Nach Problemen bei der Bestrahlung von Krebspatienten in der Asklepios Klinik St. Georg – ein Interview über Abläufe und Qualitätskontrollen.
Hamburg. Fehler bei der Bestrahlung von zehn Krebspatienten im Rahmen einer sogenannten Brachytherapie in der Strahlentherapie der Asklepios-Klinik St. Georg in der Zeit zwischen 2010 und 2013 werfen viele Fragen auf. Noch ist ungeklärt, wie es dazu kommen konnte. Darüber, wie eine Strahlentherapie normalerweise abläuft, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und wie die Qualität überprüft wird, sprach das Abendblatt mit Prof. Frederik Wenz, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Mannheim, und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie.
Hamburger Abendblatt: Welche Formen der Strahlentherapie gibt es?
Prof. Frederik Wenz: Es gibt zwei Arten, die Teletherapie von außen und die Brachytherapie von innen. Die Teletherapie wird mit Linearbeschleunigern so durchgeführt, dass die Strahlung von außen durch die Haut auf den Tumor konzentriert wird. Bei der modernen Brachytherapie wird eine kleine radioaktive Kugel in die Nähe des Tumors gebracht, über natürliche Körperöffnungen oder durch eine Hohlnadel.
Wie läuft die Teletherapie ab?
Prof. Frederik Wenz: Bei der Teletherapie erfolgt nach Stellung der Indikation und Aufklärung des Patienten eine Computertomografie zur Bestrahlungsplanung, mit der ein dreidimensionales Modell des zu bestrahlenden Körperbereichs des Patienten erstellt wird. Auf der Basis dieses individuellen Modells berechnet man die Bestrahlung. Dann folgt eine Qualitätssicherungsschleife durch Medizinphysiker und schließlich die Freigabe durch den fachkundigen Arzt und den fachkundigen Physiker. Die Bestrahlung wird typischerweise fraktioniert, das heißt in mehreren kleinen Einzelportionen einmal am Tag über mehrere Wochen verabreicht.
Wie ist das Vorgehen bei der Brachytherapie?
Prof. Frederik Wenz: Bei der modernen Brachytherapie wird heute üblicherweise auch eine Computertomografie oder eine Kernspintomografie zur Bestrahlungsplanung herangezogen. Anschließend wird die Dosisverteilung berechnet. Die Brachytherapie arbeitet mit höheren Einzeldosen als die Teletherapie, die je nach Indikation in einer bis fünf Sitzungen appliziert werden. In der Regel erhält der Patient eine Therapie pro Woche, nur die Brachytherapie bei Brustkrebs wird teilweise täglich angewendet. Die Strahlenquelle wird in den Körper hineingebracht, dort für eine bestimmte Zeit belassen und wieder herausgeholt. Die Strahlendosis wird in der Bestrahlungsplanung festgelegt. Man weiß, welche Dosis pro Minute die Strahlenquelle abgibt und kann daraus ableiten, wie viele Minuten die Bestrahlung dauern muss.
Wer stellt die Indikation?
Prof. Frederik Wenz: Ob für einen Patienten eine Strahlentherapie angezeigt ist, wird in einem sogenannten Tumorboard entschieden. Das ist ein Gremium, in dem Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen den Krankheitsfall eines Patienten und das therapeutische Vorgehen besprechen. Zu diesen Fachleuten gehören Operateure, medizinische Onkologen, Strahlentherapeuten, Pathologen und Radiologen. Die Zusammensetzung der Tumorboards richtet sich nach Vorgaben der Krebsgesellschaft.
Bei welchen Erkrankungen wird die Strahlentherapie angewandt?
Prof. Frederik Wenz: Bei der Teletherapie handelt es sich in 90 Prozent der Fälle um bösartige Tumoren. Am häufigsten wird sie bei Brust-, Prostata-, Lungen- und Darmkrebs angewandt, auch bei Kopf-Hals-Tumoren und Gebärmutterkrebs. Die restlichen zehn Prozent der Patienten leiden an gutartigen Tumoren oder chronischen Reizzuständen, etwa Entzündungen. Mit der Brachytherapie werden vor allem Tumoren der Brust und der Prostata behandelt.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Prof. Frederik Wenz: Man geht davon aus, dass weniger als fünf Prozent dauerhafte Probleme nach einer Strahlentherapie haben. Das kann – je nachdem, welches Organ bestrahlt wurde – sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Zum Beispiel kann Übelkeit auftreten, wenn im Bauch bestrahlt wird oder Haarausfall bei Bestrahlungen des Kopfes. Außerdem kann nach allen Bestrahlungen ein Müdigkeitssyndrom auftreten. Aber dank der modernen Techniken, mit denen die Tumoren immer gezielter behandelt werden und gesundes Gewebe geschont wird, ist die Strahlenbelastung heute deutlich geringer als früher.
Gibt es in der Behandlung allgemeingültige festgelegte Abläufe?
Prof. Frederik Wenz: Mittlerweile gibt es für viele Erkrankungen Leitlinien für die Diagnostik und Therapie, die von den jeweiligen Fachgesellschaften erstellt werden. In der Krebstherapie gibt es die meisten Leitlinien. Fast alle Aspekte der Therapie sind in diesen Leitlinien festgelegt. Dabei sind geringe Abweichungen möglich, weil individuelle Patientenfaktoren mit zu berücksichtigen sind. Diese Leitlinien sind Empfehlungen für die behandelnden Ärzte und die beteiligten Medizinphysiker. In begründeten Ausnahmefällen kann man von den Leitlinien abweichen. Das muss aber in den Tumorboards besprochen werden.
Wie wird die Qualität der Strahlentherapie kontrolliert?
Prof. Frederik Wenz: Es gibt kein anderes Fach in der Medizin, in dem so viele Kontrollen von außen vorgenommen werden. Die Strahlentherapie ist ein sehr reguliertes Fach. Die Strahlentherapeuten müssen ihre Fachkunde alle fünf Jahre auffrischen, und die Geräte werden regelmäßig gewartet. Alle zwei Jahre gibt es Überprüfungen durch die Ärztlichen Stellen an den zuständigen Ärztekammern. Und die zuständige Stelle in der jeweiligen Landesregierung als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde führt regelmäßig Begehungen durch. Wenn die Strahlentherapie Teil eines zertifizierten Krebstherapiezentrums ist, werden auch im Rahmen der Zertifizierung regelmäßig Kontrollen durchgeführt.