Etwa 14.400 Hamburger leiden unter chronischen Schmerzen. Am 2. Juni informieren Spezialisten über die Behandlungsmöglichkeiten.

Ein Leben ganz ohne Schmerz wäre gefährlich. Denn um in dieser Welt zu überleben, brauchen wir diese unangenehme Empfindung – als wichtiges Warnsignal, dass in unserem Körper etwas nicht stimmt. Doch wenn der Schmerz sich verselbstständigt und chronisch wird, hat er seine eigentliche Warnfunktion verloren und wird zu einem ständigen, quälenden und zermürbenden Begleiter.

Von chronischen Schmerzen sprechen Experten, wenn sie länger als drei Monate anhalten. Mit einem Aktionstag gegen den Schmerz am 2. Juni will die Deutsche Schmerzgesellschaft bundesweit über Möglichkeiten der Schmerztherapie und die Behandlungsmethoden informieren.

Nach Schätzungen leiden in Deutschland etwa acht Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen. Mehr als 600.000 sind so schwer betroffen, dass sie eine Behandlung durch spezielle Schmerztherapeuten brauchen. „Mit diesen Zahlen muss man in Hamburg von etwa 14.400 Patienten ausgehen, die eine spezielle Schmerztherapie brauchen. Tatsächlich aber erhalten eine solche Behandlung zurzeit etwa 6000 Patienten pro Jahr mit chronischen Schmerzen“, sagt Dr. Maja Falckenberg, niedergelassene Schmerztherapeutin in Hamburg.

Dr. Maja Falckenberg, Schmerztherapeutin in der Schmerzambulanz Alten Eichen
Dr. Maja Falckenberg, Schmerztherapeutin in der Schmerzambulanz Alten Eichen © Privat

Insgesamt gibt es in der Hansestadt 19 Schmerztherapeuten an 14 Standorten. Die Folge: Patienten müssen meistens Wartezeiten von mehreren Monaten in Kauf nehmen. Eine Lösung sieht die Ärztin nur in weiteren Zulassungen von Schmerztherapeuten und besseren Honorierungen, da sich dann auch mehr Ärzte für die Schmerztherapie als Berufsperspektive entscheiden würden. Derzeit sei das Einkommen der Schmerztherapeuten etwa ein Viertel niedriger als das von anderen Fachärzten.

Intensive Betreuung der Patienten notwendig

Nicht möglich ist es, dass die Spezialisten mehr Patienten behandeln. Denn die Zahl der Patienten, die sie pro Quartal behandeln dürfen, ist auf 300 begrenzt. Gehen sie über diese Zahl hinaus, müssen sie Abschläge beim Honorar in Kauf nehmen.

„Diese Regelung ist auch durchaus sinnvoll. Denn für die Behandlung der Schmerzpatienten brauchen wir viel Zeit. Wenn die Patienten ganz neu zu uns kommen, brauchen wir für das erste Gespräch rund eineinhalb Stunden, in der weiteren Behandlung brauchen wir dann pro Patient etwa eine halbe Stunde. Für eine gute Therapie ist auch eine gute Beziehung zwischen Arzt und Patient wichtig. Den Schlüssel zur Seele des Patienten zu finden, ist immer wieder unsere Aufgabe“, sagt Falckenberg.

Die intensive Betreuung ist auch nötig, weil der chronische Schmerz das ganze Leben der Betroffenen stark beeinträchtigt. „Patienten, die länger als drei Monate Schmerzen haben, geraten in eine Chronifizierungsschleife, die für ihr Leben dramatisch ist, weil sie aus Arbeitsprozessen herausfallen und ihre psychosozialen Bezüge verlieren“, sagt die Schmerztherapeutin.

Bis zu 60 Prozent leiden an Rücken- oder Kopfschmerzen

Von den Patienten, die eine spezielle Schmerztherapie in Anspruch nehmen, leiden die meisten an Rücken- oder Kopfschmerzen. „Schmerzen am Bewegungsapparat machen in den Schmerzambulanzen 50 bis 60 Prozent aus“, sagt Falckenberg. Und dann gebe es Patienten, die außerdem oder allein Nervenschmerzen durch Verletzungen der Nerven haben, zum Beispiel infolge eines Bandscheibenvorfalls.

