Hamburg. Benjamin Otto wird kein Vorstandsamt im Familienkonzern übernehmen. Der 39-Jährigen will strategisch arbeiten und hat andere Pläne.

Eine der spannendsten Personalien in der Hamburger Wirtschaft ist geklärt. Lange wurde darüber gerätselt, welche Rolle Benjamin Otto im gleichnamigen Familienkonzern übernehmen wird. Gestern verkündete der Sohn des langjährigen Vorstandschefs und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Otto seine Entscheidung. Der 39-Jährige wird zum 1. Juni gestaltender Gesellschafter der Otto Group. Auf den von vielen erwarteten Schritt in die operative Führung des weltweit zweitgrößten Onlinehändlers verzichtet er. „Ich werde nicht in den Vorstand der Otto Group wechseln“, sagt Otto, der auf Nachfrage auch für die Zukunft einen solchen Posten ausschloss. Stattdessen wird er in diverse Aufsichtsgremien des Konzerns und von Tochtergesellschaften einziehen. Otto: „Wenn man im operativen Geschäft tätig ist, hat man zu selten die Zeit, strategisch zu denken.“

Operativ tätig war Otto seit mehr als zehn Jahren. Nach seiner Lehre zum Bankkaufmann studierte er in London an der European Business School und machte sich mit einem Unternehmen für intelligente Haustechnik selbstständig. Im Herbst 2012 stieg er in das Familienunternehmen ein, das sein Großvater Werner 1949 gegründet hat. Das Start-up Collins war das erste große Projekt, das er im Konzern betreute. Und zur Vorstellung dessen erster Bilanz hatte das Unternehmen am Montag eigentlich in die neuen Firmenräume an der Domstraße geladen – und im Anschluss mit der Personalie überrascht.

„Wir sind aus den Kinderschuhen mit Collins herausgewachsen“, sagt Otto. Die von ihm und Mitgeschäftsführer Tarek Müller gegründete Fashion-Plattform sei sehr erfolgreich gestartet. Der Internetshop richtet sich an Modebewusste. Rund vier Fünftel der Nutzer sind Frauen. Sie können ihre Vorlieben in Bezug auf Stil oder Marken in ihrem Profil eingeben und erhalten dadurch personalisierte Angebote. Spezialisten entwickeln ihre eigenen Unterabteilungen (Apps) und werden per Provision an den Verkäufen beteiligt.

In den ersten zehn Monaten des Rumpfgeschäftsjahres (28. Februar) sei aus dem Stand ein im unteren Bereich zweistelliger Millionenumsatz erzielt worden. Nähere Angaben machte Otto nicht, aber: „Ich kenne kein anderes E-Commerce-Start-up im europäischen Raum, das im ersten Jahr einen vergleichbaren Umsatz erreicht hat.“ Auch künftig sei ein hohes Wachstumstempo geplant: „Bereits im Geschäftsjahr 2016/17 wollen wir einen dreistelligen Millionenumsatz erzielen.“ An diesem Ziel wird sich künftig Müller messen lassen, der ab Juni den Collins-Vorstandsvorsitz von Otto übernimmt. Eine halbe Million aktive Kunden habe man bisher gewonnen. Müller findet das „richtig, richtig krass“. Er wird die Expansion vorantreiben. Ein Markttest in Österreich sei erfolgreich verlaufen, dort soll das Geschäft ausgebaut werden. Im Herbst wird die deutschsprachige Schweiz ins Visier genommen. Spätestens in vier Jahren soll Collins mit seinen 200 Mitarbeitern wie geplant profitabel sein, sagt Otto.

Gewinn erwirtschaften – ein Ziel, an dem der Konzern erstmals in der Firmengeschichte gescheitert sein könnte. Dem 54.000 Mitarbeiter starken Handelshaus droht für das vergangene Geschäftsjahr ein Verlust. Der Umsatz legte nur leicht auf zwölf Milliarden Euro zu. Vor allem der Rubelverfall in Russland und der Umbau des Frankreich-Geschäfts werfen Schatten auf die Bilanz. Unabhängig davon spricht Otto von dem richtigen Zeitpunkt für seine neue Rolle im Konzern. „Ich stehe für die Zukunft von Otto.“

Mit Vater Michael Otto bereitete er den Schritt ein halbes Jahr lang vor

Bei einigen Gesellschaften machte er Schwächen im Onlinegeschäft aus. Ein Bereich, in dem er seine Stärken sieht. „Ich war wahrscheinlich einer der ersten Nutzer des Internets“, erinnert sich Otto. „Als Vertreter einer jungen Otto-Generation fühle ich mich verpflichtet, meinen Teil beizutragen, die Otto Group vollständig ins digitale Zeitalter zu überführen und ihre Innovationskraft zu stärken.“

Ein halbes Jahr lang, seit vergangenem Herbst, habe er sich sehr intensiv mit seinem Vater Michael ausgetauscht, mit dem er zusammen Strategien fürs digitale Zeitalter entwickeln will. „Wir treffen uns mindestens im Zwei-Wochen-Takt“, sagt Benjamin Otto im Gespräch mit dem Abendblatt. Es sei nun sein persönlicher Wunsch gewesen, seinen finalen Weg im Konzern einzuschlagen. Er könne sich gut vorstellen, die wichtigsten Entscheidungsträger jede Woche einmal zu treffen. Mit konkreten Vorschlägen hält er sich traditionell hanseatisch noch zurück. Nur soviel: Die flachen Hierarchien, der sehr kollegiale Umgang mit den Mitarbeitern und das flexible Agieren wie beim Projekt Collins seien auch für den Konzern erstrebenswerte Ziele.

Otto freut sich auf seine vielen künftigen Tätigkeiten. Ab Juni ist er im Gesellschafterrat der Otto Group vertreten. Zeitgleich übernimmt er vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Rainer Hillebrand den Beiratsvorsitz bei Collins und zieht in den Beirat der Otto Group Beteiligungsgesellschaften eVentures, eVentures Growth Fund und Project A ein. Aktiv bleibt der Unternehmer im Beirat seiner eigenen Firmen BPO Capital und Evoreal, in seiner Stiftung HHI Holistic Health Institute und als Stimmberechtigter im Stiftungsrat der Michael Otto Stiftung, die seit Kurzem mehr als die Hälfte der Anteile an der Otto Group hält.

Der Terminkalender wird wohl noch voller werden. Ein Problem sieht Benjamin Otto darin nicht: „Menschen, die mich kennen, wissen: Eine Aufgabe würde mir nicht reichen.“ Und er wirkt ein wenig erleichtert, dass seine Rolle im Familienkonzern nun für die Öffentlichkeit klar ist. „Ich fühle mich richtig gut, weil ich weiß, dass die Entscheidung ja auch erwartet wurde.“