Michael Otto spricht im Abendblatt über die aktuellen Probleme und künftigen Chancen der Otto Group.

Die Hamburger Otto Group blickt auf ein schwieriges Jahr 2014 zurück. Die Umsätze sind kaum gestiegen. Erstmals in der langen Unternehmensgeschichte drohen sogar Verluste. Das Abendblatt sprach mit Aufsichtsratschef Michael Otto über die aktuelle wirtschaftliche Situation, Zukunftspläne und die Gründe für seine Entscheidung, die milliardenschwere eigene Mehrheitsbeteiligung an der Otto Group in eine Stiftung zu geben.

Hamburger Abendblatt: Die Otto-Gruppe befindet sich in einer schwierigen Situation. Der Umsatz stagniert nahezu, erstmals in der Unternehmensgeschichte könnte ein Verlust angefallen sein. Wie prekär ist die Lage?

Michael Otto: Die Lage ist überhaupt nicht prekär, wir haben hohe dreistellige Millionenbeträge in neue Geschäftsmodelle wie Collins, Yapital und Blue Yonder sowie in unsere IT und Logistik getätigt und haben in vielen Konzerngesellschaften ordentliche Gewinne erwirtschaftet. Aber das Ende Februar abgelaufene Geschäftsjahr 2014/15 ist bei einigen Gesellschaften sicher enttäuschend verlaufen. Das hatte vor allem mit den laufenden Restrukturierungen in Frankreich, aber auch mit der ausgesprochen schwachen Entwicklung in Russland zu tun. Dort sind wir zwar Marktführer im Distanzhandel, hatten aber unter dem starken Rubel-Verfall in Folge der Ukraine-Krise zu leiden.

In Deutschland ist es für die Gruppe aber kaum besser gelaufen.

Otto: Wir haben einen Umsatzzuwachs erzielen können und bei einigen Gesellschaften eine wirklich gute Entwicklung erreicht. Aber als größter Textileinzelhändler Deutschlands konnten auch wir uns nicht dem schwachen Modemarkt entziehen. Bei unseren Tochtergesellschaften SportScheck und dem Spielzeug- und Modeportal Mytoys gab es ärgerliche Entwicklungen, die zum Teil auf Managementfehler zurückzuführen sind. So ist bei SportScheck die Umstellung auf ein neues IT- und Logistik-System alles andere als optimal gelaufen. Das sind aber einmalige Probleme, die wir mittlerweile in den Griff bekommen haben.

Mit der Kernmarke Otto scheinen Sie ebenfalls keine überzeugende Antwort auf Konkurrenten wie Amazon und Zalando zu finden. Seit Jahren verlieren Sie gegenüber der Konkurrenz Marktanteile.

Otto: Das ist nicht richtig. Wir vergleichen uns mit den Entwicklungen in den für uns relevanten Einzelhandelsmärkten und da haben wir insgesamt unsere Position ausbauen können. Auch im Onlinegeschäft bewegen wir uns knapp mit dem Marktwachstum. Seit Jahren sind wir mit hohen Investitionen dabei, alle unsere Konzernmarken auf ein digitales Geschäftsmodell umzustellen. Mit der Marke Otto erwirtschaften wir heute mehr als 80 Prozent des Umsatzes im Netz und sind nachhaltig profitabel. Tochtergesellschaften wie Mytoys haben ihre Erlöse zuletzt um fast elf Prozent steigern können.

Mytoys hat aber letztlich auch keinen Gewinn erwirtschaftet.

Otto: Das haben andere Online-Konkurrenten auch nicht. Da müssen Sie beim Vergleich schon fair bleiben.

Wird unterm Strich für das Geschäftsjahr 2014/15 denn ein Verlust für die Otto Group stehen?

Otto: Das kann ich jetzt noch nicht sagen, ich will der Bilanz-Pressekonferenz im Mai nicht vorgreifen.

