Klaus-Michael Kühne über seine Liebe zu Hamburg den Aufstieg von Kühne + Nagel und die Verstrickung der Firma in der Nazi-Zeit.

Hamburger Abendblatt : Sie durften sich am Mittwoch ins Goldene Buch der Stadt Hamburg eintragen. Ist das ein besonderer Moment für einen Exil-Hamburger?

Klaus-Michael Kühne: Ja, das war ein feierlicher Akt, ich war mir über die Bedeutung zuvor gar nicht so bewusst. Leider kann man das Goldene Buch nicht anschauen, sondern bekommt nur ein Blatt vorgelegt. Ich hätte gern einmal darin geblättert, um zu sehen, mit wem ich dort in einer Reihe stehe. Das war eine besonders schöne Geste, die das Jubiläum unserer Firma abgerundet hat.

Wir schauen hier auf die Elbe. Welcher Blick rührt Sie mehr an? Der aus der Filiale in der HafenCity oder der auf den Zürichsee aus dem Büro Ihrer Zentrale?

Kühne : Natürlich der Blick von hier. Ich bin unheimlich gern in Hamburg, schaue auf die Hafenszene, den Fluss, die Stadt, die Elbphilharmonie. Das ist ein beeindruckender Bau. Ich habe sie schon am Anfang unterstützt und dann zehn Jahre mitgelitten. Nun freue ich mich auf die Eröffnung.

Können Sie sich persönlich die Rückkehr an die Elbe vorstellen?

Kühne : Nein. Wir sind vor 40 Jahren in die Schweiz gegangen, ich habe dort mein Haus, Kühne + Nagel seine Hauptverwaltung. Ich komme immer gern nach Hamburg und bleibe meist ein paar Tage im Monat. Ich muss hier aber nicht dauerhaft wohnen.

Der Finanzsenator hätte Sie sicherlich gern hier.

Kühne : Das weiß ich nicht – so viele Steuern zahle ich gar nicht. Ich persönlich habe kein hohes Einkommen, sondern beschäftige mich vor allem mit meiner Stiftung. Steuerlich wäre Hamburg wahrscheinlich für mich sogar günstiger, weil die Schweiz eine hohe Vermögenssteuer erhebt, die sich am Kurs meiner Aktien bemisst. Ich will aber keine Aktien verkaufen, sondern möchte, dass diese später auf die Stiftung übergehen und es immer einen starken Mehrheitsaktionär von Kühne + Nagel gibt.

Gab es einen besonderen Hamburg-Moment für Sie? Etwa als Hapag-Lloyd vor der Übernahme durch NOL gerettet

wurde?

Kühne : Ja, als die Beschäftigten hier am Büro vorbeimarschiert sind und ich heruntergegangen bin, das war etwas Besonderes. Dieses Bild, als ich die Hände in Siegerpose hob, ist dann ein bisschen in die Geschichte eingegangen.

Sie haben vor gut zehn Jahren Hamburg quasi wiederentdeckt ...

Kühne : Ich bin hier zur Schule gegangen, bin hier im Unternehmen gestartet, dann aber 1975 in die Schweiz gegangen. Danach war ich zwar immer noch zu Besuch hier, aber zwischenzeitlich waren die Kontakte schon langsam eingeschlafen. Hamburg kam mir damals etwas grau vor, ein bisschen langweilig. Das hat sich dann in der Ära von Beust geändert. Plötzlich bewegte sich etwas: Hamburg wurde zur wachsenden Stadt, in der Kultur war mehr los, der Hafen expandierte. Da wollten wir einen festen Ort in Hamburg haben und errichteten unsere Deutschland-Zen­trale hier in der HafenCity. Zeitgleich habe ich meine Stiftung ausgebaut.

Die besonders in der Hansestadt Hamburg aktiv ist ...

Kühne: Ja, das hat sich so ergeben über die Kontakte, die zu dieser Zeit neu entstanden sind. Etwa mit der Kultursenatorin Karin von Welck zugunsten der Elbphilharmonie, der Oper oder des Harbourfront Literaturfestivals. Ich mache keine halbe Sachen, sondern engagiere mich lieber gründlich. Auch bei der Sanierung der Katharinenkirche haben wir geholfen. Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt, da muss man etwas zurückgeben. Eine Stiftung ist das ideale Instrument. Meine Frau und ich sind Musikliebhaber, daher fördern wir die Musik besonders.

Was ärgert Sie an Hamburg?

Kühne : Die einseitige Politik zugunsten des Fahrrads halte ich für einen Schildbürgerstreich. Sollen wir in Zukunft alles mit dem Fahrrad erledigen? Für die Wirtschaft ist immer noch das Auto von entscheidender Bedeutung. Der Umbau des Harvestehuder Wegs beispielsweise ist ein Irrsinn, da haben wir jetzt eine Fahrradstraße neben einem Fahrradweg. Das nützt keinem, sondern macht es für alle gefährlicher. Das ärgert mich auch persönlich. Wir bauen an der Alster unser Hotel, und wenn unsere Gäste vom Flughafen kommen werden, müssen sie da durch.

