Hamburg. Einbruch zwecklos – Teil 5 der großen Abendblatt-Serie. Die Polizei rät: Anwohner, die sich absprechen, können Einbrüche verhindern.
Die Mehrfamilienhäuser aus rotem Backstein sind mit Blick auf die Grünfläche ausgerichtet, die von Schubkarren und Kinderfahrrädern in diversen Größen und Farben gesäumt wird. Bei Regen ist nicht viel los, aber ein Besucher kann sich gleich vorstellen, wie es im Brachvogelweg in Lurup im Sommer aussieht: Dann kommen die mehr als 100 Anwohner zusammen, Kinder toben auf der Rutsche und auf dem Trampolin, Erwachsene sitzen auf den Bänken am Rand und unterhalten sich. Es fällt gleich auf, wenn jemand hier nicht wohnt. Ist ein Fremder in der Siedlung unterwegs, wird auch schon mal nachgefragt: Kann ich Ihnen helfen? Zu wem wollen Sie denn? „Wir kennen uns hier alle untereinander“, sagt Elke Kraake, die seit zwölf Jahren am Brachvogelweg lebt und das Wohnprojekt mitgegründet hat. Zu der Bau- und Wohngenossenschaft Brachvogel gehören neben der Luruper auch Siedlungen in Schnelsen und Iserbrook., deren Bewohner selbstverwaltet und ökologisch leben wollen.
Nachbarn sind für die Polizei ein überaus wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Einbrüche zu vermeiden. Wer sein Haus und seine Nachbarn kennt und sich kümmert, dem fallen fremde Menschen und ungewöhnliche Vorgänge auf, der fragt nach, bietet Hilfe an und kann unter Umständen wichtige Hinweise geben. Welchen Nutzen Nachbarschaftsinitiativen bringen, welche Möglichkeiten zur Gründung es gibt und wo die Grenze liegt zwischen Aufmerksamkeit und Kontrolle, damit beschäftigen wir uns in Teil 5 der Abendblatt-Serie „Einbruch zwecklos“.
Das Projekt Brachvogelweg ist ein gutes Beispiel für eine funktionierende Wohngemeinschaft. Es besteht aus 44 Wohneinheiten, deren Bewohner selbstverwaltet in ihrer Siedlung leben. „Wir kümmern uns um den Garten, erledigen kleine Instandhaltungen, feiern zusammen und achten aufeinander“, sagt Elke Kraake, die gemeinsam mit ihren Nachbarn auch Aktionen wie Fahrradtouren und gemeinsames Äpfelpflücken organisiert.
Die Genossenschaft gehört zum Netzwerk Nachbarschaft, in dem mehr als 160.000 Menschen aus Deutschland und Österreich organisiert sind. Die Hamburgerin Erdtrud Mühlens hat das Netzwerk gegründet, das 2014 sein zehnjähriges Bestehen feierte. „Der beste Schutz vor Einbrechern ist eine funktionierende Nachbarschaft“, sagt Erdtrud Mühlens. „Im Urlaub die Post hereinholen, ab und zu kurz durchlüften, Blumen gießen: Wenn Nachbarn sich untereinander absprechen und aufmerksam sind, wächst auch die Sicherheit.“
Das betont auch die Polizei. „Positive Nachbarschaft kann helfen, Einbrüche zu verhindern. Einbrecher lieben Tatgelegenheiten. Und ungestört arbeiten zu können, ist definitiv eine solche Gelegenheit“, sagt Stefan Meder, der die Kriminalpolizeiliche Beratungsstelle an der Caffamacherreihe leitet. Wer verdächtige Personen im Hausflur, auf dem eigenen oder dem Nachbargrundstück bemerkt, solle nicht wegsehen.
„Das kam mir komisch vor, aber ich wusste nicht, wie ich mich verhalten soll“ – Sätze wie diese hört die Polizei nach Einbrüchen häufig von Nachbarn. „Fremde kann man gern mal ansprechen und fragen: `Zu wem wollen Sie denn?’, sagt Meder. Gleiches gilt, wenn Unbekannte scheinbar grundlos auf der Straße, im Hausflur oder in einem geparkten Auto warten, an Türen klingeln und fadenscheinige Fragen stellen oder wenn ein mit mehreren Menschen besetztes Auto scheinbar ziellos durchs Wohngebiet fährt. Dabei gilt natürlich immer die Prämisse, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen.
Sichere Nachbarschaft: Der Grat zwischen Aufmerksamkeit und Kontrolle kann dabei sehr schmal sein. „Initiativen sollte auf keinen Fall eventuelle Blockwart-Mentalitäten fördern. Es geht nicht darum, sich in persönliche Angelegenheiten der Nachbarn einzumischen“, sagt Meder. Unbekannte anzusprechen, dagegen sei gut – und vor allem: „Wenn das ungute Gefühl bleibt, scheuen Sie sich nicht, die Polizei zu alarmieren.“ Das könne im ganz konkreten Verdachtsfall helfen, eine Straftat zu verhindern. Aber auch langfristig betrachtet, kann die Polizei solchen Tipps nachgehen.
