Asheville/Hamburg. US-Forscher legen Berechnungen vor, die Aussagen, der Klimawandel habe sich abgeschwächt, widerlegen. Auch „La Niña“ beeinflusst Daten.
Seit einigen Jahren diskutiert die Fachwelt darüber, ob und warum die Klimaerwärmung eine Pause eingelegt hat. Nach Messdaten der Jahre 1998 bis 2012 flachte sich die „Fieberkurve“ der Erde nach dem Jahrtausendwechsel deutlich ab, formte ein „Plateau auf hohem Niveau“, wie Prof. Jochem Marotzke, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, es nannte.
Seit 2013 wurden die Messdaten ergänzt und verfeinert, und es zeichnete sich wieder ein – wenn auch verlangsamter – Temperaturanstieg ab. Jetzt behaupten US-Forscher: Der Klimawandel schreitet ungebremst fort, die Erwärmung der jüngsten Zeit war nicht geringer als die der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Der Temperaturanstieg doppelt so groß wie berechnet
Eine Forschergruppe um Dr. Thomas R. Karl, Direktor des Datenzentrums der Nationalen Meeres- und Klimabehörde NOAA der USA, korrigierte die bestehenden Datensätze um zusätzliche Messdaten aus dem Meer und der Arktis und erweiterte den Untersuchungszeitraum bis 2014. Allein Letzteres ließ die globale Durchschnittstemperatur, bezogen auf ein Jahrzehnt, um 0,02 Grad Celsius ansteigen, denn 2014 hält den Wärmeweltrekord.
Als die Forscher auch noch das Anfangsjahr von 1998 auf 2000 verlegten, wuchs dadurch der Anstieg noch einmal um 0,01 Grad. 1998 belegt unter den Top Ten der wärmsten Jahre Rang vier. Anno 1997/98 heizte das Klimaphänomen „El Niño“ die Pazifikoberfläche auf und sorgte dadurch für das relativ hohe Ausgangsniveau. Das etwas kühlere Jahr 2000 als Basis führt im Vergleich zum Zeitraum ab 1998 rechnerisch zu einem stärkeren Temperaturanstieg.
Für die Periode 1998 bis 2014 errechneten die Forscher insgesamt eine Erwärmung von 0,106 Grad pro Jahrzehnt – etwa doppelt so viel wie der Weltklimarat IPCC in seinem Bericht von 2013 für die Jahre 1998 bis 2012 angegeben hatte. Der aktuell berechnete Wert liegt nur knapp unter dem Anstieg der letzten fünf Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, die sich im Durchschnitt um 0,113 Grad erwärmten.
„Die Aussage des IPCC vor zwei Jahren, dass die Temperatur an der Erdoberfläche in den vergangenen 15 Jahren einen deutlich geringeren Anstieg ausweist als in dem Zeitraum vor 30 bis 60 Jahren, ist nicht länger haltbar“, schreiben Karl und Mitautoren im Fachmagazin „Science“.
Neue Software, neue Methoden
Entscheidend sind drei Korrekturen bei den Berechnungen: Eine neue Erfassungssoftware berücksichtigt wesentlich mehr Messstationen an Land. Das wirkt sich statistisch überall dort aus, wo die Erwärmung erheblich schneller oder langsamer als im Weltdurchschnitt verläuft, etwa in der Arktis. „In den arktischen Breiten haben sich seit 2000 sowohl an Land als auch an der Meeresoberfläche starke Erwärmungstrends gezeigt“, schreiben die Autoren. Aus dieser Region seien mehr Daten einbezogen worden. Dennoch bleibe die Abdeckung der Arktis im Messnetz unvollständig. Deshalb sei damit zu rechnen, dass die tatsächliche Erwärmung noch über dem nun präsentierten Wert liege.
Einen großen Einfluss auf die Kalkulationen haben auch veränderte Informationen aus Meeresgebieten. Immer mehr Temperaturdaten stammen von Bojen, deren Messungen zuverlässiger sind als die von Schiffen. Die Schiffsdaten liefern leicht zu hohe Werte. Die allmähliche Verschiebung der Datengrundlage hin zu den Bojenmessungen wurde mit einem verbesserten Korrekturfaktor ausgeglichen.
Zudem stellte sich heraus, dass einige Schiffe die Messungen nicht, wie bisher angenommen, mit automatischen Sensoren vornehmen, sondern das Wasser mit Eimern dem Meer entnehmen. Dabei kühlt es sich durch Verdunstung minimal ab. Deshalb müssen die Messwerte leicht nach oben korrigiert werden. Diese Korrektur unterblieb für die jüngsten Jahrzehnte, da man dachte, diese Praxis werde seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr angewendet. Jetzt werden die Korrekturen bis in die Gegenwart ausgedehnt.
Klimaphänomen „La Niña“ verfälscht den Eindruck
Marotzke hält die Studie für plausibel, die Daten seien gut aufbereitet worden. Doch Zeitreihen von 15 Jahren seien zu kurz, um Klimatrends abzulesen, betont der Physiker, „sie werden stark von der internen Variabilität des Klimas bestimmt, von zufallsbedingten Extremereignissen“.
Dennoch sorgte vor einigen Jahren die aus den kurzen Zeitreihen hervorschimmernde Erwärmungspause für eine große öffentliche Diskussion um die scheinbare Pause beim Temperaturanstieg. Auch Hamburgs ehemaliger Umweltsenator Fritz Vahrenholt, heute Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung, war daran intensiv beteiligt. Sein 2012 veröffentlichtes Buch „Die kalte Sonne“ trug den Untertitel „Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet“.
Einige Klimaforscher, auch Jochem Marotzke, argumentierten bereits vor drei Jahren, der Wandel schreite weiter voran. Die Oberflächentemperaturen spiegelten dies jedoch nicht wider, weil die Ozeane seit 1999 ungewöhnlich viel Wärme aufgenommen hatten. Ursache war das Klimaphänomen „La Niña“ im Pazifik. Es befördert in Äquatornähe kaltes Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche. Dadurch kann das Meer mehr Wärme aus der Luft aufnehmen.
Die Erwärmung macht nicht einmal an der Erdoberfläche eine Pause. Das sagen nun die Wissenschaftler der US-Behörde NOAA.