Stellingen. Nach dem ersten ist auch das zweite Baby des Tierparks gestorben. In der Wildnis liegt die Sterblichkeit bei 70 Prozent.
Eine schmale Mitteilung liefert am Freitagnachmittag Gewissheit: Auch das zweite Tigerbaby in Hagenbecks Tierpark ist tot. Nachdem vor zehn Tagen bereits der erste der Anfang Mai geborenen Zwillinge gestorben war, konnten die Verantwortlichen am Freitag auch beim verbliebenen Jungtier nur noch den Tod feststellen. Tierärztin Dr. Adriane Prahl: „Zu unserem großen Bedauern hat es auch der zweite Tigerwelpe nicht geschafft.“ Es ist das dritte tote Raubtier, das Hagenbeck binnen kurzer Zeit beklagen muss – am Donnerstag war der Nachwuchs des Leopardenpaares aus ungeklärter Ursache gestorben.
Laut Tierpark gab es wie beim ersten Jungtier der Sibirischen Tiger keine Anhaltspunkte für eine mögliche Todesursache. „Das Jungtier wirkte kräftig und munter, auch getrunken hat es ausreichend“, sagte Tierärztin Prahl. Weil von Anfang an weder Pfleger noch Tierärzte die Wurfbox der Tiger betreten durften und das Muttertier mit Nachwuchs ausschließlich über einen Monitor beobachtet wurde, sei es auch jetzt schwierig, eine Erklärung für den plötzlichen Tod zu finden. Der Tierpark gab am Freitag keine weiteren Stellungnahmen ab. Zu groß ist wohl die Enttäuschung, dass beide Jungtiere nicht überlebt haben. Nach 13 Jahren ohne Nachwuchs war es der erste Wurf der gefährdeten Art bei Hagenbeck.
Sterblichkeitsrate im ersten Monat sehr hoch
Indes hatten Hagenbecks Tierärzte schon vor der Geburt vor zu viel Euphorie gewarnt. Bei jungen Tigern – Mutter Maruschka und Vater Lailek sind vier Jahre alt – sei ein sogenannter Probewurf nicht unüblich. Die Tigerin habe sich allerdings in den dreieinhalb Wochen nach der Geburt vorbildlich um die Jungtiere gekümmert. Umso erstaunlicher sei nun der plötzliche Tod. „Zu unserer Erleichterung geht es Mutter Maruschka gut“, erklärt der Tierpark weiter.
Erwiesenermaßen ist die Sterblichkeitsrate bei Tigerbabys im ersten Lebensmonat sehr hoch. Insbesondere erste Würfe sind gefährdet, wie aus der Dissertation der Veterinärmedizinerin Constance Vollrath hervorgeht. Im Leipziger Zoo hatte sie einen Zeitraum von 54 Jahren untersucht und festgestellt, dass von 397 dort geborenen Tigern 48 Babys (12,1 Prozent) entweder tot zur Welt kamen oder den ersten Tag nicht überlebten. Weitere 65 Jungtiere (16,4 Prozent) starben noch im ersten Monat, wobei 55 Welpen (13,9 Prozent) nicht älter als zehn Tage wurden. In der Wildnis liege die Sterblichkeitsrate laut Hagenbeck-Tierarzt Michael Flügger sogar bei 70 Prozent. Gemessen daran seien die Bedingungen für Aufzuchten in Hamburg ideal.
Das bestätigt auch Peter Müller, der am Leipziger Zoo seit 1973 das internationale Zuchtbuch für Tiger führt. Mehr als 10.000 Eintragungen kann der erfahrene Chronist vorweisen. Bei Hagenbeck habe man seines Erachtens nach „nichts falsch gemacht“, indem man die Prägungsphase abgewartet habe. „Erstlingswürfe sind oft entweder nicht voll entwickelt, oder die Mutter weist Defizite mangels Erfahrung auf“, sagt Müller. Beides könne man bei Hagenbeck zunächst ausschließen, das Weibchen habe ihre Jungen ja angenommen. Vielleicht sei die Deutung, alles sei in Ordnung, etwas verfrüht gewesen. „Denn“, so Müller, „um wirklich beurteilen zu können, wie es einem Jungtier geht, muss man es tierärztlich untersuchen“. Da würden Fernsehbilder für Gewissheit nicht ausreichen. „Die Monitorüberwachung ist immer mit Fragezeichen versehen.“
Tigerpaar gehört zu den vom Aussterben bedrohten Amurtigern
Die Entscheidung der Hamburger Ärzte, nicht in die Wurfbox zu gehen, habe Tigerweibchen Maruschka aber einen wichtigen Lernprozess ermöglicht. Die Tiere hätten bei der Aufzucht nichts als ihren Instinkt, und der sei nun geschärft. „Das gibt berechtigten Grund zur Hoffnung, dass es im zweiten Anlauf klappt“, so Zuchtbuchführer Müller. Hagenbeck-Tierarzt Flügger hatte schon zuvor gesagt, falls der erste Wurf nicht überlebe, dürfte der Tierpark erneut sein Zuchtglück versuchen.
Das Tigerpaar bei Hagenbeck soll in den nächsten Wochen wieder gemeinsam auf der Außenanlage zu sehen sein. Maruschka und Lailek genießen im Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP) besonderen Stellenwert. Der Genpool des Hamburger Pärchens ist selten und damit kostbar. Die auch Amurtiger genannten Tiere zählen zu den stark gefährdeten Arten, nur noch 450 Exemplare durchstreifen nach Expertenangabe ihren natürlichen Lebensraum im Osten Russlands sowie die Grenzgebiete Chinas und Nordkoreas. Ihre Refugien sind stark dezimiert. Auch deshalb arbeiten europäische Zoos an der Arterhaltung, etwa 260 Tiere leben hier in Gefangenschaft.