Hamburg . Strahlenexperte stellte in elf Fällen Behandlungsfehler fest, in 46 Fällen wies er Vorwürfe zurück. Mitglied der Prüfkommission offenbar befangen

Ein großer Teil der Vorwürfe wegen falscher Bestrahlung von Krebspatienten in der Asklepios Klinik St. Georg hat sich als falsch herausgestellt. Gleichwohl hat es bei zehn Patienten in elf Fällen gravierende Behandlungsfehler gegeben (ein Patient wurde zweimal falsch behandelt). Die Betroffenen wurden mit deutlich zu niedrigen Strahlendosen und daher in der Schmerz- oder Tumortherapie ohne ausreichende Wirkung behandelt.

Das sind die Ergebnisse eines Gutachtens, das Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) bei Prof. Dr. Bernhard Kimmig in Auftrag gegeben hat, dem emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Strahlentherapie an der Universität Kiel, und das am Dienstagmittag im Hamburger Rathaus vorgestellt wurde.

Die Ärztekammer hatte im November schwere Vorwürfe erhoben

Eine Prüfkommission der Ärztlichen Stelle hatte im November 2014 weit umfassender Vorwürfe erhoben. Sie hatte für die Jahre 2010 bis 2013 auch zahlreiche Fälle von Überdosierungen festgestellt und zugleich angeblich fehlende Indikationen für eine Strahletherapie moniert, sprich: Die Patienten seien falsch und unsinnigerweise behandelt worden.

Das Gutachten von Professor Kimmig wies diese in 46 Fällem erhobenen Vorwürfe zurück. Die Indikationen seien richtig gewesen, eine Überdosierung habe es nicht gegeben. Gleichwohl rügte der Professor die Unterdosierung bei der Strahlentherapie von zehn Patienten, vor allem in der sogenannten Brachytherapie, die überwiegend zur Schmerzlinderung eingesetzt wird.

Medizin-Physik-Abteilung war verantwortlich

Die Fehlbehandlung sei auf einen Fehler bei der Nutzung einer neueren Software zurückzuführen, erläuterte Kimmig am Dienstag im Rathaus. Verantwortlich sei allein die Abteilung Medizin-Physik in der Klinik gewesen. Diese habe trotz eines Vier-Augen-Prinzip falsch gearbeitet. Auch monierte Kimmig in diesem Zusammenhang die „unübersichtliche und für Außenstehende kaum durchschaubare Aktenführung“ in der Abteilung. Fehler habe es auch bei der Nachsorge gegeben.

Der Gutachter kritisiert außerdem, dass bereits frühere Prüfkommissionen die schlechte Führung der Patientenakten bemängelt, dies aber weder der Gesundheitsbehörde gemeldet noch selbst abgestellt hätten.

Fehlbehandlung war nicht tödlich

Die Folgen der Fehlbehandlungen seien für die Patienten zwar „erheblich“ gewesen, so der Gutachter. So sei davon auszugehen, dass es keine ausreichende schmerzlindernde Wirkung gegeben habe. Kimmig verglich dies mit der Gabe eines unwirksamen Placebos anstelle eines Schmerzmittels. Gleichwohl sei die Fehlbehandlung in keinem Fall tödlich gewesen. Zwar seien sieben der zehn betroffenen Patienten mittlerweile verstorben. Fünf davon seien aber lediglich palliativ, also sterbebegleitend zur Schmerzlinderung behandelt worden, ihr Tod sei unabhängig von der Fehlbehandlung. Zwei weitere Patienten seien durch andere Ursache verstorben.

Für Irritationen sorgte bei all dem die Tatsache, dass ein Mitglied der Prüfkommission, die im November die schweren Vorwürfe erhoben hatte, sich offenbar selbst zeitgleich um eine Stelle in der von der Kommission so scharf gerügten Medizin-Physik des Asklepios Klinikum St. Georg beworben hatte, wie nun bekannt wurde. Dies lege den Verdacht nahe, dass hier ein Interessenkonflikt bestanden haben könnte, so Kimmig, der eine neutrale Begutachtung des Geschehens erschwert haben könne.

Gesundheitssenatorin kritisierte Schlamperei

Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks sagte, sie sei froh, dass nun Klarheit herrsche, zumal der Fall vor allem bei Patienten für große Verunsicherung geführt habe. „Es ist für die betroffenen und künftigen Patientinnen und Patienten eine gute Nachricht, dass nun wesentliche Vorwürfe gegen die Klinik ausgeräumt sind“, so Prüfer-Storcks. „Die Vorgänge haben durchaus zu Verunsicherung geführt. Allerdings sind auch die verbliebenen Kritikpunkte keine Kleinigkeiten. Patientinnen und Patienten haben ein Anrecht auf ordnungsgemäße Dokumentation und Nachsorge. Schlampereien bei der Patientenakte können Behandlungsfehler nach sich ziehen und sind inakzeptabel.“

Die Senatorin kündigte Konsequenzen aus dem Gutachten an: Neben der Einführung einer elektronischen Patientenakte für die Strahlentherapie habe Asklepios die vom Gutachter empfohlene externe Zertifizierung der Klinik für Strahlentherapie zur Verbesserung der Abläufe und Dokumentation zugesagt, so die Senatorin. Über die Ärztekammer sei bereits eine weitere umfassende Überprüfung der Strahlenklinik durch die Ärztliche Stelle veranlasst worden. Diese solle nun allerdings mit einem anderen Prüfteam durchgeführt werden.

In Zukunft müsse die Ärztliche Stelle zudem die Auswahl von Gutachtern und die Zusammensetzung der Prüfkommission mit der Gesundheitsbehörde abstimmen, so Prüfer-Storcks. Bei der Verpflichtung von Prüfern solle durch eine schriftliche Erklärung ausgeschlossen werden, dass Beziehungen zwischen Prüfern und der zu prüfenden Einrichtung bestehen, die zu einem Interessenkonflikt führen können.

Opposition fordert Offenlegung der Akten

„Die Häufung der Fehlbestrahlungen am AK St. Georg war keine Lappalie, sondern ein gravierender Fehler", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU, Birgit Stöver. Sie kritisierte die späte Informationen der Öffentlichkeit in dem Fall. "Um endlich ein vollständiges Bild dieses Vorgangs zu erhalten, muss die Behörde nun schleunigst alle internen Akten zu diesem Vorgang offenlegen", so Stöver. Dazu habe die CDU einen Antrag in die Bürgerschaft eingebracht.

Ärztekammer moniert fehlende Information

Asklepios begrüßte die Klarstellung durch das Gutachten und bedauerte die Fehler. Unterdessen hat die Ärztliche Stelle der Ärztekammer Kritk am Vorgehen der Behörde geäußert. Es sei schon erstaunlich, dass die Behörde das Gutachten der Öffentlichkeit vorstelle, ohne es vorab der Ärztlichen Stelle zur Kenntnis gegeben zu haben, sagt Ärztekammerpräsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery.