Hamburg. 750-mal stand Drew Sarich im Boxring des Operettenhauses, wenn das Musical in diesem Sommer abgesetzt wird.

Die verblüffende Erkenntnis braucht einige Minuten, um sich im Bewusstsein festzusetzen, während man das Sparring beobachtet. Aber dann schlägt sie ein wie die 44 Kopftreffer, die er in jeder Show aushalten muss: Drew Sarich bewegt sich wie ein richtiger Boxer, er attackiert und reagiert wie ein richtiger Boxer, und wenn man nicht wüsste, dass da ein Mensch im Ring steht, der einen Boxer spielen soll: Man würde den drahtigen Mann für jemanden halten, der sich auf einen Kampf vorbereitet.

Drew Sarich lächelt geschmeichelt, als er das Lob hört. Sein Auftritt im Ring war die beste Antwort auf die Frage, was die größte Veränderung war, die seine Rolle bewirkt hat. Er ist keiner, der mit seinem Können angibt, er ist bodenständig und zurückhaltend und trägt den Kopf nicht nur bei der Arbeit im Boxring tief, obwohl er in der Musicalszene längst ein Star ist. Dazu gemacht hat ihn die Rolle des „Rocky“ im gleichnamigen Musical, die er seit November 2012 im Operettenhaus spielt, in der Regel siebenmal pro Woche, und die ihn verändert hat wie nichts zuvor in seinem Leben. „Jede Rolle ist eine Herausforderung, aus der ich zu lernen versuche. Aber nichts hat mich so geprägt wie Rocky“, sagt Sarich.

Das klingt wie ein Rückblick, und tatsächlich muss sich der 39-Jährige mit dem Abschied aus Hamburg beschäftigen. Am 19. August werden der gebürtige US-Amerikaner und seine Mitstreiter ein letztes Mal auf die Bühne gehen, dann zieht das Stück, das in Hamburg Weltpremiere feierte, nach Stuttgart weiter. Für Sarich ist nach rund 750 Shows und 33.000 Kopftreffern Schluss mit „Rocky“. Es wird ein Einschnitt sein im Leben, den er noch nicht an sich heranlassen will. „In den Wochen davor versuche ich so wenig wie möglich an Abschied zu denken. Manche bauen in die letzten Shows Witze ein, um Spaß zu haben. Ich will, dass die letzte Show die beste wird.“

Um zu verstehen, wie die Rolle des um seine letzte Ehre kämpfenden Schwergewichtsboxers den Menschen Drew Sarich körperlich verändert hat, muss man wissen, dass er 1999, als er aus den USA nach Berlin zog, bei 186 cm Körperlänge 120 Kilo auf die Waage brachte und sich für Sport nicht die Bohne interessierte. Mit Fitnesscoach Vladimir Batinic und Boxtrainer Olaf Jessen, in dessen Hankook-Sportstudio in Langenfelde er sich die Technik aneignete, arbeitet Sarich bis heute regelmäßig. Sein Kampfgewicht liegt seit vielen Monaten bei 80 Kilo, er würde gern mehr Muskelmasse aufbauen, verbrennt aber durch das Training und die Shows so viel, dass das nicht gelingt.

„Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich zu 70 Prozent immer noch einen Mann mit Glatze, der zu schwabbelig ist“, sagt Sarich. Er weiß, dass das Unsinn ist, und dennoch beschreibt dieser Satz am besten, was seine Rolle mental und charakterlich bewirkt hat. Der hohe Tenor, der vor „Rocky“ im „Tanz der Vampire“ spielte und im „Glöckner von Notre Dame“, hat ein neues Verhältnis zu seinem Körper und dessen Ertüchtigung aufgebaut.

„Niemals bin ich so an meine Grenzen gestoßen wie als Rocky, mental und physisch. Aber durch das viele Training habe ich gelernt, dass ich harte Arbeit leisten muss, um Ergebnisse zu bekommen“, sagt er. „Beim Boxen kann man nicht sagen: Hey, lass uns lieber mal aufhören.‘ Wenn der Kampf losgeht, muss man da durch. Das hat mich geprägt!“ Auch die Angewohnheit, Konflikten aus dem Weg zu gehen, hat er abgelegt. „Die Beschäftigung mit dem Boxen und Rockys Geschichte hat mich gelehrt, dass es Situationen gibt, in denen man auch mal auf den Tisch hauen und Grenzen setzen muss“, sagt er.

Sarich zieht jetzt nach Wien zu seiner Frau und den beiden Kindern

Sarich fürchtet, dass ihm etwas Gewaltiges fehlen wird, wenn der letzte Schlag ausgeteilt wurde. Ein Leben ohne Sport kann er sich nicht mehr vorstellen, „aber ich weiß, dass ich das Fitnesslevel, das ich jetzt habe, nicht werde halten können“. Er wird in Wien, wo seine Frau Ann Mandrella, ebenfalls Musicaldarstellerin, und die gemeinsamen Zwillinge Amelie und Noah, 11, leben, in einen Boxclub eintreten, das ist sicher. Wie es ansonsten weitergeht, das weiß Sarich noch nicht. Er wird versuchen, sein nächstes Engagement in Wien zu bekommen. Die Entscheidung, nicht als „Rocky“ mit nach Stuttgart zu wechseln, hat er vor allem für die Familie getroffen. „Ich war drei Jahre lang nur Gast in meiner eigenen Familie, habe zu viel vom Aufwachsen der Kinder verpasst. Außerdem ist es an der Zeit, dass meine Frau ihre Karriere etwas pflegen darf“, sagt er. Eine längere Pause würde ihm sehr gelegen kommen, um Abstand zu gewinnen und den „Rocky“ hinter sich zu lassen.

Die Filme mit Sylvester Stallone, nach denen besonders sein Sohn süchtig ist, wird er weiterhin anschauen, auch nach Stuttgart wird er reisen, um seine Nachfolger zu begutachten. Einmischen will er sich aber nicht. „Sylvester Stallone hat mich auch meine eigene Rolle finden lassen, und davon lebt unser Musical: dass wir „Rocky“ neu interpretieren und unseren Weg dahin gefunden haben. Das wird in Stuttgart genauso funktionieren“, sagt er.

Dass er einspringt, falls sie in Schwaben mit ihrem Hauptdarsteller nicht zufrieden sein sollten – ausgeschlossen! Eine Rückkehr nach Hamburg jedoch, die wünscht er sich. Er hat die Stadt, in der er zunächst auf dem Kiez wohnte und derzeit in Uhlenhorst lebt, extrem ins Herz geschlossen. Der Abschied von „Rocky“ am 19. August ist ein endgültiger, aber vom Boxen und von Hamburg will Drew Sarich sich nicht verabschieden. Und dass Wünsche in Erfüllung gehen, wenn man hart genug dafür arbeitet, das hat er am eigenen Leib erlebt, rund 750-mal.

Wer Drew Sarich noch einmal live erleben möchte: „Rocky“ läuft noch bis 19. August dienstags und mittwochs um 18.30 Uhr, donnerstags und freitags um 20 Uhr, sonnabends um 15 und 20 Uhr sowie sonntags um 14.30 und 19 Uhr