Hamburg. Eltern, Kita-Träger und Arbeitgebervertreter fordern, dass der Streik nach drei Wochen ausgesetzt wird. Doch dafür ein verhandelbares Angebot.
Nach drei Wochen Streik der Kita-Erzieher liegen bei vielen Eltern die Nerven blank. Während die Tarifpartner Anfang kommender Woche endlich verhandeln, streiken die Erzieherinnen in Hamburg zunächst weiter. Das Abendblatt hat alle Beteiligten zum großen Kita-Gipfel an einen Tisch gebracht: die Ver.di-Fachbereichsleiterin für Gesundheit und Soziales, Hilke Stein, den Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg, Urban Sieberts, die Pädagogische Geschäftsführerin des Kita-Trägers Elbkinder, Franziska Larrá, sowie Vorstandsmitglied Tobias Joneit vom Landeselternausschuss (LEA) und eine betroffene Mutter, Anwältin Bettina-Axenia Bugus. Aktuelle Informationen zum Streik veröffentlicht die Sozialbehörde unter www.hamburg.de/kita.
Hamburger Abendblatt: Frau Stein, die Eltern in Hamburg sind nach fast drei Wochen Streik auf den Barrikaden. Spielt das der Gewerkschaft in die Hände, weil es den Druck erhöht?
Hilke Stein: Wir würden uns wünschen, dass es nie zu dieser Streiksituation hätte kommen müssen, die auch für die Erzieherinnen und Erzieher nicht einfach ist. Aber sie ist eine Reaktion auf die Blockadehaltung der Arbeitgeber.
Aber erhöht der Elternprotest den Druck auf die kommunalen Arbeitgeber?
Stein : Er steigert den Druck auf die Politik, weil ankommt, wie wichtig die soziale Infrastruktur für eine Gesellschaft ist und was passiert, wenn sie nicht mehr vorhanden ist. So wird deutlich, dass der Erzieherberuf aufgewertet werden muss.
Herr Sieberts, es gibt jetzt nach drei Wochen endlich ein Angebot der Arbeitgeberseite. Warum erst jetzt?
Urban Sieberts: Die VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) hat schon am 21. April, als Ver.di den Verhandlungstisch verließ, ihre Angebote schriftlich zusammengefasst übergeben – unter der Überschrift „Vorschläge“. Diese Vorschläge waren inhaltlich bereits ein Angebot, aber Verdi hat danach zunehmend gefordert, wir brauchen ein formelles Angebot. Jetzt ist es da, zusammen mit einer konkreten Einladung der VKA zu Verhandlungen ab kommendem Montag.
Bettina Bugus: Es kann doch jetzt aber nicht an der Überschrift liegen, dass wir Eltern seit drei Wochen in dieser Situation stecken. Wir gehen auf dem Zahnfleisch.
Stein: Es liegt auch nicht an der Überschrift, sondern am Inhalt. Vorschläge unterscheiden sich von einem Angebot dadurch, dass sie in Tarifverhandlungen immer auch zurückgezogen werden können. Und den Vorschlag, der am 21. April vorlag, haben mehr als 90 Prozent der Erzieherinnen unzureichend gefunden.
Tobias Joneit: Einige Eltern haben schon ihre Jobs verloren. Existenzen stehen auf dem Spiel. Niemand hat sich aktiv um die Sorgen und Nöten der Eltern gekümmert. Erst seit die Eltern in der letzten Woche massiv in die Medien gegangen sind, scheint ein wenig Bewegung in die Sache zu kommen.
Franziska Larrá: Ich wehre mich dagegen, dass wir Träger nichts für die Eltern getan hätten. Wir haben uns gekümmert, rumtelefoniert und versucht, Notbetreuung zu organisieren. Dieser lange ununterbrochene Streik hat uns vor große Probleme gestellt.
Haben Sie als Eltern eigentlich grundsätzlich Verständnis für die Forderung der Erzieher nach mehr Gehalt und einer Aufwertung ihrer Arbeit?
Bugus : Absolut. Das stelle ich überhaupt nicht in Frage. Bei uns in Eimsbüttel sind viele Eltern Akademiker. Wir haben hohe Ansprüche an das, was eine Erzieherin leisten muss, weil wir das zu Hause gar nicht mehr leisten können, denn sehr viele von uns sind berufstätig. Die Erzieherinnen müssen viel mehr leisten als früher, die erziehen und fördern unsere Kinder. Ich bin überhaupt nicht böse auf die Erzieher, ich habe nur kein Verständnis dafür, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber nicht wirklich miteinander reden, um nach drei Wochen endlich mal einen Kompromiss gefunden zu haben.