Hätten Sie das Hotel gebaut, wenn Sie das vorher gewusst hätten?

Kühne : Ich hätte mir es zumindest noch einmal überlegt. Ich habe Angst, was noch passiert – der Trend ist ja unübersehbar. Die Fahrradstadt wie eine Monstranz vor sich her zu tragen ist falsch. Es schadet dem Image dieser Stadt bei Unternehmen und Unternehmern. Es passt auch nicht zu Hamburg, sonst wird die Stadt ja gut regiert.

Die Linke hat Sie in der vergangenen Woche harsch kritisiert: „Die Geschichte von Klaus-Michael Kühne ist die Geschichte eines Steuerflüchtlings, der mit seinen hinterzogenen Millionen in dieser Stadt auftaucht wie ein Fürst im Mittelalter.“ Ärgert Sie das oder lachen Sie darüber?

Kühne : Ich ärgere mich schon, aber ich habe ein dickes Fell entwickelt. Außerdem habe ich nie Steuern hinterzogen. Steuerflüchtling? Ja, mein Vater wollte damals in die Schweiz, und die Firma ist ihm gefolgt. Das war übrigens eine sehr weise Entscheidung.

Wäre das Unternehmen nicht so gewachsen, wenn Sie in Hamburg geblieben wären?

Kühne : Kühne + Nagel hat sich systematisch weiterentwickelt. Unsere deutsche Organisation war und ist das Flaggschiff; hier wurden viele Kräfte gebündelt. Aber das bezog sich auf das deutsche Geschäft; von der Schweiz aus ging der Blick weit darüber hinaus. Wir haben dort ein tüchtiges Team aufgebaut, was schon in den 70er-Jahren die Welt erschlossen hat. Durch den Umzug in die Schweiz konnte das Unternehmen schneller wachsen und sich global entwickeln. Wir haben die Chancen der Globalisierung genutzt, als dieser Begriff noch unbekannt war.

Wenn Sie auf 125 Jahre Historie zurückschauen – worauf sind Sie besonders stolz?

Kühne : Auf das Konzept, weltweit Logistikdienstleistungen anzubieten. Wir haben uns von einem kleinen Seehafenspediteur zu einem Architekten des gesamten weltweiten Warenflusses entwickelt. Das alles hinbekommen zu haben ist unsere Erfolgsgeschichte.

Seit 2002 haben Sie ihren Aktienkurs verzehnfacht. Ihr Anteil ist rund 7,6 Milliarden Euro wert. Schaut man da täglich auf den Kurs?

Kühne : Man verfolgt es täglich, aber ich zähle nicht nach. Der Kurs ist Schwankungen unterworfen, damit kann ich aber leben.

Sie haben auch schwere Zeiten durchlebt. In der Ölkrise versuchten Sie eine Reederei aufzubauen, was Sie 50 Mio. Euro gekostet haben soll.

Kühne : In den 1970er-Jahren hatten wir eine Schiffsmaklerfirma gegründet. Das Geschäft lief erst sehr gut, und dann haben wir begonnen, alte Schiffe zu kaufen. Wegen der Ölkrise fielen aber die Raten in den Keller – das war eine Katastrophe. Teilweise konnten wir die Schiffe nur noch zum Schrottwert verkaufen. Das Problem war, dass diese Schiffe fremdfinanziert waren und Kühne + Nagel bürgte. Mir blieben fünf Monate Zeit, Anteile zu verkaufen. Die Lonrho-Gruppe übernahm dann 50 Prozent der Kühne-und-Nagel-Anteile. Daraus wurden elf Jahre Partnerschaft mit mir als CEO. 1992 konnte ich von meinem Vorkaufsrecht auf die Anteile Gebrauch machen. Später gingen wir dann an die Börse.

Wofür schämen Sie sich?

Kühne : Sie meinen die Zeit von 1933 bis 1945, die ich selbst faktisch nicht erlebt habe, weil ich bei Kriegsende sieben Jahre alt war? Natürlich müssen wir uns auch dieser dunklen Zeit stellen, auch sie gehört zur Firmengeschichte. Wie andere Unternehmen war Kühne + Nagel in die Kriegswirtschaft eingebunden und konnte nur auf diese Weise seine Existenz sichern. Die Firmenarchive in unseren Häusern in Bremen und Hamburg wurden im Krieg zerstört, aus dem zugänglichen historischen Material geht hervor, dass das Unternehmen Versorgungslieferungen für die Wehrmacht durchgeführt hatte und mit Transporten von beschlagnahmten Gütern politisch und rassisch Verfolgter befasst war.

Inzwischen wurde einiges gefunden.

