Opposition veröffentlicht Prüfbericht und wirft Senat „Vertuschung“ vor. „Wahlkampftheater“, kontert die SPD. In der Asklepios Klinik St. Georg wurden Krebspatienten falsch bestrahlt.

Hamburg. Wahlkampf heißt auch so, weil in dieser Zeit normalerweise jede Partei für sich um Zustimmung kämpft. Umso bemerkenswerter waren die Ereignisse am Freitag: Ganze zwei Tage vor der Wahl haben sich alle vier Oppositionsparteien in der Bürgerschaft zusammengetan und bei einem gemeinsamen Auftritt schwere Vorwürfe gegen den Senat erhoben.

Dabei ging es um den Strahlenskandal an der Asklepios Klinik St. Georg. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) habe auf die Vorfälle, über die ihre Behörde seit März 2013 informiert war, nicht schnell genug reagiert, habe Staatsanwaltschaft und Ärztekammer nicht eingeschaltet, weder Bürgerschaft noch Öffentlichkeit informiert und, nachdem der Fall am 2. Februar durch einen Medienbericht öffentlich wurde, die Wahrheit „vertuscht“, so die Kritik von CDU, Grünen, FDP und Linken. Sie fordern den Senat zur Vorlage aller Akten auf.

„Unwürdiges Wahlkampftheater der Opposition“, wetterte daraufhin SPD-Gesundheitsexperte Martin Schäfer – nicht nur, weil er die Vorwürfe für überzogen und zum Teil unberechtigt hält, sondern auch, weil sie am Freitagnachmittag, vier Stunden vor einer extra einberufenen Sondersitzung des Gesundheitsausschusses, erhoben wurden. Das zeige, dass die Opposition mehr an Wahlkampf als an Aufklärung interessiert sei. In der Sitzung am Abend wies auch die Senatorin die Anschuldigungen zurück: „Wir haben nichts zu verbergen.“

Doch der Reihe nach: Im Hermann-Holthusen-Institut für Strahlentherapie der Asklepios Klinik St. Georg wurden zwischen 2010 und 2013 zehn Patienten im Rahmen einer „Brachytherapie“, bei der die Strahlenquelle nah an den Tumor herangeführt wird, falsch bestrahlt. Sie erhielten zum Teil nur ein Zehntel der vorgesehenen Dosis, vermutlich, weil aus Versehen die Tagesdosis als Gesamtdosis programmiert wurde. Sieben der schwer Krebskranken sind mittlerweile verstorben.

Heidrun Schmitt spricht von „schwerem ärztlichen Fehler“


Inwiefern die falsche Bestrahlung darauf Einfluss hatte, ist zwar ungeklärt, aber für Heidrun Schmitt (Grüne) war klar: „Die Therapie wurde ja wohl in der Hoffnung auf Besserung oder Schmerzlinderung gemacht.“ Wenn es dazu nicht gekommen sei, sei das ein „schwerer ärztlicher Fehler“. Wieland Schinnenburg (FDP), selber Arzt, wollte nicht so weit gehen: Er maße sich nicht an, den Ärzten Behandlungsfehler vorzuwerfen, aber der Verdacht sei da und müsse überprüft werden. Birgit Stöver (CDU) warf der Senatorin vor, Informationen „nur scheibchenweise“ herauszurücken und betonte: „Ein Amtseid ist kein Schweigegelübde.“

Die Gesundheitsbehörde war am 1.März 2013 von Asklepios über die Fälle informiert worden und hatte am 19. März das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informiert. Dessen Prüfbericht, obwohl nach wenigen Wochen fertig, will die Behörde erst im Oktober 2014 erhalten haben. Darin ist klar von einem „Missverständnis des Anwenders“ die Rede, also einem Fehler der Klinik.

Da diese aber schon im März 2013 in Abstimmung mit der Behörde Maßnahmen ergriffen hatte, den Fehler abzustellen und ohnehin seit Sommer 2014 keine Brachytherapie mehr durchführte, sah man in der Behörde zunächst keinen weiteren Handlungsbedarf. Dass sie nicht schon 2013 die Staatsanwaltschaft und die „Ärztliche Stelle zur Qualitätssicherung nach der Röntgen- und der Strahlenschutzverordnung“ der Ärztekammer unterrichtet habe, hatte die Behörde bereits vor einigen Tagen als Fehler eingeräumt. Prüfer-Storcks wiederholte das im Ausschuss: Es gebe zwar keine Pflicht, diese Stellen in jedem Fall einzuschalten. Aber „aus heutiger Sicht“ wäre das besser gewesen.

Besagte „Ärztliche Stelle“ hatte 2014 jedoch routinemäßig in St. Georg die Strahlentherapien der Jahre 2003 bis 2013 überprüft und war dabei auf die Unterbestrahlungen und weitere Fehler gestoßen. Teile ihres Berichts machten CDU, Grüne, FDP und Linke am Freitag öffentlich, und dort finden sich erschreckende Befunde: „Unerklärlich“ sei es, warum Ärzten und Physikern die fehlerhafte Bestrahlung nicht aufgefallen sei. Die Klinik habe auf Nachfrage nicht einmal sagen können, ob der verantwortliche Physiker die notwendigen Kenntnisse hatte.

Auch Kersten Artus ist entsetzt und empört“


Sie wisse lediglich, „dass er für die Teilnahme an dieser Fortbildung Reisekosten abgerechnet“ habe, heißt es. Ferner sei oft nicht klar, „welcher Arzt die Gesamtverantwortung für die Strahlentherapie trägt“, die Nachsorge sei vernachlässigt worden, OP-Berichte fehlten und die Akten seien „unübersichtlich“. Zitat der „Ärztlichen Stelle“: „So sind Fehler programmiert.“ Diesen Bericht erhielt die Gesundheitsbehörde am 19. November 2014 und beauftragte daraufhin ihrerseits Experten mit einem Gutachten – viel zu spät, wie die Opposition meint.

„Ich bin entsetzt und empört“, sagte Kersten Artus (Linkspartei) und forderte „Konsequenzen für die Ärzteschaft bei Asklepios“. Die drohen ohnehin von anderer Seite, denn mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen drei Ärzte und einen Physiker der Klinik wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung und fahrlässigen Tötung. Wegen dieser Ermittlungen könne sie derzeit nicht alle Dokumente veröffentlichen, sagte die Senatorin im Ausschuss, betonte jedoch auch, dass nicht jeder Behandlungsfehler gleich einen Straftatbestand darstelle. Grundsätzlich gelte jedoch: „Die Gesundheitsbehörde hat unmittelbar nach Meldung der Unterdosierungen alles veranlasst, dass ein solcher Fall nicht wieder auftreten kann.“

Asklepios teilte am Freitag mit, man könne einige Vorwürfe der „Ärztlichen Stelle“ nicht nachvollziehen, begrüße aber das von der Behörde beauftragte Gutachten und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. „Die rasche Klärung der Geschehnisse liegt im Interesse aller Beteiligten.“ Nach Abendblatt-Informationen prüft der Klinikkonzern, wegen der Veröffentlichung des Berichts Strafanzeige gegen die Abgeordneten zu stellen, da er zumindest verschlüsselte Patientendaten enthält.