Stein: Wir sind in einer historisch einmaligen Situation: So einen Streik hat es im Sozialbereich so noch nicht gegeben. Das war für uns alle in der Härte deshalb nicht kalkulierbar. Nach einer Urabstimmung folgt ein unbefristeter Streik, das ist nach dem Streikrecht so. Wir hätten uns aber nicht vorstellen können, dass es über Wochen keinerlei Bewegung bei den Arbeitgebern gibt.
Bugus: Ich akzeptiere das Streikrecht. Aber es gibt auch ein Recht der Familie und ein Recht auf freie Berufsausübung – all das sollte gleichberechtigt nebeneinander stehen, was bei der derzeitigen Situation aber nicht der Fall ist.
Immerhin konnten die Elbkinder mit Ver.di jetzt eine Notdienstvereinbarung abschließen, so dass gut 10.000 Kinder statt bisher 6500 Kinder betreut werden können. Warum gab es sie nicht früher?
Larrá : Vor Streikbeginn hat Ver.di uns 30 voll geöffnete Kitas angeboten – sehr viel weniger als das, was wir durch eigene Organisation herstellen konnten. Nachdem der Streik nun so lange dauert, sind wir noch einmal auf Ver.di zugegangen mit der Bitte um eine Notdienstvereinbarung.
Joneit:Wir hätten uns so eine Vereinbarung viel früher gewünscht. Damit ist das Problem der Eltern aber nicht gelöst, sondern es sind nur Notfälle abgedeckt. Ver.di hat angekündigt, so lange zu streiken, bis ein Angebot von den Arbeitgebern vorliegt. Jetzt liegt ein Angebot vor. Ich fordere Sie daher auf: Beenden Sie den Streik, oder setzen Sie ihn zumindest sofort aus. Dann sind wir Eltern erst einmal entlastet und können gucken, wie wir unsere berufliche Situation regeln.
Stein: Wir haben der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg Ende April angeboten, in Hamburg einen Sonderweg zu gehen. Hätte sie uns ein Angebot gemacht, wäre der Streik nicht nötig gewesen. Dazu war die AVH aber nicht bereit, weil wir in Hamburg die Praxis haben abzuwarten, was auf der Bundesebene verhandelt worden ist. Insofern haben wir bisher kein Angebot bekommen. Sollte es aber vonseiten der Politik in Hamburg das Bestreben geben, eine Sonderlösung zu suchen, dann wären wir auch dafür offen.
Sieberts: Die Praxis, die Frau Stein nennt, ist jahrzehntelang bewährt und auch schriftlich zwischen uns vereinbart. Wenn die AVH umgekehrt verfahren und vor der VKA hier in Hamburg Tarifverträge schließen würde, nach denen sich dann der Rest der Republik zu richten hätte, dann würde die VKA uns ausschließen.
Bugus: Soll ich Ihnen mal sagen, wie ich das empfinde? Als ein Formalien- und Kompetenzgerangel, bei dem sich gar nichts bewegt. Frau Stein, Sie vergeben sich doch nichts, den Streik so lange auszusetzen, bis ein Ergebnis auf Bundesebene vorliegt, an dem sich Hamburg dann orientiert. Haben Sie mitbekommen, dass verzweifelte Eltern ihre Kinder in Kitas abgeben, ohne dass diese für die Notbetreuung angemeldet sind, einfach weil sie sonst fürchten, ihren Job zu verlieren?
Stein: Ja, ich war in Kitas. Um den Streik jetzt auszusetzen, haben wir gegenüber dem Stand April noch keine neue Substanz. Aber alle Streikbetriebe bundesweit sind zu einer Vertreterversammlung am kommenden Donnerstag eingeladen, da kann die Entscheidung fallen, dass der Streik ausgesetzt wird, wenn bei den Verhandlungen etwas Nennenswertes auf dem Tisch liegt.