„Wir geben Hinweise auch an unsere Zivilfahnder weiter. Wenn sich etwa Diebesbanden in einer bestimmte Gegend bewegen, können sie vielleicht bei ihrem nächsten Versuch ertappt werden“, sagt Meder. Das gilt nicht nur für Einbrecher: Auch bei Trickbetrügern kann eine Gemeinschaft helfen. „Haken Sie nach, wenn Fremde an den Türen älterer Menschen in ihrer Umgebung klingeln.“
Jeden Einbruch kann eine aufmerksame Nachbarschaft dennoch nicht verhindern. Auch am Brachvogelweg sind schon Diebe unbemerkt in Wohnungen eingestiegen. Die Anwohner fühlen sich trotzdem wohl in ihrer Nachbarschaft. „Egal, wo man wohnt, eingebrochen werden kann überall“, sagt Anja K., in deren Wohnung auch schon Einbrecher am Werk waren, die zwar alles durchsuchten, aber am Ende nichts mitnahmen. Bei einem anderen Nachbarn gab es Einbruchspuren an der Tür, die Diebe waren aber offenbar nicht ins Haus gekommen – vielleicht wurden sie gestört. In der angrenzenden Wohnung brannte Licht, dort hatten die Diebe es nicht versucht, obwohl niemand zuhause war: Beide Familien waren an dem Abend bei derselben Geburtstagsfeier. Gibt es einen solchen Zwischenfall wie den versuchten Einbruch, erfahren die Anwohner des Brachvogelwegs auf schnellem Wege über einen E-Mail-Verteiler davon. „Dann sind alle erst einmal besonders verschärft dabei und aufmerksam, wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Das zu wissen, beruhig mich“, sagt Anwohnerin Anja K.
In der polizeilichen Beratungsstelle an der Caffamacherreihe gibt es Informationsmaterial zum Thema „Ganze Sicherheit für unser Viertel. „Wer sich für Nachbarschaftshilfe interessiert, kann sich bei uns Tipps holen. Zum Beispiel kann man mal ein Straßenfest organisieren, um seine Nachbarn kennenzulernen“, rät Kommissar Meder. Eine weitere Möglichkeit ist, an seinen Vermieter heranzutreten um zu erfahren, ob es eventuelle Gemeinschaftsaktionen für die Hausbewohner bereits gibt. Das ist zum Beispiel bei einigen Hamburger Genossenschaften der Fall. Größere Gesellschaften wie etwa der Altonaer Spar- und Bauverein oder Unternehmen wie die stadteigene Saga versuchen auf diese Weise, die Bewohner ihrer Immobilien zu mehr Zusammenhalt zu bewegen und so auch mehr Sicherheit zu schaffen. Mit Nachbarschaftstreffs und Stiftungen, die Projekte für die Quartiersentwicklung unterstützen, soll Gemeinschaft gefördert werden.
Machmal reicht auch schon ein kleiner Hinweis, um eventuelle Einbrecher von ihrem Vorhaben abzuschrecken. Die Polizei bietet Aufkleber an, die man gut sichtbar in seinem Viertel anbringen kann. „K-Einbruch – Meine Nachbarn schauen hin“, steht darauf, der Dieb mit der Beute auf dem Rücken ist mit einem schwarzen Balken durchgestrichen. „Das signalisiert einem potentiellen Täter: Hier ist man füreinander da, hier muss ich aufpassen“, sagt Meder. Jedoch: „Einfach nur Sticker aufzukleben, bringt erst einmal gar nichts. Man muss diese Gemeinschaft dann auch leben und pflegen. Das spürt ein Einbrecher.“ Auch für die Anwohner selbst können solche Aufkleber motivierend wirken, sagt der Experte. „Sie geben Nachbarn ein positives Signal: Hier kann ich mich gut aufgehoben fühlen.“
In den vergangenen Monaten war es im Garten des Brachvogelwegs wohl verhältnismäßig ruhig. Statt auf den Holzbänken neben den Spielgeräten haben sich die Nachbarn im Gemeinschaftsraum getroffen. Geht man an der holzverkleideten Küche und dem wie ein halber Apfel geformten Wickeltisch vorbei, sieht man an der Wand neben einer Putzliste und einem Rezept für eine Hähnchensuppe mit Kokosmilch Fotos und Bilder hängen. Der Gemeinschaftsraum wurde vor einiger Zeit renoviert, einmal im Monat gibt es dort eine Wohnprojektversammlung mit Vorstand und Aufsichtsrat. Eventuelle neue Nachbarn werden dem Vorstand vorgeschlagen. Anonymität in der Siedlung wird so verhindert. Kraake: „Wir entscheiden gemeinsam, wer zu uns passt.“