dass es wegen der Paralympics einen verstärkten Ausbau von behindertengerechten Sporteinrichtungen geben könnte. Aber: Auf dem Kleinen Grasbrook wird gebaut. Da soll in der Nachnutzung der übliche Drittel-Mix angewandt werden für Sozialwohnungen, Mittelschicht-Mietpreise und Eigentumswohnungen. Das klingt zunächst überzeugend. Aber wir sehen schon jetzt sehr deutlich, dass dieser Mix nicht ausreicht, genügend Wohnraum für Menschen am unteren Rand zu schaffen. Wir brauchen sehr viel mehr Sozialwohnungen!

Und wer sind die Profiteure von Olympischen Spielen in Hamburg?

Ahrens: Eine Frage ist zum Beispiel: Werden in der City nur Fast-Food-Ketten profitieren dürfen? Oder ist es möglich, dass sich – wie beim Kirchentag – Sozialunternehmen am Catering beteiligen können? Eine Frage ist auch: Werden die Hinz&Kunzt-Verkäufer das Geschäft ihres Lebens machen? Oder sind sie dann unerwünscht in der Innenstadt? Und werden sich auch Wohnungslose weiterhin in der Innenstadt aufhalten können oder werden sie vertrieben? Antworten auf all diese Fragen müssen bereits vor dem Referendum gegeben werden, das fordern wir.

Gibt es eine konzeptionelle Mitbeteiligung der Diakonie an der Olympia-Bewerbung Hamburgs?

Ahrens: Die gibt es zurzeit nicht. Das gilt meines Wissens auch für die anderen Wohlfahrtsverbände. Wir sehen uns in einer anwaltschaftlichen Position für die Benachteiligten in unserer Stadt und werden aus dieser Sicht das Ganze kritisch-konstruktiv begleiten.

Befürchten Sie eine soziale Spaltung der Stadt?

Ahrens: Es gibt bereits eine soziale Spaltung der Stadt! Für uns würde zu einem Armuts-Mainstreaming auch die Frage gehören, ob durch die Spiele die soziale Spaltung der Stadt verschärft wird. Oder ob es Chancen gibt, das zu minimieren.

Glauben Sie, dass Olympia 2024 für Hamburg und sein Umland zum Jobmotor werden könnte?

Ahrens: Es wird unter anderem vermutlich sehr viele Hilfsjobs im Dienstleistungssektor geben. Wir werden sehr genau auf die faire und gerechte Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse schauen.

Wie werden Sie beim Referendum im Herbst abstimmen?

Ahrens: Das kann ich noch nicht sagen. Weil es wesentlich davon abhängt, wie konkret die geforderte Kosten-Nutzen-Analyse der Freien und Hansestadt sein wird. Und wie glaubwürdig der Senat versichern kann, dass das soziale Leben in unserer Stadt über Jahre hinweg nicht leiden wird.

Und wenn die Diakonie Nein zu den Spielen sagt?

Ahrens: Es ist nicht unsere Aufgabe, Ja oder Nein zu den Spielen zu sagen.

Wieso eigentlich nicht ?

Ahrens: Weil wir eine anwaltschaftliche Funktion haben. Wir haben den biblischen Auftrag, das Geschehen in unserem Gemeinwesen aus Sicht der Benachteiligten zu bewerten und uns zugunsten dieser Bevölkerungsgruppe zu engagieren.

Welche Regionen oder Quartiere in der Stadt könnten aus Ihrer Sicht negativ betroffen sein?

Ahrens: Vermutlich wird die Mitte besonders in Mitleidenschaft gezogen werden. Hamburg-Mitte gehört schon jetzt nicht zu den wohlhabenden Stadtteilen. Steigen dort die Mieten? Wie lässt sich verhindern, dass die ärmeren Menschen aus diesem Stadtteil verdrängt werden? Auf diese Fragen hätten wir gern Antworten.

Wird die Diakonie einen eigenen Olympia-Beauftragten benennen?

Ahrens: Bisher haben wir das nicht ins Auge gefasst. Aber es kann sein, dass wir uns eines Tages dafür entscheiden werden.

Welche Qualifikation muss er oder sie mitbringen?

Ahrens: (lacht) Das muss nicht ein Sport-Fan sein, sondern jemand, der oder die eine besondere Kompetenz darin hat, soziale Veränderung zu beobachten und auf Missstände aufmerksam zu machen.