Die Einrichtung von Gefahrengebieten sollte möglich bleiben – unter demokratischer Kontrolle

Deutlicher hätte die Niederlage kaum ausfallen können. Gefahrengebiete in Hamburg sind verfassungswidrig, Ermittlungen der Polizei „ins ­Blaue“­ nicht rechtmäßig, Kontrollen und Durchsuchungen von Passanten ohne konkreten Verdacht ein unzulässiger Eingriff in Grundrechte.

Sätze eines Richters wie Donnerhall. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zur Ausweisung von Gefahrengebieten durch die Polizei ist eine schwere Schlappe – für die Polizei selbst, aber vor allem für die Hamburger Politik, die zehn Jahre mit diesem Gesetz gelebt hat.

2005. Die CDU stellt nicht nur den Bürgermeister, sondern regiert auch allein. Innensenator ist Udo Nagel, zuvor im vom Rechtsausleger Ronald Barnabas Schill mitgetragenen Vorgängersenat noch Polizeipräsident. 2005 beschließt die Bürgerschaft ein neues Polizeirecht, das als eines der härtesten Deutschlands gilt. Nagel selbst nennt es „nicht hart, sondern modern“. „Ich mache Politik für den Bürger. Dabei schöpfe ich das Gesetz voll aus“, sagt er.

Das Gesetz auszuschöpfen heißt, dass sich die Polizei selbst mit Sonderbefugnissen ausstatten darf. Ganze Viertel kann sie nach Gutdünken und ohne Befristung als Gefahrengebiet ausweisen. Damit einher geht die massive Einschränkung der Freiheitsrechte – ohne dass ein Richter oder ein Parlament zustimmen müssen.

Die politische Kommentierung des neuen OVG-Urteils war erwartbar. Die Rede war von einer „schweren Niederlage für die SPD“ (FDP), einer „Riesenohrfeige für den Senat“ (Linke) oder einer „Quittung für Innensenator Neumann“ (CDU). Dabei vergessen die meisten Kritiker, auf den wichtigsten Punkt hinzuweisen: Von der Hamburger Polizei geht keine Gefahr aus. Von ihren Gefahrengebieten unmittelbar genauso wenig. Mit dieser Maßnahme hat die Polizei auf ausufernde Gewaltkriminalität reagiert, auf Angriffe, Bedrohungslagen oder den Drogenhandel – und damit die Lage entschärft.

So reagierte sie beispielsweise auf Hooligan-Krawalle, schwere Gewalt am Rande von Demonstrationen oder Angriffe auf die Davidwache. Die überwiegende Zahl der Anwohner und der Besucher in den Gefahrengebieten dürfte sich dadurch deutlich sicherer gefühlt haben und nicht verdächtigt.

Zunächst muss sich jetzt auch nichts ändern. Das Urteil hebt die bestehenden Gefahrengebiete nicht automatisch auf und verhindert auch nicht die Ausweisung neuer Sonderzonen. Aber das polizeiliche Instrument zur Gefahrenabwehr dürfte wohl unter stärkere demokratische Kontrolle gestellt werden.

Damit wird es zur ersten großen Herausforderung der rot-grünen Landesregierung. Für Pragmatiker wie Innensenator Michael Neumann und Bürgermeister Olaf Scholz haben die Gefahrengebiete ihre Nützlichkeit bewiesen, die Polizei habe diese sehr flexibel, souverän und wenig aufgeregt genutzt. Aus Sicht der SPD gab es deshalb bis zum Urteil keinen Anlass, die Praxis zu ändern. Aus Sicht zumindest eines Teils der Grünen schon. Reflexartig kam, kaum war das Urteil gesprochen, die Forderung auf, Gefahrengebiete auszusetzen oder gar abzuschaffen. Dazu dürfte es mit dieser SPD nicht kommen. Aber geändert wird das Gesetz schon.

Damit enden für die Polizei die aus ihrer Sicht paradiesischen Zustände, selbst eine Art Ausnahmezustand verhängen zu dürfen. Künftig dürfte ein Richter darüber entscheiden – oder das Parlament. Kann die Polizei aber nachweisen, dass ein neues Gefahrengebiet nötig ist, wird es dieses wohl auch weiter geben. Deshalb ist das Urteil auch kein Drama, sondern wird dazu führen, dass Gefahrengebiete eine stärkere Legitimation bekommen.