Aber der Gewinn ist schon deutlich eingebrochen.

Otto: Der Vorsteuergewinn ist aufgrund der hohen Investitionen und einiger Sonderentwicklungen wie gerade auch in Russland empfindlich zurückgegangen, das ist leider korrekt.

Ende des kommenden Jahres läuft der Vertrag des jetzigen Vorstandsvorsitzenden Hans-Otto Schrader aus. Wird sein Vertrag verlängert, oder wird es einen Wechsel geben?

Otto: Das wird der Aufsichtsrat im November dieses Jahres entscheiden.

Als möglicher Nachfolger von Herrn Schrader wird Alexander Birken gehandelt, der bislang die Kernmarke Otto und das Russland-Geschäft verantwortet.

Otto: Wir haben eben ein gutes Vorstandsteam, aber auch hier verweise ich auf die Entscheidungen im Herbst.

Seit Herr Schrader im Jahr 2007 den Chefsessel von Ihnen übernommen hat, ist der Umsatz von 15 auf zwölf Milliarden Euro zurückgegangen, der Gewinn von damals 507 Millionen Euro hat sich quasi in Luft aufgelöst. Zufrieden können Sie damit nicht sein.

Otto: Als Unternehmer ist man nie zufrieden. Natürlich gibt es immer Verbesserungsmöglichkeiten. Der Vergleich der Umsatzzahlen führt aber in die Irre, weil wir in den letzten Jahren große Beteiligungen wie die an dem Großhändler Fegro/Selgros veräußert haben. Und zur Ertragssituation: Noch 2013/14 haben wir einen sehr ordentlichen Gewinn erwirtschaftet, nur das letzte Jahr war schlecht.

Manche Kritiker werfen Ihnen vor, Sie ließen die Zügel als Aufsichtsratsvorsitzender zu sehr schleifen und scheuten sich vor harten Einschnitten.

Otto: Im Unternehmen werde ich eher als Treiber wahrgenommen, dem vieles zu langsam geht und der beispielsweise auf eine noch schnellere Digitalisierung drängt.

Andere Unternehmer hätten in der jetzigen Situation aber vielleicht härter reagiert, etwa mit einem rigiden Sparprogramm.

Otto: Wir nehmen Einschnitte und Umstrukturierungen immer dann vor, wenn diese notwendig sind. Dabei achten wir aber auf sozialverträgliche Lösungen. Das zeichnet uns aus und war auch immer erfolgreich. Manche meinen, die richtige Führung liege im Kahlschlag. Aber das ist ein Irrglaube. Viel wichtiger ist es, mit Augenmaß in neue Strukturen, Prozesse und neue Technologien zu investieren, um für die Zukunft gewappnet zu sein.

Im kommenden Frühjahr läuft auch der Vertrag des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden, Rainer Hillebrand, aus, der das E-Commerce-Geschäft verantwortet. Rückt auf diesem Posten Ihr Sohn Benjamin Otto nach?

Otto: Mein Sohn führt derzeit ausgesprochen erfolgreich das Projekt Collins, mit dem wir ganz neue Wege im Onlinehandel mit Mode gehen und das sich hervorragend über Plan entwickelt. Die weiteren Schritte im Unternehmen überlasse ich ihm selbst. Grundsätzlich besteht für ihn die Möglichkeit, in den Vorstand aufzurücken oder aber eine aktive Rolle in den Aufsichtsgremien zu spielen.

Wann wird er sich entscheiden?

Otto: Das wird er sicherlich in absehbarer Zukunft tun.

Sie selbst waren 28 Jahre alt, als Sie in den Vorstand gegangen sind, Benjamin ist jetzt 39. Wird es da nicht Zeit?

Otto: Die Situation war damals eine völlig andere. Otto war ein wesentlich kleineres, in Deutschland operierendes Einzelunternehmen und kein weltumspannender Konzern wie die Otto Group heute.

