Der Kita-Streik lässt die Eltern zusammenrücken. Doch vor allem die kleinen Kinder leiden.

Um 10.15 Uhr ist Konferenzbeginn in der Redaktion. Meine Frühschicht habe ich da schon hinter mir.

Bosse, 3, den Popo abgeputzt (Erfolgserlebnis: auf die Toilette geschafft, Bosse ist nämlich in der Windel-Abgewöhn-Phase). Smilla, 4, ein Butterbrot geschmiert („ooohne Rindeeee!“). Lucas, 5, überredet, nicht nur Wurst, sondern auch Stulle zu essen. Nele, 3, getröstet, die tränenreich ihre Mama vermisste. Jonte, 4, erklärt, warum Fußballspielen im Frühstücksraum den Porzellantellern wehtut.

Ich kannte diese Kinder bislang nicht. Sie mich auch nicht. Oder jedenfalls: kaum. Sie sind nicht meine Kinder und nicht alle sind unmittelbare Freunde meiner Kinder. Es sind die Kinder unserer Kita, in der ich (die ich wie viele der anderen Eltern „nebenbei“ einen Vollzeit-Job zu erfüllen habe) den Elternnotdienst mit übernommen habe. Wir sind, nach chaotischen ersten Tagen, mittlerweile ziemlich gut organisiert, wir sind viele und werden im Laufe des Streiks immer mehr. Wir kennen uns in der Küche und im Werkraum aus, wir wissen, wo im Kita-Garten die Sandspielzeuge lagern und wer eine Sonnenmilch-Allergie hat. Wir wissen inzwischen sogar die Vornamen voneinander – für Kita-Eltern gar nicht so selbstverständlich, die sind halt sonst „die Mama von Moritz“ und „der Papa von Anni“.

Das ist die gute Seite der Ausnahmesituation: Die Not macht uns zur Schicksalsgemeinschaft, die Eltern rücken enger zusammen und sehen überdeutlich, was die meisten von uns allerdings auch vorher schon wussten: Erzieherarbeit ist kein Gedöns. Sie ist – wie im Übrigen auch die Altenpflege – unschätzbar wertvoll und sollte gesellschaftlich und finanziell so behandelt werden. Die Verantwortung, der Lautstärkepegel, die körperliche Anstrengung, die emotionale Beteiligung, der pädagogische Hintergrund.

Ohne Bahn kann man Bus fahren. Ohne das Vertrauen in Erzieher geht es auf Dauer nicht, wenn man Geld verdienen muss (und wer muss das nicht). Klar freuen sich Kinder, wenn heute die eine Oma kommt und morgen die andere (unendlich glücklich all jene, die Großeltern in derselben Stadt haben!), und Kinder ab vier mögen es noch einigermaßen wegstecken, dass erst die Nachbarin einspringt, dann der Babysitter und schließlich wieder der Elternnotdienst. Dass Mama rotiert und Papa nachts ins Büro fährt, um keine Kunden zu verlieren.

Für Krippenkinder allerdings ist das alles nicht lustig. Wenig ist wichtiger für ein 15 Monate altes Kleinkind als feste Bezugspersonen, klare und starke Bindungen. Zum einen – natürlich – in der Familie. Zum anderen aber auch in einer guten und das heißt eben auch: konstanten Krippenbetreuung. Wie soll ein selbstverwalteter Elterndienst oder auch ein ausgeweiteter Krippennotdienst mit fremden, womöglich immer wieder wechselnden Erwachsenen das ersetzen?

Dieser Streik muss ein Ende haben. Das begreifen nun wirklich schon Kindergartenkinder: Ohne Kompromisse geht es nicht. Wo bleibt das Augenmaß? Nicht verhältnismäßig ist es, einen Solidarstreik mit ebensolcher Härte und Wucht zu führen, als sei man betroffen – Hamburgs Erzieher sind längst in der in Niedersachsen noch geforderten höheren Einstufung und verraten einem im Vertrauen bisweilen, dass sie lieber mehr Kollegen als mehr Geld hätten. Und es ist an den kommunalen Arbeitgebern, den für manche Eltern existenzbedrohenden Zustand endlich ernst zu nehmen.

Nicht der Eltern wegen. Die halten manches aus. Warum allerdings die Kinder von beiden Seiten geradezu in Geiselhaft genommen werden, ist nicht mehr zu begreifen. Angeblich geht es doch allen ausgerechnet um ihr Wohl?

Seite 10 Der Kita-Gipfel beim Abendblatt