Sieberts: Das überzeugt mich nicht. Wenn man den Streik schnell beginnen kann, dann kann man auch schnell daraus aussteigen. Wir beide haben vereinbart, dass wir schauen, was wir von einer Einigung auf Bundesebene hier in Hamburg übernehmen. Während die VKA eine solche Einigung versucht, erwarte ich, dass der Streik auch in Hamburg ausgesetzt wird.
Wieso streiken die Hamburger Erzieher eigentlich für die bundesweit höhere Eingruppierung ihrer Kollegen, die in Hamburg längst Realität ist?
Stein: Es stimmt zwar, dass alle Hamburger Erzieher – aufgrund der besonderen Herausforderungen in der Großstadt – bereits in die Stufe S8 eingruppiert sind, die für Erzieher mit schwierigen Aufgaben vorgesehen ist. Das sind 2478 Euro als Einstiegsgehalt für eine Vollzeitkraft. Dies ist in vielen Großstädten der Fall, bundesweit aber bei weitem nicht die Regel, dort bekommen viele Erzieher S6. Aber in der Endstufe der Eingruppierung S8 verdienen die Hamburger Erzieher 413 Euro weniger als in anderen Bundesländern. Und die bundesweite Forderung geht dahin, die Eingruppierung der Erzieher von S6 auf S10 und von S8 auf S11 anzuheben. Das wollen wir auch in Hamburg.
Sieberts: Neben der Forderung der Erzieher nach mehr Geld haben wir auch eine Diskussion über die Qualität der Betreuung, die in den kommenden Jahren mit einem schrittweise günstigeren Betreuungsschlüssel in den Kita-Gruppen verbessert werden soll. Das muss finanziert werden und angesichts des begrenzten Etats – der aus Steuermitteln stammt – haben wir nicht die Möglichkeit, pauschal auch die Gehälter von Erziehern anzuheben, deren Aufgaben sich in den vergangenen Jahren womöglich nicht verändert haben.
Eltern können ihre Beiträge zurückfordern, wenn keine Betreuung geleistet wird. Wie viele machen davon Gebrauch, und was kostet der Streik die Elbkinder?
Larrá : Die Elbkinder haben von Beginn der Streiks an, schon bei den eintägigen Warnstreiks, angeboten, die Gebühren zu erstatten. Ich schätze, dass mindestens die Hälfte aller Eltern ihre Kita-Gebühren für den Zeitraum des Streiks zurückfordern werden. Auf der anderen Seite zahlen wir ja für die streikenden Erzieher auch keine Gehälter. Schwerer wiegt für uns deshalb der Imageschaden. Der Kita-Träger Elbkinder hat eine sehr gute Marktposition. Wir sind bei Eltern sehr angesehen, auch, weil wir sehr zuverlässig sind und bis auf wenige Tage im Jahr nie geschlossen haben. Das ist durch den Streik im Moment leider am Wackeln. Die Elbkinder sind sehr stark bestreikt, etwa die Hälfte unserer Mitarbeiter ist im Ausstand. Der Streik ist deshalb für unsere gute Marktposition bedrohlich.
Spart die Stadt Hamburg eigentlich Geld durch den Streik, Herr Sieberts?
Sieberts : Ich spreche nicht für die Stadt Hamburg, aber die Stadt hat erklärt, dass sie für nicht betreute Kinder das Geld zurückfordern will.
Joneit: Ein Wort zur Wertschätzung der Erzieher: Viele von ihnen sind jetzt drei Wochen nicht mehr in den Kitas, und darunter leidet das Verhältnis zwischen Eltern und Erziehern ganz enorm, das hören wir derzeit überall. Das Verständnis der Eltern für die Erzieher sinkt.
Frau Stein, kann der Streik in der kommenden Woche ausgesetzt werden?
Stein : Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es eine Einigung auf der Bundesebene und die Entscheidung, die Streiks auszusetzen; dann werden wir in Hamburg selbstverständlich auch aussetzen. Oder Hamburg entscheidet sich doch, ein Aufwertungsangebot zu machen.
Larrá: Wenn Sie das so formulieren, dann sehe ich allerdings schwarz. Im Sinne der Kinder und Eltern bitte ich Sie noch einmal sehr eindringlich, den Streik doch zumindest für ein paar Tage auszusetzen, damit alle wieder zur Ruhe kommen können – und wir uns für Streiks, die aus Ihrer Sicht im Laufe der Verhandlungen möglicherweise noch einmal nötig werden, besser vorbereiten können.