Aufgrund schwacher Wachstumsraten im Onlinehandel investiert der Hamburger Handelskonzern Otto jetzt vermehrt in junge Internetfirmen.
Hamburg. Die Büros der Otto-Tochtergesellschaft Eventures an den Hohen Bleichen atmen noch die Atmosphäre des vergangenen Jahrhunderts. Üppige Stuckdecken, abgezogene Dielen, ein grün-gelber Kachelofen in der Ecke des Konferenzraums. Nicht gerade die Umgebung, in der man Risikokapitalgeber für junge, aufstrebende Internetfirmen vermuten würde. Nur die orangefarbenen Plastiksessel lassen erahnen, dass hier die Dinge etwas anders laufen als in der Unternehmenszentrale in Bramfeld.
Rund 60 Mitarbeiter weltweit durchforsten bei Eventures derzeit die weltweite Start-up-Szene. Sie stecken Geld in Firmen wie das Onlineauktionshaus Auctionata, das Luxusartikel-Portal Farfetch oder den Bankdienstleister Azimo. Gerade ist Eventures bei einer Firma eingestiegen, die das Smartphone zum universellen Überwachungsinstrument für private Haushalte machen will. Automatischer Alarm im Fall eines Einbruchs inklusive. Der Name ist noch geheim, um Wettbewerber nicht zu früh auf das Projekt aufmerksam zu machen.
„Die Beteiligung an Start-ups ist für uns eine große Chance um zu sehen, was im digitalen Business gerade passiert“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Otto Group, Rainer Hillebrand, der im Konzern die E-Commerce-Strategie verantwortet. „Bei diesen Entwicklungen wollen wir so früh wie möglich dabei sein.“ Mehr als 50 Millionen Euro will Otto im kommenden Geschäftsjahr 2015/16 an Risikokapital zur Verfügung stellen. Einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag haben die Hamburger bereits in den vergangenen Jahren investiert. Dabei beteiligt man sich über Eventures an bereits bestehenden Firmen, stellt über eine weitere Gesellschaft namens Project A Ventures aber auch schon Geld direkt in der Gründungsphase zur Verfügung.
„Besonders große Chancen sehen wir derzeit für Start-ups aus dem Finanzsektor“, sagt Andreas Haug, Partner bei Eventures. So gehört zum Portfolio etwa die Plattform Friendsurance, über die Internetfreunde niedrigere Versicherungsbeiträge erhalten können. Auch in den Bereichen Haushaltsdienstleistungen und Lebensmittel bewegt sich aus Sicht der Risikokapitalgeber viel. In den USA ist Eventures etwa an Munchery beteiligt, einem Unternehmen, das frische und zugleich hochwertige Gerichte liefert.
Preiskämpfe im Internet machen Otto zu schaffen
Dass der Versand- und Onlinehändler Otto so stark auf Start-ups schaut, hat auch mit den immer magereren Wachstumsraten im eigentlichen Kerngeschäft zu tun. Laut Hillebrand werden die Onlineumsätze im Gesamtkonzern für das Geschäftsjahr 2014/15 (Ende Februar) nur noch um 2,5 Prozent auf 6,3 Milliarden Euro zulegen. In Deutschland ist die Otto Group mit ihren mehr als 100 Onlineshops voraussichtlich um drei Prozent auf 4,1 Milliarden Euro gewachsen. Beides ist weit von dem einst zweistelligen Umsatzplus entfernt, das den Bereich E-Commerce in den vergangenen Jahren stets zum Wachstumsmotor im Konzern machte.
„Mit dem Onlinewachstum im zu Ende gehenden Geschäftsjahr können wir nicht zufrieden sein“, räumte Hillebrand ein. In Deutschland habe das ausgesprochen warme Winterwetter dem vor allem auf Mode spezialisierten Otto-Shops zugesetzt. Wie bei vielen anderen Textilhändlern auch orderten die Kunden nur eingeschränkt warme Mäntel und Schuhe. Darüber hinaus machten dem Unternehmen die starken Preiskämpfe im Internethandel zu schaffen, die auch auf das Ergebnis drückten. Auch hat sich das Wachstum im Onlinehandel insgesamt abgeschwächt. Der Markt werde langsam erwachsen, so Hillebrand.
Besonders zugesetzt hat dem Konzern die Lage in Russland, wo Otto insgesamt rund eine halbe Milliarde Euro über das klassische Kataloggeschäft sowie im Internet erwirtschaftet. Die Sanktionen infolge des Ukraine-Konflikts haben die Konsumstimmung im Land eingetrübt, zudem machen Otto die Währungsturbulenzen zu schaffen. „Der Verfall des Rubels ist sehr schmerzhaft für uns“, sagte Hillebrand. Angesichts dieser Schwierigkeiten hat der Konzern den eigentlich geplanten Ausbau eines Logistikzentrums in der Nähe von Moskau erst einmal auf Eis gelegt. Über einen kompletten Rückzug aus Russland denke man derzeit aber nicht nach, betonte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende. „Wir fahren in Russland weiter auf Sicht.“
Otto-Konzern rechnet für 2014/15 mit einem kräftigen Gewinnrückgang
Eine weitere Baustelle ist für Otto das verlustreiche Geschäft in Frankreich, wo die dortige Tochtergesellschaft den Trend zum Internethandel über Jahre verschlafen hat und nun mühsam umstrukturiert werden muss. Einen ähnlichen schwierigen Prozess hat der Konzern bereits in Großbritannien hinter sich.
Bereits Ende vergangenen Jahres hatte der Chef des Otto-Konzerns, Hans-Otto Schrader, die Mitarbeiter auf einen deutlichen Gewinnrückgang im jetzt zu Ende gehenden Geschäftsjahr eingestimmt. Von einer Halbierung des Vorsteuergewinns auf etwa 100 Millionen Euro war im Konzern die Rede. E-Commerce-Vorstand Hillebrand wollte sich am Mittwoch nicht dazu äußern, ob von diesem Einbruch auch der Onlinehandel in gleichem Maß betroffen ist.
Mit dem Onlinewachstum im zu Ende gehenden Geschäftsjahr können wir nicht zufrieden sein.