Hamburg. Seit 2005 wurden mehr als 50 Gefahrengebiete eingerichtet. Polizisten agieren nach Verhaltenskatalog schon wesentlich zurückhaltender.

Im Streit um die sogenannten Gefahrengebiete in Hamburg deutet sich ein Kompromiss an. In Zukunft könnte die Verwaltungsjustiz im Einzelfall entscheiden, ob die Polizei in einem festgelegten Gebiet Passanten ohne konkreten Verdacht kontrollieren darf. „Einen Richter mit einzubeziehen, ist eine Möglichkeit“, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer dem Hamburger Abendblatt: „So geschieht es bei anderen Maßnahmen der Gefahrenabwehr bereits“.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte am Mittwoch in einem Urteil deutlich gemacht, dass es die bisherige Praxis für verfassungswidrig hält. Die Kontrollen griffen in unzulässiger Weise in die Grundrechte von Bürgern ein. Der rot-grüne Senat und die Polizeiführung sind durch den Richterspruch aufgefordert, die Einrichtung und Ausgestaltung der Gefahrengebiete auf verfassungskonforme Beine zu stellen.

„Wir prüfen sowohl die bundesweite Rechtsprechung, als auch die Entscheidung des OVG in Hamburg“, sagte Meyer. Möglich ist weiterhin auch, dass die Polizei gegen das Urteil vor das Bundesverwaltungsgericht zieht oder ein Verfassungsgericht anruft.

Seit der Änderung des Polizeigesetzes im Jahr 2005 hat die Polizei mehr als 50 Gefahrengebiete eingerichtet, meist wegen angespannter Lagen oder zu erwartender Ausschreitungen. Derzeit bestehen drei dauerhafte Gefahrengebiete wegen Drogenhandels und nächtlicher Gewalt am Hansaplatz in St. Georg und im Bereich um die Reeperbahn. Wie ein Sprecher der Innenbehörde bestätigte, sollen die Gebiete mit Sonderrechten für die Polizei „bis auf Weiteres bestehen bleiben“.

Verhaltensregeln für Polizisten in Gefahrengebieten

Die Polizeiführung hat die Beamten schon im vergangenen Jahren angewiesen, in Gefahrengebieten deutlich zurückhaltender zu agieren. In einem internen Papier vom 15. Juli 2014, das dem Abendblatt vorliegt, werden genaue Verhaltensregeln für die Kontrollen benannt. Demnach sollen die Beamten etwa Rucksäcke und Taschen von Passanten in Augenschein nehmen – „ein Abtasten des Körpers des Betroffenen, den Einsatz von technischen Mitteln (z. B. Metalldetektoren) oder Spürhunden oder die Aufforderung, Kleidungsstücke abzulegen“ seien dabei aber zu unterlassen.

Bei der Durchsuchung sollen die Beamten darüber hinaus „zunächst ein Mitwirken des Betroffenen“ anstreben. Verhalte sich ein Passant nicht kooperativ, dürften die Beamten nur ein „kurzes Beiseiteschieben von Gegenständen“ in Taschen durchführen, die Taschen aber nicht komplett durchsuchen. Bewohnern von Gefahrengebieten dürfe auf keinen Fall – wie etwa Anfang 2014 im Schanzenviertel – der Zugang zur eigenen Wohnung verwehrt werden.

Generell sei bei den Kontrollen auf eine genaue Zielgruppe zu achten: Passanten zu überprüfen, nur weil sie optisch dem „linken Spektrum“ zuzuordnen sind, sei laut Dienstanweisung „nicht genug“. Mit derselben Argumentation hatte das OVG einer Bewohnerin, die im Jahr 2011 in einem Gefahrengebiet in Gewahrsam genommen wurde, recht gegeben.

Die Polizeigewerkschaften halten die Ausweisung von Gefahrengebieten auch künftig für ein unverzichtbares Instrument der Gefahrenabwehr. Gerade auf der Reeperbahn habe sich die Einrichtung eines dauerhaften Gefahrengebiets bewährt, sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders.

Sollte es gekippt werden, wären verdachtsunabhängige Durchsuchungen von Passanten auf dem Kiez, etwa nach Waffen, nicht mehr möglich. „Ohne Gefahrengebiet könnte die Polizei nicht mehr in dieser Form präventiv tätig werden, sondern dürfte erst dann einschreiten, wenn eine Straftat geschieht“, sagte Lenders.

Ähnlich sieht das auch der Hamburger Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Ohne das Instrumentarium – wie beispielsweise im Vergnügungsviertel St.Pauli – wird die Arbeit der Polizei zur frühzeitigen Verhinderung von Straftaten und Abwendung von Gefahren erheblich erschwert“, sagte der Hamburger GdP-Chef Gerhard Kirsch.