Haben Sie eigentlich schon Pläne, wie Sie mit Ihren Anteilen an der Otto Group langfristig verfahren wollen?

Otto: Ja, die habe ich. Ich habe meine Mehrheitsbeteiligung an der Otto Group in eine neue gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts übertragen – die Michael Otto Stiftung.

Wie hoch ist der Anteil genau, und welchen Wert hat die Beteiligung?

Otto: Der Anteil beträgt mehr als 50 Prozent an der Otto Group, und es handelt sich um einen Wert in Milliarden-Euro-Größenordnung.

Warum tun Sie das?

Otto: Ich habe mich sehr lange mit der Frage beschäftigt, wie ich die Unternehmensgruppe langfristig sichere – und eine gemeinnützige Stiftung ist genau in diesem Sinne. Zum einen möchte ich damit sicherstellen, dass Otto langfristig ein Familienunternehmen bleibt und die Mehrheit nicht an fremde Investoren veräußert wird. Mit den jährlichen Ausschüttungen der Stiftung sollen zudem kulturelle, soziale, ökologische oder mildtätige Projekte gefördert werden. Ziel ist es aber auch, weitere Anteile an der Otto Group hinzuzukaufen.

Wer leitet die Stiftung?

Otto: Die Stiftung wird von einem fünfköpfigen Stiftungsrat gelenkt, der aus drei Familienmitgliedern und zwei familienfremden Experten besteht. Den Vorsitz habe zunächst einmal ich selbst übernommen. Entscheidungen über die Verwendung der Ausschüttungen müssen mehrheitlich getroffen werden. Zudem ist in der Satzung festgeschrieben, dass der Unternehmenssitz der Otto Group auf Dauer in Hamburg bleiben muss.

Das ist eine sehr lokalpatriotische Entscheidung.

Otto: Das kann man so sehen. In Hamburg ist unser Unternehmen von meinem Vater gegründet worden, ich habe es von hier aus international weiterentwickeln können, die Mitarbeiter unserer Zentrale leben weitgehend in Hamburg und die Stadt hat sich immer fair gegenüber uns verhalten. Man muss auch einmal etwas zurückgeben. Zudem halte ich nichts davon, wenn Unternehmen nur um Steuern zu sparen, ihren Firmensitz nach Irland oder Luxemburg verlagern.

Unter Hamburg verstehen Sie konkret die Stadt – und nicht die Metropolregion.

Es ist das Gebiet der Hansestadt gemeint.

Wie haben Ihre Kinder auf die Entscheidung reagiert? Schließlich entgeht ihnen damit ja ein großer Teil eines riesigen Erbes. Und auch von den künftigen Ausschüttungen profitieren sie nicht mehr direkt.

Otto: Meine Kinder haben die Entscheidung nicht nur mitgetragen, sondern ohne Wenn und Aber begrüßt. Das hat mich sehr gefreut. Wir alle sind uns einig, dass jeder ein gewisses Vermögen hat und dass es hier gemeinsam um die Zukunft des Unternehmens für die kommenden Generationen geht.

Haben Sie Visionen oder konkrete Ideen, was mit den Ausschüttungen der Stiftung geschehen soll? Vielleicht eine zweite Elbphilharmonie oder ein neues Theater, das Stücke spielt, die vor allem Sie mögen?

Otto: (lacht) Nein, ich denke weniger in die Richtung großer, prunkvoller Vorhaben mit Symbolcharakter. Mir geht es zum Beispiel um Projekte, die Kindern und Jugendlichen zugute kommen wie unser Musikprojekt YoungClassX. Aber selbstverständlich auch um sinnvolle Vorhaben für den Umweltschutz.

Wie hoch wird die erste Ausschüttung ausfallen?

Otto: Wegen der schwierigen geschäftlichen Entwicklung wird es in diesem Jahr vermutlich keine Ausschüttung geben. Das dürfte sich in den Folgejahren aber wieder ändern.