Hamburg . Die Zahl der Frauen mit Meisterbrief hat seit 2012 um 30 Prozent zugenommen. Die Kammer unterstützt diesen Trend.

Maren Thobaben füllt die Mürbeteigherzen mit Marmelade. „Das ist ein Teegebäck, das fast in Vergessenheit geraten ist und viel Arbeit macht“, sagt sie. Das Gebäckstück besteht aus zwei Teilen. Es wird auch zu ihrem Gesellenstück gehören, denn sie bereitet sich auf ihren Lehrabschluss als Konditorin im Juni vor und will dann gleich noch mit der Meisterausbildung beginnen. Denn Zeit hat Thobaben nicht mehr, sie ist 38 Jahre alt und hat noch viel vor.

Die Diplom-Medienwissenschaftlerin, die bereits ein Jahrzehnt für den Reiseveranstalter TUI und große Banken Online-Konzepte entwickelt hat, wollte noch einmal etwas ganz anderes machen, mit den Händen, körperlicher Anstrengung und am Ende des Tages sehen können, was sie geschaffen hat.

Frauen wie Maren Thobaben sind prädestiniert für ein Projekt der Handwerkskammer Hamburg, das dem Handwerk zu mehr Meisterinnen verhelfen will. Schon jeder vierte Handwerksbetrieb in der Hansestadt wird von einer Chefin geleitet. Der Anteil der Frauen an der Meisterausbildung stieg seit 2012 um 22 Prozent. Die Zahl der Frauen mit Meisterbrief nahm sogar um 30 Prozent zu. Im vergangenen Jahr bestanden exakt 101 Frauen die Meisterprüfung in der Stadt, vor zehn Jahren war es nur gut die Hälfte.

„Wir wollen vor allem noch Frauen aus den männerdominierten Berufen des Kfz-, Metall- und Elektrohandwerks gewinnen“, sagt Johanna von Blanc, Leiterin des Projekts Integrierte Nachwuchsgewinnung im Handwerk (INa). Denn in diesen Gewerken gibt es nur wenige Frauen in den Meisterklassen. „Wir begleiten die Frauen bei verschiedenen Themen, bieten auch ein Einzelcoaching an“, sagt von Blanc. Oft seien Interesse und Bereitschaft bei den Frauen schon groß. „Es fehlt nur noch der Anstoß“, sagt von Blanc.

So wie bei der Kfz-Mechatronikerin Kim-Marie Schlüter, die Anfang August ihre Meisterausbildung in Vollzeit beginnt. Die 24-Jährige arbeitet beim BMW-Händler B&K in Heimfeld. „Ohne den Anstoß des Projektes INa hätte ich sicherlich noch einige Zeit gewartet mit der Meisterausbildung, denn das geht ja auch ins Geld“, sagt Schlüter

Je nach Gewerk kosten die Meisterausbildungen zwischen 4000 und 9000 Euro. Doch Schlüter und Thobaben wie auch 13 andere Gesellinnen erhalten von der Paul-Wilken-Stiftung und der Carl-Behrs-Stiftung 2500 Euro pro Person als Zuschuss für die Meisterausbildung. „Wir brauchen im Hamburger Handwerk mehr Frauen auch als Führungskräfte“, sagt Kammerpräsident Josef Katzer. „Frauen setzen mit ihrem Führungsstil neue Akzente und bringen frischen Wind in die Unternehmenskultur.“

Für Thobaben war es zunächst ein Problem, erst einmal eine Lehrstelle zu finden. Es kamen nur Absagen und am Telefon ließen es die Chefs nicht an Deutlichkeit fehlen: zu alt und überqualifiziert. Von der Online-Konzepterin zur Konditorin? „Ich habe sehr krasse Ablehnungen erfahren“, sagt Thobaben. Das schreckte sie aber nicht ab, denn sie wollte unbedingt einen Neuanfang. Zehn Jahre als Mediengestalterin waren genug und die Unzufriedenheit zu groß. „Ich wollte sehen, was ich am Ende des Tages geschaffen habe und es sollte etwas mit Lebensmitteln zu tun haben“, sagt sie.

Auch Nadine Eckarth, eine weitere Meisteranwärterin, begeistert sich für das Handwerk. „Ich wollte handwerklich arbeiten und brauche den Kundenkontakt“, sagt sie. Die gelernte Malerin und Lackiererin, die im Meisterbetrieb Denzau in Reinbek arbeitet, liebt den Umgang mit verschiedenen Materialien. „Es gibt Lasuren für die Wand, die fühlen sich an wie Stoff“, sagt sie. „Der Meisterbrief war für mich schon ein Thema, aber ohne die Förderung hätte ich noch eine größere Summe ansparen müssen“, sagt Eckarth, die im August ihre neunmonatige Meisterausbildung in Vollzeit beginnen wird.