„Das ist eine spezielle Gruppe von Schmerzen, die eine besondere Behandlung benötigt. Der Nervenschmerz wird nicht mit normalen Schmerzmitteln, sondern mit speziellen Medikamenten behandelt“, sagt Falckenberg. Dabei handele es sich um Mittel, die eigentlich gegen Depressionen und Epilepsie eingesetzt werden.

„Diese beiden Medikamentengruppen wirken auf die Schmerzfortleitung und auf die Schmerzhemmung“, sagt Dr. Claudia Reichel, ebenfalls niedergelassene Schmerztherapeutin in Hamburg. Die Schmerzhemmung werde auch unter maximalem Stress aktiviert. „Das Phänomen kennen wir zum Beispiel von Unfällen. Wenn jemand sich den Fuß gebrochen hat, kann es sein, dass er den Schmerz unter dem Stress des Unfalls zunächst gar nicht merkt und mit dieser Verletzung noch laufen kann. Erst wenn der Stress wegfällt, spürt er den Schmerz“, erklärt Reichel.

Wie beschreibt der Patient den Schmerz?

Andere Schmerzen werden mit normalen Schmerzmitteln behandelt, also mit sogenannten nichtsteroidalen Schmerzmitteln, wie zum Beispiel Ibuprofen. Leidet der Patient unter starken Schmerzen, werden Opiate eingesetzt. „Bei der Verordnung orientieren wir uns daran, wie der Schmerz entsteht, ob es sich zum Beispiel um einen Entzündungs- oder einen Muskelschmerz handelt. Man weiß auch, dass bei Knochenschmerzen Antirheumatika häufig besser wirken als zum Beispiel Opiate“, sagt Reichel.

Dr. Claudia Reichel, Schmerztherapeutin in Hamburg
Dr. Claudia Reichel, Schmerztherapeutin in Hamburg © Schmerz- und Palliativzentrum Hamburg

Auch wie der Patient den Schmerz beschreibt, gibt den Ärzten wichtige Hinweise. „Wird der Schmerz sachlich beschrieben, als reißend, bohrend, stechend, kann das schon ein Hinweis sein, in welchem Gewebe der Schmerz seine Ursache hat. Es kann aber auch sein, dass die Patienten ihre Schmerzen mit sehr emotionalen Eigenschaften verknüpfen, zum Beispiel grauenhaft dramatisch, quälend, was auch ein Zeichen dafür sein kann, dass der Schmerz ein Zeichen eines seelischen Leidens ist, das über den Körper ausgedrückt wird. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil ein emotionaler Schmerz weniger mit landläufigen Schmerzmitteln, sondern eher mit Psychotherapie behandelt werden muss“, sagt Reichel.

Schmerzmittel, Bewegung und Psychotherapie

Wie stark jemand seine Schmerzen wahrnimmt, ist individuell und objektiv nicht messbar. Deswegen ist für die Ärzte am wichtigsten, wie sich dieses Empfinden verändert. „Die Patienten geben bei jedem Besuch auf einer Skala von eins bis zehn an, wie stark ihre Schmerzen sind. Daran, wie sich das im Vergleich zum letzten Besuch verändert hat, sehe ich, ob die verordneten Medikamente wirken oder nicht“, sagt Falckenberg.

Die zweite Säule der Therapie ist die Krankengymnastik und die Motivierung des Patienten, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten wieder mehr zu bewegen. „Das Ziel dabei ist, jemanden dazu zu bringen, seine Schonhaltung aufzugeben und körperlich wieder aktiver zu werden. Das ist oft sehr schwierig und gelingt nicht immer“, sagt Falckenberg.

Die dritte Säule ist die Psychotherapie, das sind meistens verhaltenstherapeutische Verfahren, bei denen der Patient dabei unterstützt wird, einen Weg im Umgang mit seinen Schmerzen zu finden. „Das bedeutet nicht nur mehr Sport zu treiben und Entspannungsverfahren anzuwenden, sondern auch, dass die Patienten sich etwas suchen, auf das sie sich freuen können, zum Beispiel ein neues Hobby oder ein Treffen mit Freunden“, sagt Falckenberg. Für diese Therapie sei auch die Kooperation mit Psychotherapeuten wichtig, die auf Schmerzpatienten spezialisiert sind.