Hamburg. Propst Johann Hinrich Claussen über zukünftige andere Nutzungen, umgewidmete Gotteshäuser und besonderen Gesprächsbedarf im Alstertal.

Für viele Menschen gehört die Kirche einfach ins Dorf, in die Stadt, ins Quartier. Auch wenn sie nicht Mitglied einer Glaubensgemeinschaft sind, vermittelt schon das architektonische Bild – wie etwa die fünf Hamburger Hauptkirchen – ein Heimatgefühl. Doch die Zukunft der 300 kirchlichen Gebäude im Hamburger Kirchenkreis Ost steht auf dem Prüfstand. Kirchenkreis und die Gemeinden überlegen, welche Häuser sie in den nächsten Jahren brauchen und welche nicht. Das Abendblatt sprach darüber mit Johann Hinrich Claussen, Propst im Kirchenkreis Hamburg-Ost und Präsident des Evangelischen Kirchbautages in Deutschland.

Hamburger Abendblatt: Propst Claussen, wären Sie gern Mitglied der Gabriels-Gemeinde in Duvenstedt?

Propst Johann Hinrich Claussen: Wieso fragen Sie das?

Weil die Kirche, so erzählt man, irgendwann geschlossen werden soll.

Claussen : Ich weiß nicht, wer das erzählt. Richtig ist, dass wir im Kirchenkreis Hamburg-Ost gemeinsam mit den Kirchengemeinden über die Zukunft unserer kirchlichen Gebäude nachdenken. Das ist ein Beteiligungsprozess, der in dieser Art und Breite bislang einmalig ist. Wir als Kirchenkreis können und wollen nicht zentral steuern, was mit unseren Kirchen, Gemeindehäusern und Pastoren werden soll. Denn diese Gebäude gehören den Kirchengemeinden. Aber wir erleben auch, dass manche von ihnen mit der Verantwortung für ihre Gebäude überfordert sind. Deshalb wollen wir gemeinsam Verantwortung übernehmen – und zwar nicht nur für heute, sondern auch für die künftigen Generationen.

Über wie viele Gebäude verfügt der Kirchenkreis ?

Claussen : Es sind 297 gemeindlich genutzte Gebäude, darunter sind 142 Kirchen. Das ist im internationalen Vergleich recht stattlich. Wir haben die Aufgabe, unseren Gebäudebestand zu pflegen, aber auch langfristig den Veränderungen des kirchlichen, religiösen und kulturellen Lebens Rechnung zu tragen. Da kommen also verschiedene Punkte zusammen – nicht nur das Sparen.

Und es kommt der Bauzustand dazu.

Claussen : Deshalb müssen wir gemeinsam überlegen, wo wir als Kirche in Zukunft mit guten Gebäuden präsent sein wollen. Aber eben nicht nur mit Steinen, sondern auch mit Menschen.

Das klingt nach Kategorien, mit denen Kirchengebäude eingeteilt werden.

Claussen : Es gibt Stadtteile, zum Beispiel soziale Brennpunkte, da sind unsere Gemeindehäuser die letzten öffentlichen Räume. Für die gemeindliche Nutzung sind sie zu groß, aber als Bürgerhäuser oder Kindergärten mit Familienbildungsangeboten könnten sie neue Aufgaben übernehmen.

Wie viel Prozent der Kirchengebäude stehen auf dem Prüfstand?

Claussen : Wir gehen davon aus, dass wir in zehn bis 15 Jahren 30 Prozent weniger Kirchengebäude in ausschließlich gemeindlicher Nutzung haben werden – von den Gotteshäusern bis zu Pastoraten und Gemeindehäusern.

Das bedeutet aber nicht zwangsläufig die Schließung, sondern wir müssen eine künftig sinnvolle Nutzung entwickeln.

Ein Beispiel.

Claussen : Die Kirche in Borgfelde ist heute ein Zentrum für afrikanische Gemeinden.

Welche Gemeinden gehören zu den 30 Prozent?

Claussen : Wir haben intern zwei Diskussionsprozesse. Zum einen haben wir alle kirchlichen Gebäude nach verschiedenen Kriterien bewertet. Dazu gehören Renovierungsstau, Zustand, Rücklagen der Gemeinde, Auslastung der Häuser und Finanzsituation.