Bevor Thobaben ihr Arbeitsleben noch einmal komplett umkrempelte, suchte sie sich professionellen Rat. „Ich brauchte einen Schiedsrichter, denn es ging schließlich ja auch um die finanzielle Existenz.“ Mit ihrem Mann, der selbstständig im Marketingbereich arbeitet, habe sie ausgerechnet, was sie sich von seinem Einkommen und einer Ausbildungsvergütung noch leisten können und damit einen Monat gelebt. „Es kann sogar von Vorteil sein, wenn man sich einschränken muss“, sagt Thobaben.

Schließlich fand sie in der Konditorei Peukert einen Ausbildungsplatz. Konditormeister Olaf Peukert, nicht viel älter als sie, fürchtete auch Autoritätsprobleme. „Denn Frau Thobaben brachte schon eine Menge Lebenserfahrung mit, das ist ja nicht mit einem 17-jährigen Schulabgänger zu vergleichen, den man noch etwas formen kann“, sagt Peukert, ließ sich aber von ihrem Probearbeiten überzeugen.

In naher Zukunft steht in Hamburg die Übergabe von 5000 Betrieben an

Dennoch war der Umstieg nicht einfach. „Der größte Schock war die körperliche Belastung und die Umstellung im Lebensrhythmus“, sagt Thobaben. „Ich konnte mich abends nicht mehr mit Freunden auf ein Bier treffen.“ Gleichzeitig profitierte sie aber von ihrer bisherigen Ausbildung. „Die Selbstorganisation ist besser als bei jüngeren Menschen und die Erfahrung des Alters bringt Abgeklärtheit“, sagt Thobaben. Ihre Lehrzeit ist von drei auf zwei Jahren verkürzt wurden.

„Im Rahmen der Aufstiegsberatung werden Gesellinnen gezielt angesprochen und dabei unterstützt, die Meisterprüfung abzulegen“, sagt von Blanc. Thobaben hat das schon während ihrer Ausbildung erfahren. „Wir wollen herausfinden, was sich in den Betrieben und dem Umfeld verändern muss, damit mehr Frauen in die Meisterklassen finden“, sagt von Blanc. Die Zeit drängt, denn das vom Europäischen Sozialfonds geförderte Projekt ist bis Dezember 2016 befristet. In den ersten sechs Monaten ihrer darauf folgenden Berufstätigkeit werden die Meisterinnen weiter begleitet. Es geht auch um Führungsthemen in einer von Männern dominierten Arbeitswelt. Erfahrung damit haben die Frauen schon, denn auch in ihren Betrieben sind sie in der Minderheit. „Das ist aber kein Problem“, sagt Eckarth. „Wenn es mal etwas sehr Schweres zu tragen gibt, unterstützen mich die Männer und bei den Kunden kommt eine Malerin auch gut an.“

Mit dem Meisterbrief in der Tasche bieten sich viele Perspektiven. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, mich selbstständig zu machen“, sagt Eckarth. Die Bedingungen dafür sind günstig. In jedem dritten Hamburger Handwerksbetrieb ist der Inhaber 55 Jahre oder älter. Damit steht in naher Zukunft die Übergabe von 5000 Betrieben an. Kfz-Mechatronikerin Schlüter möchte sich nicht selbstständig machen, weil sie das in ihrer Branche als zu risikoreich ansieht. „Da ist die Konkurrenz doch schon groß. Ich möchte als Gutachterin oder TÜV-Prüferin arbeiten.“ Auch dafür braucht man den Meisterbrief.

Eine fundierte Ausbildung ist Konditorin Thobaben wichtig. 2016 hofft sie den Meisterbrief in der Tasche zu haben. „Ich möchte später selbst ausbilden“, sagt sie. In jedem Fall möchte sie sich selbstständig machen. Ob sie einen Betrieb übernimmt oder ein neues gastronomisches Konzept erprobt, ist offen. „Ich kann mir gut vorstellen, etwas mit Partygebäck zu machen“, sagt sie. Eine Art Cateringservice für süße Produkte. Auch an Teegebäck, ihre Spezialität, denkt sie dabei. Ob sich ihre neuen Kreationen auch online vermarkten lassen und damit eine Verbindung zum alten Beruf ergeben, wird sich zeigen. Ihr Chef hat keine Zweifel: „Sie wird die Meisterprüfung schaffen und ihren Weg gehen.“