Kühne : Ja, die Historiker haben zum Beispiel im Finanzarchiv in Bremen gesucht und erstaunliche Dinge zutage gefördert, die auch uns völlig neu waren. Das will ich gar nicht verleugnen.

In Hamburg wurde der jüdische Mehrheitsaktionär Adolf Maass schon 1933 aus dem Unternehmen gedrängt.

Kühne : Von Adolf Maass hat mein Vater viel gesprochen. Er ist 1933 freiwillig ausgeschieden, weil die damaligen Machthaber das Unternehmen aufgrund des jüdischen Teilhabers von wichtigen Ausschreibungen ausgeschlossen hatten. Herr Maass trat dann als Teilhaber in die Firma seines Schwagers ein. Mein Vater hat vielen Juden geraten, ins Ausland zu fliehen. Herrn Maass bot man die Übernahme der Kühne+Nagel-Vertretung in den USA an, aber er wollte in Deutschland bleiben.

Ihr Vater hat also nicht über die Nazizeit und seine damalige politische Haltung geschwiegen?

Kühne : Nein, er hat gelegentlich über Kühne + Nagels Einbindung in die Kriegswirtschaft gesprochen. Auch über Adolf Maass, den er stets als besonders tüchtig bezeichnet hat.

Wollen Sie Historiker mit einer Aufarbeitung der Firmengeschichte betrauen?

Kühne : Wir haben uns für den Weg der internen Dokumentation entschieden und eine Presseveröffentlichung vorgenommen.

Zurück in die Zukunft: Wo sehen Sie das Unternehmen in 25 Jahren – angesichts neuer Technologien und der Digitalisierung, die viele Transporte vielleicht überflüssig machen wird...

Kühne : Die 3-D-Drucker sind nicht das Schlimmste, das wird uns nur wenig berühren. Aber die Digitalisierung ändert das Geschäft, alle Prozesse werden transparent. Was heute nur wir können, können bald vielleicht auch andere. Da müssen wir mit intelligenten Produkten und klugen Lösungen gegenhalten. Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Führungsrolle verteidigen. Bange ist mir nicht. Wir sind auf langen Distanzen tätig und decken die ganze Transportkette ab – da muss man schon eine Menge Wissen mitbringen.

Wie sehen Sie die Zukunft von Hapag-Lloyd?

Kühne : Inzwischen wieder viel positiver. Hapag-Lloyd hat schwere Jahre hinter sich, in denen es nicht leicht war, die Unabhängigkeit zu erhalten. Die Fusion mit den Chilenen nun birgt viele Synergieeffekte und bringt das Unternehmen nach vorn. In der Spitzengruppe sind wir aber noch nicht. Da sind weitere Schritte nötig.

NOL aus Singapur, die einst Hapag-Lloyd übernehmen wollten, gilt als möglicher Partner ...

Kühne : NOL ist immer im Gespräch und soll angeblich ja auch verkauft werden. Ein starker Partner in Fernost würde sehr gut passen, aber in bester Verfassung ist NOL nicht. Im Augenblick gibt es eine gute Partnerschaft mit der Stadt und den Chilenen. Die Fusion müssen wir erst einmal verkraften, dann sollte der Börsengang kommen. Dann sehen wir weiter.

2003 haben Sie die Gründung der heutigen Kühne Logistics University initiiert. Sind private Hochschulen besser für die Rekrutierung von Nachwuchs?

Kühne : Ja, die Branche benötigt guten Nachwuchs. Der Zweck unserer Stiftung war die Aus- und Fortbildung von Logistikern. Zunächst haben wir einzelne Lehrstühle an verschiedenen Universitäten finanziert, und dann ein Institut an der Technischen Universität Hamburg-Harburg eingerichtet. Dort war man zu sehr technisch orientiert – wir brauchten die betriebswirtschaftliche Ausrichtung. Daher haben wir vor circa fünf Jahren die Kühne Logistics University in der Hamburger HafenCity gegründet, die stark international ausgerichtet ist. Wir wollen die Elite der Logistikbranche heranbilden.

In der Hansestadt sind Sie längst einer der größten Mäzene. Elbphilharmonie, St. Katharinen, was kommt als Nächstes?

Kühne : Ich habe keine konkreten Pläne. Bei der Elbphilharmonie hoffe ich auf die Fertigstellung, bei der Oper habe ich mich jetzt neu engagiert, Es macht mir Freude zu sehen, wie sich vieles weiterentwickeln lässt, ich will mich aber nicht verzetteln.

Und Olympia?

Kühne: Ja, wenn Olympia kommt, hoffe ich, dass es von vielen Seiten Unterstützung geben wird. Ich bin dann gern mit dabei.

Was kommt denn zuerst – die Olympischen Sommerspiele in Hamburg oder ein Titel für den HSV?

Kühne: Beides steht am Horizont, aber auf beides würde ich keine Wetten abschließen. Ich hoffe aber, beides noch zu erleben.