Ist das Papier öffentlich?

Claussen : Es ist gemeindeöffentlich. Und der andere Prozess: Wir – Kirchenkreis und Kirchengemeinden – überlegen, wie wir in Zukunft unsere zentralen Baumittel angemessener verteilen. Die Kirchengemeinden finanzieren sich ja aus den Kirchensteuern, und das wird so bleiben. Aber wir haben einen Fonds, dessen Mittel wir in Zukunft anders verteilen möchten. Dazu prüfen wir Kriterien wie die Lage, die Sichtbarkeit im Stadtteil,die Bedeutung für das Leben im Quartier, Denkmalschutz und Architektur.

Wissen die betreffenden Gemeinden davon, dass sie vor einer Profilierungssaufgabe stehen?

Claussen : Ja. Aber das ist nichts Neues. Wir alle müssen beschreiben, wie wir als Kirche angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels künftig arbeiten wollen. Dazu gehört auch die Frage, welche Orte dauerhaft für eine gemeindliche Nutzung vielversprechend sind.

Für die fünf Hauptkirchen dürfte das unproblematisch sein.

Claussen : Auch die Hauptkirchen müssen sich durch sinnvolle Arbeit ausweisen. Aber es gibt Regionen, in denen ist es besonders schwierig, unsere Kriterien anzuwenden und gute Lösungen zu finden. Es gibt Stadtteile, die sich ganz anders entwickelt haben, als zur Zeit der Kirchengründung gedacht. Das trifft besonders für Gemeinden zu, die in den 1960er- und 70er-Jahren entstanden sind. In meiner Propstei sehe ich besonderen Gesprächsbedarf im Als­tertal. Da müssen wir gemeinsam miteinander noch um gute Antworten ringen.

St. Martinus in Eppendorf gehört zu den Kirchen, deren Zukunft als problematisch eingeschätzt wird.

Claussen : Die Gemeinde hat ein gutes Profil; sie ist zudem architektonisch sehr interessant: eine „Notkirche“ aus der Nachkriegszeit. Sie tut auch schon viel, um ihre Räume anders und innovativ zu nutzen. Aber werden wir sie per­­spektivisch gleichrangig mit der „Hochzeitskirche“ in Eppendorf betrachten können?

Sie wollen offenbar keiner Gemeinde wehtun ...

Claussen : Mir liegen unsere Kirchen und Gemeindehäuser sehr am Herzen. Unser Ziel ist es deshalb nicht, problematische Kirchen los zu werden, sondern ein stabiles kirchliches Netz in Hamburg zu bewahren. In England, Schottland, Holland und sogar in Italien war und ist ein ungeordnetes Kirchensterben zu beobachten. Da wollen wir im Kirchenkreis Hamburg-Ost anders vorgehen und gemeinsam die Planungen entwerfen.

Wie viele Kirchen wurden bereits entwidmet?

Claussen : Es waren neun Kirchen. Bei allen Schmerzen und Konflikten sind wir dennoch behutsam vorgegangen. Ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Integration besteht übrigens darin, dass wir Kirchengebäude an Migranten übergeben haben. Hier gibt es noch einige Möglichkeiten. Zum Beispiel sprechen wir mit chinesischen und orthodoxen Gemeinden.

Steht noch ein weiterer Kirchenverkauf bevor?

Claussen : Nein, wir haben mit dem Verkauf eines Kirchengebäudes keine guten Erfahrungen gemacht.

Welche Alternativen gibt es?

Claussen : Da gibt es zum Beispiel die Nutzung der Gebäude mit einem Kindergarten oder einer Schule.

Engagierte Gemeinden wie St. Johannes in Ahrensburg haben einen Förderverein zur Rettung ihrer Kirche gegründet. Ist das ein sinnvolles Modell?

Claussen : Engagement ist immer gut. Es zeigt die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Kirche. Ich glaube aber nicht, dass der Dauerbetrieb von Kirchengebäuden allein durch Spenden gewährleistet werden kann. Dafür braucht es die Kirchensteuer.