Sternschanze. Verdeckte Ermittlerin der Polizei war offenbar stärker im linken Radiosender aktiv als bekannt. Wie stark wurde Presserecht verletzt?

Zum Teil mehrmals pro Woche soll die Polizeibeamtin in den Wohnungen der linken Szene gewesen sein: „Sie hat mit uns Tee getrunken, Musik gehört, gepuzzelt und geplaudert“, heißt es in einem Dossier, das Redaktionsmitglieder des linksalternativen Radiosenders „Freies Sender Kombinat“ (FSK) zusammengestellt haben und das dem Abendblatt vorliegt. Unter dem Decknamen Iris Schneider ermittelte die Beamtin von 2001 bis 2006 in der linken Szene Hamburgs – auch im FSK. Die Auswertungen von Emails, Sendemitschnitten und Gesprächen innerhalb der Redaktion deuten nun darauf hin, dass die Beamtin deutlich häufiger in Wohnungen von Mitgliedern der Szene gewesen sein soll, als bisher bekannt war. Auch das Programm hat sie offenbar stärker mitgestaltet, als von den Behörden angegeben. Schneider verschaffte sich Zugang zu Emailadressen von Aktivisten, initiierte Treffen der Redaktion. Darauf deuten interne Dokumente der Sendung "re[h]v[v]o[l]lte radio" hin.

Sollten sich die Recherchen des FSK bestätigen, ist das heikel, denn ein verdeckter Polizeieinsatz in einer Redaktion ist ohnehin durch das Presserecht stark eingeschränkt. Aber nahm die Beamtin stärker als bisher bekannt verdeckt Einfluss auf die Sendungen? Eine Redaktion hat ein Recht, Informanten und Quellen vor dem Staat zu schützen. Auch der Einsatz in Privatwohnungen ist nur unter Ausnahmen möglich, zur Aufrechterhaltung der Tarnidentität. Wie stark gesetzliche Grenzen durch die Hamburger Polizei und die Beamtin überschritten wurden, hängt vor allem auch an diesen Fragen. Zumal Schneider nach Angaben der Polizei nie den Auftrag durch Vorgesetzte gehabt haben soll, den FSK zu bespitzeln.

Das nun erarbeitete Dossier des FSK gibt Hinweise darauf, dass die Beamtin nicht nur als Moderatorin tätig war, sondern auch als „Produzentin, Interviewerin und Interviewte“ im FSK. Schneider habe Themen mitbestimmt und sei bei Gesprächen mit Anwälten, Ärzten oder Historikern dabei gewesen. Vertrauliche Gespräche, die rechtlich vor staatlichem Eingriff geschützt sind.

Aktivitäten bewusst weiterlaufen lassen

Von Seiten der Behörden heißt es bisher, die verdeckt ermittelnde Beamtin habe „möglichst wenig“ eigene Inhalte zu den Sendungen des FSK beigetragen und „keinen Einfluss“ auf das Programm zu nehmen. Klar ist aber auch: Die Vorgesetzten haben ihre Aktivitäten im FSK nicht nur akzeptiert, sondern offenbar zur „Aufrechterhaltung“ ihrer linken Tarnidentität bewusst weiterlaufen lassen. Ob und welche Informationen Schneider aus ihrer Arbeit im FSK dann sogar an die Vorgesetzten weitergegeben hat, ist unklar. Berichte darüber habe die Polizei nicht gefunden. Die Innenbehörde hebt heute hervor, dass es für die Beamtin durch die Einsatzleitung keinen Auftrag gegeben habe, sich in den Sender FSK einzuschleusen.

Umstritten ist zudem, dass die Beamtin Affären und Verhältnisse mit Mitgliedern der linken Szene eingegangen sein soll. Schneider habe „Freundschaften, Liebesbeziehungen und Affären“ gehabt, heißt es in dem Dossier der Aktivisten. Bisher machte die Innenbehörde dazu keine Angaben. Die Einsatzleiter wissen laut Behörde nichts darüber, die Beamtin selbst wolle sich auch polizeiintern dazu nicht äußern, hieß es im Januar im Innenausschuss. Die Polizei ermittle intern weiter. Bis heute gibt es auf Nachfrage des Abendblatts keine weiteren Informationen.

Iris Schneider war über die Jahre als sogenannte Beobachterin für Lageeinschätzung, als BFLerin, und ab 2002 als verdeckte Ermittlerin in zwei Strafverfahren in der linken Szene eingesetzt, zunächst unter Führung des Bundeskriminalamtes, dann unter dem LKA in Kiel. Schneider war über Jahre eine Agentin im Doppeleinsatz, für drei verschiedene Behörden, Einsätze mit unterschiedlichen Rechten. In den Jahren vor dem Einsatz verübte die linksautonome Szene mehrfache Anschläge mit Farbbeuteln und Brandsätzen. Die Ermittlerin begann ihre Arbeit, vor allem auch im autonomen Zentrum Rote Flora in der Sternschanze, das Gewalt als Mittel nicht ausschließt. Auch zwischen der Flora und dem FSK gibt es Schnittmengen einzelner Linksaktivisten.

Bis heute bleibt vieles unklar

Der Einsatz fiel in die Zeit der Regierung von CDU und der rechten Schill-Partei. Der heutige Innensenator Michael Neumann (SPD) hatte im Januar Fehler der Polizei zugegeben und sich von dem damaligen Vorgehen der Beamtin distanziert. Man wolle den Fall aufklären. Doch bis heute bleibt vieles unklar. Zwar bemüht sich die Innenbehörde, durch Akteneinsicht und Gespräche mit den damalig Verantwortlichen für mehr Klarheit zu sorgen. Doch viele Protokolle des Einsatzes existieren nicht mehr. Die ebenfalls verantwortliche Bundesregierung gibt fast keine Auskünfte zu dem Einsatz. Das Innenministerium beruft sich auf das Gebot der Geheimhaltung bei Fragen zur inneren Sicherheit.

Der Journalistenverband kritisiert den Einsatz der Ermittlerin beim FSK als schweren Eingriff in die Pressefreiheit. Schon eine Polizeirazzia im FSK im Jahr 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht 2003 für verfassungswidrig erklärt. Auch das damalige Fotografieren der Redaktionsräume und die Sicherstellung von internen Unterlagen sei unverhältnismäßig gewesen.

Linke Szene sieht sich bestätigt

Die linke Szene sieht sich durch die eigenen Recherchen zum Fall Schneider in ihrer Kritik am Vorgehen der Sicherheitsbehörden bestärkt – und in ihrer generellen Abneigung staatlicher Eingriffe in ihre Aktivitäten. Die Darstellung der Innenbehörde weiche so deutlich von den Ergebnissen der eigenen Recherchen ab, so dass „das letzte Wort noch nicht gesprochen“ sei, sagt Regina Mühlhäuser vom FSK. Man wolle die Fraktionen der Bürgerschaft an ihr Versprechen erinnern, den Fall Schneider nach der Wahl im Fachausschuss des Parlaments weiter zu untersuchen.

Innensenator Neumann hatte im Januar als erste Konsequenz aus dem Fall angekündigt, die Begleitung von Verdeckten Ermittlerin zu verbessern und auch die Dokumentation der Einsätze zu erweitern. Wann sich der Innenausschuss das nächste Mal mit dem Fall der Verdeckten Ermittlerin befasst, ist bisher unklar.