Hamburg. Zur Altersbestimmung von jungen Asylbewerbern ordnet Hamburg umfangreiche medizinische Untersuchungen an.
Angesichts der stetig steigenden Flüchtlingszahlen flammt die Diskussion über die Altersfeststellung von jungen Flüchtlingen wieder auf. Seit dem Jahr 2012 sind 1644 junge Menschen, die vor Krieg und Armut nach Hamburg geflüchtet sind, medizinisch eingehend untersucht worden. Dabei haben sie sich nicht nur unterschiedlichen Röntgen-Prozeduren unterziehen müssen. Im Zweifel haben Mediziner des Instituts für Rechtsmedizin auch ihre Genitalien untersucht, um herauszufinden, ob sie noch minderjährig oder schon als Erwachsene zu behandeln sind. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Hamburger Ärztekammer, sieht darin nicht nur die Privatsphäre der Patienten verletzt, sondern lehnt auch Röntgenaufnahmen aus nicht-medizinischen Gründen kategorisch ab.
In einer Senatsantwort auf eine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Jennyfer Dutschke heißt es: „Es erfolgt eine Inaugenscheinnahme (...) insbesondere bei männlichen Probanden der Gesichtsregion und der Achselhöhlen sowie der Genitalregion.“ Bei „weiblichen Probanden“ erfolge eine Inspektion „des Entwicklungszustandes der Brustdrüsen“. Außerdem würden Röntgenaufnahmen des Handgelenks vorgenommen. Computertomographien des Schlüsselbeins können „zusätzlich sinnvoll sein“.
Minderjährige Flüchtlinge können nicht ohne weiteres abgeschoben werden
Aus Sicht der Sozialbehörde ist ein derart großer Aufwand zur Feststellung der Minder- oder Volljährigkeit gerechtfertigt. Minderjährige Flüchtlinge genießen einen besonderen Schutz. Sie können nicht ohne weiteres in ihr Heimatland abgeschoben werden. Sie werden in einer Jugendhilfeeinrichtung in Hamburg untergebracht und nicht wie Erwachsene unter Umständen in das ursprüngliche Einreiseland zurückgeführt. Die Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe ist zudem um einiges angenehmer als in einen Massenquartier der Zentralen Erstunterkunft.
Die FDP-Sozialpolitikerin Dutschke hält die „hochnotpeinliche Intimuntersuchung für unwürdig“ und forderte in der „taz“, diese Praxis mit dem Ziel zu überprüfen, sie künftig „möglichst zu unterlassen“. Allerdings sagt sie auch: „Eine Altersbestimmung mag in bestimmten Fällen nötig sein, weswegen im Zweifelfall etwa Röntgenuntersuchungen sinnvoll sind.“
Ärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery geht noch einen Schritt weiter. Er lehnt sowohl die Röntgen- als auch die Genitaluntersuchung kategorisch ab. So sei es besonders bei Mädchen oder Frauen, die bereits genital verstümmelt oder womöglich auf der Flucht vergewaltigt worden seien, nicht angebracht, sie auf diese Weise zu untersuchen. Zudem müsse auch bei Untersuchungen der Geschlechtsmerkmale die Privatsphäre gewahrt bleiben. Zwar unterliegen beide Untersuchungen der Freiwilligkeit. Doch wenn ein Betroffener im Zweifel nicht zustimmt, wird er automatisch wie ein Erwachsener behandelt. „Das konterkariert die vorgebliche Freiwilligkeit und ist weder menschlich noch medizinisch gerechtfertigt“, so Montgomery weiter. Auf diese Weise entstehe eine Form von Druck, der keine Chance lasse.
Eine Röntgenuntersuchung zur Altersfeststellung lehnt Montgomery kategorisch ab. „Es ist unärztlich, sich an einer medizinisch nicht indizierten Röntgenuntersuchung zu beteiligen.“ Zwar sei die Röntgenstrahlung bei der Untersuchung des Kiefers und der Zähne noch vergleichsweise gering, aber bei der Computertomographie des Schlüsselbeins gebe es eine zum Teil „erhebliche Strahlenbelastung“.
„Ich kann das Interesse des Staates verstehen, das Alter von Flüchtlingen feststellen zu wollen. Allerdings müssen wir Ärzte aufpassen, dass wir nicht willfährige Handlanger des Staates werden. Unsere Aufgabe ist die Wahrung der Interessen des Patienten“, warnt Montgomery. Er räumt ein, dass es keine anderen medizinischen Mittel gebe, mit denen sich das Alter von Menschen zweifelsfrei feststellen lasse. Dennoch: „Man muss das anders lösen, aber nicht mit Röntgenstrahlen.“
Klaus Püschel, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, sagt dagegen, dass es sich nicht um schwerwiegende Eingriffe handele. Zudem würden alle Rechtsvorschriften eingehalten. Und diese würden von den zuständigen Stellen bestimmt. „Unsere Hamburger Landesregierung will das so. Alternativen bestimmt das Parlament.“
In der Bürgerschaft sind die Meinungen uneinheitlich verteilt
Dort sind die Meinungen uneinheitlich verteilt. Antje Möller (Grüne) lehnt diese Art der Altersfeststellung seit jeher ab. Sie fordert, dass auf „die schonendste Methode zurückgegriffen“ werde. „Außerdem ist die Darstellung, dass es den großen Wunsch gibt, als Jugendlicher eingestuft zu werden, aus meiner Sicht überzogen.“ Melanie Leonhard vom Koalitionspartner SPD findet dagegen, dass diese Methoden „leider manchmal nötig“ seien. „Wir wollen den minderjährigen Flüchtlingen ihre Rechte nicht vorenthalten. Allerdings sollte die Altersfeststellung in so wenigen Fällen wie möglich gemacht werden.“ Ähnlich sieht es Karin Prien (CDU): „Es muss die Möglichkeiten zur Altersbestimmung geben, um den umfassenden Missbrauch des Minderjährigen-Status zu verhindern.“